Die Nachricht ereilt uns am letzten Ferientag. Während unseres Urlaubs hat unser kleiner Mario das Zeitliche gesegnet. Ganz unerwartet kommt das nicht, denn er war noch Wochen zuvor so krank, dass ich fürchtete, ihn erlösen zu müssen. Aber eigentlich habe ich gedacht, er wäre überm Berg, die Antibiotika schienen gewirkt zu haben, er frass wieder und hat auch wieder zugenommen. Aber es hat nicht sein sollen. Sein kleiner Körper hat den Kampf gegen die Krankheit aufgegeben.
Zum Glück schlafen die Kinder noch, und ich kann zuerst mal für mich trauern. Ja, ich weiss, es ist «nur» ein Kaninchen. Aber ich heule mir trotzdem die Augen aus dem Kopf. Und jetzt, als ich diese Zeilen schreibe, gleich nochmal. Er war so ein süsser kleiner Kerl mit seinen grossen Knopfaugen! (Und der einzige, der mir immer mit ungeteilter Aufmerksamkeit zugehört hat ...).
Und wie sag ich das jetzt meinen Kindern? Klar, sie sehen mir sofort an, dass etwas nicht stimmt. Damit zerschlägt sich auch der der Plan, zu warten, bis wir wieder zu Hause sind. «Mario ist gestorben.» - «Du verarschst mich!» Na ja, so eine schlechte Mutter bin ich nun auch wieder nicht, dass ich so geschmacklose Witze machen würde.
«Da müssen wir jetzt durch. Aber wie? Was sage ich jetzt? Ich bin vollkommen hilflos.»
Die nächste Stunde schwankt mein Sohn zwischen tiefer Trauer und unbändiger Wut auf den Tierarzt. Ich muss gestehen, dass ich diese – zum Teil immer noch – teile. Fünfmal war ich da, richtig ernstgenommen fühlte ich mich erst, als das «Hüüfeli» bis auf die Knochen abgemagert war.
Aber schlussendlich kann der Tierarzt wohl genauso wenig für Marios Tod wie ich. (Natürlich mache ich mir Vorwürfe. Ich hätte besser hinschauen müssen. Mich nicht so einfach abkanzeln lassen. Darauf bestehen, dass man sein Blut untersucht.)
Aber er ist halt so, wies ist. Da müssen wir jetzt durch. Aber wie? Was sage ich jetzt? Ich bin vollkommen hilflos. Es ist nicht so, als ob meine Kinder noch nie mit dem Tod konfrontiert gewesen wären. Im Gegenteil. Mein Vater starb, als sie noch ganz klein waren. Sie sind mit Fotos von ihnen (als Baby) mit ihm in ihren Zimmern aufgewachsen. Mit dem Gedanken, einen Grossvater im Himmel zu haben, der über sie wacht und mit dem sie reden können, wenn ihnen danach ist.
«Sie sind keine kleinen Kinder mehr. Himmel und so ist schwierig. Aber tot ist tot – auch wenns «nur» ein Haustier ist.»
In den letzten Jahren starben meine Grossmutter und meine Tante, denen wir sehr nahestanden. Aber auch da waren sie Kinder – und sie erklärten sich die Dinge sozusagen selbst. Und zwar so gut, dass sie auch für mich irgendwie tröstlich waren. Sie sind im Himmel. Und treffen sich dort alle wieder. Und es geht ihnen besser, als es ihnen hier gegangen ist.
Aber eben. Sie sind keine kleinen Kinder mehr. Himmel und so ist schwierig. Aber tot ist tot – auch wenns «nur» ein Haustier ist. (Das sie abgöttisch lieben.) «Wo glaubst du, dass er ist?», fragt mein Sohn. Was soll ich sagen? Die Wahrheit. «Ich hab keine Ahnung. Findest du es wichtig, zu wissen wo er ist?» Er zuckt die Schultern. «Er hat uns vier Jahre lang sehr viel Freude gemacht. Und jetzt sind wir traurig. Egal, wo er ist. Würde sich etwas ändern, wenn dus wüsstest?» - «Nein, ich glaube nicht.»
Aber, sagt er, wenn es denn einen Himmel gäbe – und nur einen einzigen, keinen separaten für Menschen und Kaninchen – müsste ich versprechen, sehr gut auf Mario aufzupassen, da ich dann ja in absehbarer Zeit wieder bei ihm wäre. Äh ja, danke. Sehr schmeichelhaft. Aber immerhin hat er mich wieder zum Lachen gebracht.
«Weisst du, wo er ist?», fragt mich mein Sohn später am Tag. «Hier.» Er zeigt auf seine linke Brust. «Und hier bleibt er. Auch wenn ich wieder fröhlich bin. Und auch wenn ich dann wieder traurig bin, wenn Hermine stirbt. Oder du.» Vielleicht verstehen Teenager sehr viel mehr vom Leben und vom Tod, als wir ihnen zutrauen. Und immerhin wäre er traurig, wenn ich nicht mehr da wäre. Das muss man ja auch erstmal gesagt bekommen. Danke, kleiner Mario.
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