Anfang 2019 wird Climeworks weltberühmt. Das «New York Times Magazine» widmet der Firma der beiden ehemaligen ETH-Studenten Jan Wurzbacher und Christoph Gebald ein grosses Porträt. Der Titel: «Das winzige Schweizer Unternehmen, das denkt, es könne den Klimawandel stoppen».
In Hinwil steht die Anlage, die CO2 aus der Luft filtert. Wurzbacher, der Norddeutsche, wirkt getrieben, redet schnell. Als ob ihm die Lebenszeit zwischen den Fingern durchrieselt. Keine übertriebene Emotion, fokussiert auf Zahlen und Fakten. Er schaltet drei Gänge zurück, damit sein Gegenüber alles versteht.
Jan Wurzbacher, im Juni kam die Neuigkeit, dass Climeworks im norwegischen Konsortium Norsk e-Fuel erneuerbares Benzin und Kerosin herstellen will. Wie geht das?
Wir machen das rückgängig, was im Motor passiert. Benzin rein, das wird verbrannt, und es entstehen CO2 und Wasserdampf. Wir versuchen mit CO2 aus der Luft in Verbindung mit erneuerbarer Energie Benzin herzustellen. Das kann wieder verbrannt werden, geht wieder in die Luft. Und so haben wir einen geschlossenen Kreislauf.
Aber Sie brauchen viel Strom zur Produktion.
Es macht nur dann Sinn, wenn wir erneuerbare Energien verwenden, ja. Ganz neutral ist es nie. Denn jedes Windrad hat gewisse CO2-Emissionen. Sie müssen ein Betonfundament giessen, Stahl bauen. Und so weiter. Das sind Emissionen. Aber sehr, sehr geringe. Wir reden von einem CO2-Reduktionspotenzial von etwa 80 Prozent.
Ab wann können wir ohne schlechtes Gewissen fliegen oder Auto fahren?
Die erste kommerzielle Anlage soll 2023 in Betrieb gehen. Die Kapazitäten werden reichen, um die Emissionen der fünf wichtigsten norwegischen Inlandflugrouten markant zu reduzieren. In drei Jahren produzieren wir erneuerbares Kerosin.
Sie und Gebald haben beide an der ETH Zürich studiert. War Ihnen früh klar, was Sie wollen?
Ich bin seit 17 Jahren in Zürich, komme ursprünglich aus Hamburg. Christoph aus Bayern. Wir haben uns am ersten Tag an der ETH kennengelernt und uns gefragt, warum wir hier sind. Wir hatten beide den Traum, eine Firma zu gründen. Was, war noch nicht so klar.
Wann wars Ihnen klar?
Kurz vor Studienende. Wir arbeiteten an einem ETH-Projekt, wo es um CO2-Abscheidung ging. Wir überlegten, wo wir etwas verändern könnten. Da wurden die Weichen gestellt.
Wie hilft Climeworks dem Klima am meisten?
Mit dem Projekt in Island. CO2 wird mit Wasser in den Boden eingespiesen. Das Wasser vermischt sich mit dem Gestein, dort entsteht so etwas wie Kalkstein. Was wir in Hinwil tun, hilft dem Klima nicht. Was ins Gewächshaus und in die Pflanze geht, geht wieder raus. Das ist auch mit dem CO2 für Valser Wasser so. Aber es ist ein Markt. Und wichtig, um die Technologie weiterzubringen. Eine Tonne CO2 zu reduzieren, kostet bei Climeworks 600 Franken. Viel zu teuer. Ja, wir wollen bis in zehn Jahren auf 100 Franken runter. Aber wir haben viele Kunden gefunden. Jeder kann CO2 in seinem Namen versteinern lassen. Das ist eine echte Reduktion im Gegensatz zu anderen Zertifikaten. Es ist weg, im Boden.
Im Jahr 2017 erschaffen die Climeworks-Gründer Jan Wurzbacher und Christoph Gebald ein Novum: Sie nehmen in Hinwil die weltweit erste Anlage zur CO2-Reduktion in Betrieb. Heute filtern ihre beiden Anlagen im Zürcher Oberland pro Jahr 1500 Tonnen CO2 aus der Luft, düngen damit ein Gewächshaus und beliefern den Getränkehersteller Valser Wasser. In Island stehen bereits effizientere Climeworks-Anlagen, die CO2 im Boden versteinern. Im Juni 2020 eröffnet die Firma eine faszinierende Perspektive. Als Teil des norwegischen Konsortiums Norsk e-Fuel will Climeworks bis 2023 erneuerbare Kraftstoffe für Flugzeuge und Autos herstellen.
Bis 2025 wollen Sie ein Prozent des weltweiten CO2 aus der Luft filtern. Ist das realistisch?
Es ist sehr ambitioniert. Ein Prozent werden wir wohl nicht schaffen. Denn ein Prozent wären 400 Millionen Tonnen. Wichtig an der Aussage ist aber die Grössenordnung.
Climeworks alleine kann die Welt nicht retten. Wie viele Firmen braucht es?
Es muss sich eine ganze Industrie aufbauen. Wenn letztlich 30 Firmen 30 Prozent rausnehmen, sind wir auf gutem Weg.
Dafür bräuchte man aber 30'000 sehr grosse Anlagen. Die würden dann 30 Gigatonnen herausfiltern. Unglaublich viel. Ist das realistisch bis Mitte oder Ende des Jahrzehnts?
Die Frage ist: Was ist unglaublich viel? Es fahren unglaublich viele Autos herum, es werden unglaublich viele Container um die Welt gefahren. Wenn wir ein Prozent erreichen wollen, reden wir von 750'000 Schiffscontainern, die man aufstellen muss.
Greta Thunberg hat Climeworks dieses Jahr besucht. Warum war sie bei Ihnen?
Sie hat Projekte zur Lösung der Klimakrise angeschaut. Ich war verblüfft: Für ihr Alter kennt sie sich extrem gut aus. Es war, als ob ich mich mit jemandem unterhalte, der sich schon viele Jahre professionell mit dem Thema beschäftigt.
Es gibt ja viele ältere Semester, die meinen: Dieses Mädchen soll besser in die Schule!
Es gibt eine wichtige Management-Philosophie, die besagt, man solle sich auf eine Sache fokussieren. Und das hat Greta gemacht. Jeder sieht, was Menschen dann erreichen können. Andere Leute arbeiten Jahrzehnte darauf hin. Sie hatte zwei oder drei Jahre, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Und hat gezeigt, was man erreichen kann, wenn man etwas wirklich möchte.
Warum schwappt ihr so viel Hass entgegen?
Ich weiss es nicht. Aber ich würde solche Menschen gerne fragen: Wo warst du mit 17 Jahren? Was hast du geleistet? Ich finde toll, wie sie sich engagiert. Greta hat erreicht, was Klimapolitiker und Wissenschaftler über Jahrzehnte erfolglos probierten: das Bewusstsein für den Zustand der Erde zu schaffen. Das haben zuvor alle ignoriert.
Was nervt die Menschen? Der Verzicht?
Kann sein. Es gibt ja Gründe, dass Greta sagt: Die Menschen sollen verzichten! Sie hat völlig recht. Anders geht es nicht. Die Menschheit hat es nicht geschafft, den Fussabdruck im Griff zu behalten.
«Wir alleine können die Welt nicht retten. Es muss eine ganze Industrie entstehen»
Jan Wurzbacher
Ihr Ansatz geht in eine andere Richtung. Statt weniger CO2 zu emittieren, saugen Sie es ab. Jetzt kann die Wirtschaft und jeder Konsument denken: Die werdens schon richten!
Das ist überhaupt nicht so. Wir sind einfach eine Ergänzung im Puzzle. Die Menschheit kann nicht im Überfluss weiterleben wie bisher. Aber wir wollen Lösungen zeigen, damit wir unseren Lebensstandard nicht ganz aufgeben müssen.
Aber die Gefahr besteht doch, dass sich Menschen dank der Technik zurücklehnen.
Darauf habe ich eine klare Antwort: Die Frage, ob wir Direct Air Capture machen oder den Ausstoss reduzieren, hätte man vor 20 Jahren stellen können. Heute macht sie keinen Sinn mehr. Die Wissenschaft kann das mit Zahlen aufzeigen. Das ist Klima-Mathematik. Wenn wir alles Erdenkliche runterfahren und die optimistischsten Modelle nehmen, reicht es einfach nicht, um das zu erreichen, worauf sich die Welt geeinigt hat. Einen maximalen Temperaturanstieg von 1,5 Grad. Darum brauchen wir beides.
Ich pflanze Bäume, um das Klima zu retten. Bin ich naiv?
Gar nicht, nein. Mehr davon! Wir brauchen Bäume. Wie gesagt: Eine Lösung alleine reicht nicht für dieses grosse Problem. In der Finanzwelt setzen sie auch nicht alles auf eine einzige Aktie. Bäume allein reichen jedenfalls nicht. Jede Umweltorganisation und viele Politiker versuchten, Abholzung zu verhindern. Haben wir das geschafft? Nein! Das Gegenteil ist passiert. Die Menschheit hat es in 100 Jahren nicht geschafft. Wenn wir sagen, jetzt probieren wir weiter, die Abholzung zu verhindern und zusätzlich zu pflanzen: Das ist wahrscheinlich naiv.
Private Investoren haben dieses Jahr über 70 Millionen in Ihre Firma eingeschossen. Was können Sie damit erreichen?
Das hilft uns beim nächsten Entwicklungsschritt. Climeworks hat inzwischen 120 Millionen aufgenommen. Mir hat mal jemand gesagt: Wenn man mit Angela Merkel reden will, reichen 100 Millionen nicht. Bei einer Milliarde redet sie mit einem. Da sind wir eine Grössenordnung davor.
Sie haben einen Sohn. Sind Sie angesichts der Klimakrise auch ein besorgter Vater?
Natürlich denke ich auch als Vater, überlege, wie seine Welt in 50 Jahren aussehen wird. Aber in meiner Arbeit denke ich als Ingenieur, Chef einer Firma mit 100 Mitarbeitern. Ich kaue nicht emotional an Problemen herum. Ich suche Lösungen.
Kann man sagen: Die Ängstlichen schränken sich ein, die Mutigen suchen den technischen Fortschritt?
Nein, überhaupt nicht. Aber die Menschen sind aus Erfahrung schlecht darin, sich einzuschränken, aber gut darin, Maschinen zu bauen. Herr Benz hat das erste Auto gebaut. Es ging schnell, und es wurden Millionen gebaut. Das ist unser Ansatz. Wir setzen da an, wo die Menschen gut sind.
Wie optimistisch sind Sie, dass die nächste Generation ein gutes Leben führen kann?
Ich bin ein Optimist. Das muss man auch sein, um das zu tun, was wir tun. Als wir daran waren, Climeworks zu gründen, haben uns einige aktiv bekämpft. Um durchzuhalten, muss man Optimist sein. Ich glaube, die Menschheit kriegt es hin. Aber dazwischen wirds holprig.
Christoph Gebald, Climeworks-Mitgründer
«Jan ist derjenige, der alles exzellent umsetzt. Er ist der Perfektionist, der die Maschine stabil gemacht hat. Wir sind extrem eng verbunden. Er war mein Trauzeuge, wir haben fast gleichaltrige Söhne, gehen gemeinsam klettern.»
Hilft das Bewusstsein von Gefahr – wie der Krankheit Covid-19 – Ihrem Geschäft?
Ich hoffe, dass viele ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie schnell sich die Welt verändern kann. Beim Klima ist es eine langsamere Entwicklung. Sie kommt aber doch schneller, als viele denken.
Wie haben sich Ihre Träume als Kind von den heutigen unterschieden?
Nicht grundlegend. Ich war immer konstruktiv. Als kleines Kind träumte ich davon, die Modelleisenbahn aufzubauen. Meine Eltern sind beide Bauingenieure. Das hat wohl abgefärbt.
Eine Modelleisenbahn aufbauen ist definitiv einfacher, als mit Climeworks die Welt zu retten.
Aber der Ansporn ist derselbe. Statt einer Modelleisenbahn bauen wir halt die Firma auf. Wir waren mal zu zweit, jetzt sind wir mehr als 100 Leute. Um das zu erreichen, was wir erreichen wollen, müssen wir bald mehr als 1000 Leute sein. Das wird uns hoffentlich gelingen.