«Seit wann sitzt der jetzt eigentlich schon vor dem Computer? Ich hab keine Ahnung. Sollte ich aber, wenn ich eine gute Mutter wäre. Also so eine aus dem Lehrbuch. Dann sollte ich ihm auch sagen, er sei langsam genug, und wie es eigentlich mit Hausaufgaben aussehe. Er wird mir sagen, er habe keine, und ich werds ihm glauben, obwohl ich ziemlich sicher bin, dass es nicht stimmt. Aber ich mag nicht schon wieder über Hausaufgaben diskutieren, es sind seine, nicht meine.
Überhaupt gibt es gerade Wichtigeres in seinem Leben als Hausaufgaben. Zum Beispiel diese unselige Lehrstellensuche. Die überfordert mich mehr als ihn. Er sagt, er macht das alles selbst, ich solle nur seine Bewerbungsschreiben korrigieren. Bisher habe ich ein einziges gesehen. Ich wage es immer wieder mal, scheu nachzufragen, wies läuft, und bekomme keine richtige Antwort. Wenigstens hat er jetzt mal zugestimmt, einen Plan B ins Auge zu fassen, falls es mit der Wunschausbildung nicht klappt. Dass sein Plan A – einen Online-Handel gründen und damit reich werden und gar keine Lehre machen – keine Option ist, habe ich ihm klargemacht. Voll konsequent.»
«Ich hab brutal Respekt davor, irgendwann zu realisieren, dass ich mehr hätte machen müssen, besser zuhören, besser hinschauen»
«Soll ich jetzt da reingehen? Ich weiss, dass sie weint. Seit fast einer Stunde. Will sie, dass ich reinkomme? Oder will sie einfach ihre Ruhe? Soll ich etwas sagen? Etwas fragen? Und wenn ja, was? Was ist los? Eine schlechte Note? Liebeskummer? Ein Streit mit einer Freundin? Ist ja nicht so, dass ich da super gross helfen könnte. Floskeln wie ‹Ist nicht so tragisch› oder ‹Geht vorbei› schaden mehr, als dass sie nützen. Ich hab brutal Respekt davor, irgendwann zu realisieren, dass ich mehr hätte machen müssen, besser zuhören, besser hinschauen. Psychische Probleme bei Jugendlichen haben massiv zugenommen, auch in ihrem Umfeld. Traurig zu sein – auch mal ohne Grund –, ist ein Stück weit normal in ihrem Alter. Aber wo ist die Grenze? Und was, wenn ichs nicht schnalle? Ich weiss jetzt total nicht, wie ich mit diesem Häufchen Elend umgehen soll. Vielleicht sollte ich einfach reingehen, und ihr sagen, dass ich überfordert bin. Dann weiss sie immerhin, dass sie nicht die Einzige ist.»