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Angeschlagener US-Präsident Joe Biden

«Macht abgeben ist schwer»

Verstörend: Beim TV-Duell mit Donald Trump (78) ­verhaspelte sich Joe Biden (81) ständig. Altersforscher François Höpflinger aus Horgen ZH: «Biden kommt an seine Grenzen.» Ein Fall von Alterssturheit?

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US President Joe Biden B&H

«Wie ein Verkehrsunfall in Zeitlupe» – CNN-Kommentar zum Auftritt von Biden gegen Trump.

Bloomberg via Getty Images

Ist der Präsident der USA nicht mehr fähig, klar zu formulieren?

François Höpflinger: Leider sinken im Alter – vor allem nach 80 – die kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten. Aber ist kein Stress und Zeitdruck vorhanden, können ältere Leute genauso gut reagieren wie jüngere. Geht es um Reaktionsfähigkeit, sind schon die 25-Jährigen den 15-Jährigen unterlegen.

Schnelle Reaktionsfähigkeit ist für einen US-Präsidenten aber schon Voraussetzung?

Natürlich, da zeigt sich, dass Joe Biden an seine Grenzen kommt. Aber Donald Trump auch, der gibt ebenfalls wirres Zeug von sich.

Warum tritt Biden nicht zurück?

Das ist eben schwierig. Leute, die viel Macht haben, fühlen sich oft unersetzlich. Was aber eigentlich nichts mit dem Alter zu tun hat.

Aber warum haben gerade viele alte Menschen Mühe, kürzerzutreten, jüngeren Platz zu machen?

Das ist nicht immer der Fall. Es hängt davon ab, ob sie weitere Perspektiven haben. Gibt Biden die Präsidentschaft ab, ist es endgültig. Er hat Jahrzehnte dafür gekämpft, an die Macht zu kommen. Und nach vier Jahren aufzugeben, das ist hart.

Ist Alterssturheit mit im Spiel?

Nein, je länger jemand an der Macht ist, umso lernunfähiger wird er.

Müssten die Ehefrau oder die Kinder ein Machtwort sprechen?

Kinder, die Eltern belehren wollen, das ist immer schwierig. Was eher funktioniert, ist, dass die Ehefrau ihrem Mann sagt, er soll zurücktreten.

Darf man als Angehöriger überhaupt ältere Menschen bevormunden?

Das ist heikel. Nur schon Empfehlungen von Töchtern und Söhnen, einen Notrufknopf zu tragen oder den Kurs für Sturzprävention zu absolvieren, kommt bei Eltern meist nicht gut an. Was eher akzeptiert wird, sind Ratschläge von Enkeln. Das Verhältnis zu dieser Generation ist oft entspannter.

Ist man denn nicht sogar verpflichtet, ältere Familienmitglieder vor Demütigungen und Blamagen zu schützen?

Das ist die Frage – wie weit kann und darf man intervenieren? So wie man als Eltern seine Kinder ja auch nicht vor allen Verletzungen und Liebeskummer schützen kann. Aber man sollte da sein – und unterstützen. Das erlebt im Moment ja auch Joe Biden in seinem Umkreis, was allerdings das Problem nicht löst.

Muss man sturen Menschen gegenüber immer verständnisvoll sein, oder darf man auch widersprechen?

Das funktioniert vor allem dann, wenn man eine sehr gute Beziehung hat. Dann klappt das Intervenieren.

Francois Höpflinger, Generationenforscher, zu Hause in Horgen ZH, 20. März 2024

François Höpflinger (76) ist emeritierter Soziologieprofessor an der Universität Zürich, er forscht zu den Themen Alter und Generationen.

Fabienne Bühler

Ist es ratsam, sich von aussen Hilfe zu holen, bevor es zum Familienkonflikt kommt?

Ja, je persönlicher und enger der Kontakt ist, desto schwieriger ist es, Unangenehmes anzusprechen. Ältere Leute nehmen medizinische und Alltagsratschläge von Nichtfamilienmitgliedern eher an. Fachleute von Pro Senectute oder der Spitex beizuziehen, ist durchaus sinnvoll.

Was ist das Schlimmste, was man einem sturen Mensch antun kann?

Ihm zu sagen, dass er stur ist! Dann zieht er sich meistens noch mehr zurück. Auch schlimm ist es, gegen seinen Willen etwas durchzusetzen. Einen Arzttermin etwa.

Haben Sie Verhaltenstipps für den Alltag?

Gerade im hohen Alter kann eine gewisse Beharrlichkeit zur Selbstständigkeit beitragen. Wenn jemand unbedingt selber kochen möchte, obwohl es ewig dauert, einfach machen lassen. Eine gewisse Routine ist nie schlecht. Wenn die Sturheit nur einen selber betrifft, ist sie ja durchaus erträglich. Unangenehm ist sie ja nur, wenn sie andere stört. Aber eben, das hat alles weniger mit dem Alter, sondern eher mit der Persönlichkeit zu tun.

Hand aufs Herz. Wie ist es Ihnen selber ergangen? War es einfach, die Karriere an der Uni Zürich aufzugeben?

Das war nicht so problematisch. Ich habe das Büro geräumt, als es noch gar niemand wünschte. Entscheidet man selber, bleibt mehr Freiraum. Ich fand Alternativen, konnte mich neuen Gruppen anschliessen.

Von Isabel Notari am 10. Juli 2024 - 12:00 Uhr