Liebe Frau Kelle
Erst einmal muss ich sagen, dass ich Sie unheimlich gern lese. Ich liebe Ihren Schreibstil, Ihren Wortwitz, und die Tatsache, dass Sie kein Blatt vor den Mund nehmen. Und ich muss gestehen, dass ich auch öfter mal Ihrer Meinung bin. Mir geht der übertriebene «GenderGaga» - wie Sie ihn in einem Ihrer Bücher bezeichnen -, der unsere Sprache verhunzt, auch auf den Geist.
Und einer Dame, die sich über Sexismus beschwert, wenn ihr einer in den Ausschnitt glotzt, würd ich auch gern zurufen: «Dann mach doch die Bluse zu!» So wie Sie das ihn Ihrem ersten Buch tun (und was Ihre entsprechende Kolumne betrifft: Da würde ich jedes Wort unterschreiben.) Und eigentlich mag ich auch Ihre Art, zu provozieren. Nur: Wenn es ausschliesslich um Provokation geht, wird man irgendwann unglaubwürdig.
Und bei Ihnen habe ich manchmal dieses Gefühl. Denn anders kann ich mir gewisse Dinge nicht erklären.
Irina Beller lässt grüssen
Zum Beispiel, wenn Sie sich in einem kürzlich erschienenen Text in der «Welt» über «genderbewegte Jungfeministinnen» auslassen, «die ihren letzten Rest an Weiblichkeit optisch und mental selbst entsorgen.» Wow – Irina Beller lässt grüssen. Und ein bisschen mehr Niveau hätte ich Ihnen schon zugetraut.
Sie degradieren die Väter zu Samenspendern und Kohle-Heranschefflern. Auch das ist nicht fair.
Feminismus hat ausschliesslich mit dem Kampf um gleiche Rechte für Mann und Frau zu tun – und zementiert sich nicht in irgend einem Erscheinungsbild. Abgesehen davon, dass es in dieser Hinsicht herzlich egal ist, wie man seine Haare trägt und ob man sich die Beine rasiert.
«Oh mein Gott, Sie Komikerin!»
Weiter geht’s im sarkastischen Text: «Es ist natürlich auch wichtig, dass sich Queer-People aus dem vegan-lesbischen Arbeitskreis mit Hang zu bisexuellen Cis-Frauen gesellschaftlich empowern ...» Oh mein Gott, Sie Komikerin! Ich hab Tränen gelacht.
Zumal ich annehme, Sie kennen all diese Begriffe, und wissen, dass Feminismus weder mit der sexuellen Orientierung eines Menschen noch mit seiner Ernährung zu tun hat – und ersteres und letzteres auch nichts miteinander (ich kenne tatsächlich eine Menge heterosexueller VeganerInnen (Ha!) und auch einige lesbische Allesfresserinnen).
In einem Interview im «Blick» doppeln Sie nach: «Die Feministinnen der ersten Stunde waren lesbisch oder kinderlos oder beides. Die neuen Feministinnen sind queer oder vegan (???), genderbewegt, haben auch keine Kinder und argumentieren auf der elitär-universitären Ebene. Sie alle können das Leben einer glücklichen vierfachen Mutter nicht nachvollziehen.»
Ich würde mich durchaus als Feministin bezeichnen, Frau Kelle. Und als glückliche Mutter. Auch wenn sich das in Ihrem Weltbild offenbar ausschliesst.
Beim Feminismus gehts um gleiche Rechte
Denn auf die Gefahr hin, mich immer und immer und immer wieder zu wiederholen an dieser Stelle: Beim Feminismus geht es nicht darum, dass Frauen und Männer gleich sind. Das sind sie nicht, und das müssen sie auch nicht sein. Es geht darum, dass sie die gleichen Rechte haben.
Und wissen Sie, was mich bei ihren «Die ersten drei Jahre gehört das Kind zur Mutter»-Parole stört, Frau Kelle? Sie schliesst die Väter aus. Und auch das ist diskriminierend.
Sie sprechen zwar im «Blick»-Interview von «Männern, die Verantwortung übernehmen können» – meinen damit aber offenbar ausschliesslich finanzielle Verantwortung. Und degradieren die Väter damit zu Samenspendern und Kohle-Heranschefflern. Auch das ist nicht fair.
Normal ist, dass jede zweite Ehe den Bach runtergeht.
Was ist eine normale Familie?
Zumal Sie ja dafür plädieren, dass auf natürliche Art und Weise gezeugte Kinder mit einem Vater und einer Mutter die einzig akzeptable Variante des Kinderkriegens ist. «Dabei haben die beim Co-Parenting doch so eine tolle Lösung gefunden», schreiben Sie im Buch «Muttertier».
«Besonders beliebt ist das Modell, bei dem sich zwei Schwule und zwei Lesben zusammentun und mit vereinten Kräften und Genmaterial ein Kind zeugen ... Was hier geschieht ist nicht mehr und nicht weniger, als einem Kind die Erfahrung zu rauben, in einer ganz normalen Familie gross zu werden.»
Aber egal – Hauptsache, Sie sind ganz natürlich – Schnäbi rein, Schnäbi raus – gezeugt worden.
Normal? Normal ist, dass jede zweite Ehe den Bach runtergeht. Normal sind 207'000 Ein-Eltern-Familien in der Schweiz. Normal sind Kinder, die zwischen den Elternteilen hin- und her pendeln und nicht selten als Spielball für die eigenen Emotionen und den Frust der Eltern herhalten müssen.
Aber egal – Hauptsache, Sie sind ganz natürlich – Schnäbi rein, Schnäbi raus – gezeugt worden und ihre Eltern haben um Himmels Willen nicht das gleiche Geschlecht. Egal, wie sehr sie gewollt und geliebt sind. Oder eben nicht.
Pure Provokation
Liebe Frau Kelle, haben Sie sich schon mal überlegt, was wäre, wenn Sie als genau die Person geboren worden wären, die Sie sind, mit genau dem selben Kinderwunsch, aber mit einer anderen sexuellen Orientierung? Oder einem Geschlecht, mit dem Sie sich nicht identifizieren können?
Oder wenn der liebe Gott (oder Ihr Mann) ganz einfach nicht die Gnade gehabt hätte, Ihnen auf natürlichem Weg vier Kinder zu schenken? Oder wenn Sie es sich schlicht nicht leisten könnten, aufs Geldverdienen zu verzichten und bei den Kindern zu bleiben?
Als privilegierte Person in einem Rundumschlag gegen alles zu wüten, was anders ist, ist pure Provokation. Und die kann ich nicht gutheissen, egal wie unterhaltend sie ist!