«Einsamkeit hat viele Namen», jammerte Schlagerjunge Christian Anders 1974 schmachtend. 30 Jahre später dudelte ein verzerrtes «Lonely, I'm Mr. Lonely, I have nobody for my own» aus allen Radios. Nach dem Welthit von Akon bastelte die deutsche Band Polarkreis 18 im Jahre 2008 quasi ein ganzes Lied um die menschliche Leere: Wochenlang hatte man den monotonen Refrain «Allein, allein! Allein, allein!» im Ohr. In grossen Liedern geht es meist um die Liebe und den Kummer, der sich daraus ergibt. Dann fühlt sich der Künstler allein, weil der Lover weg ist. Das Herz schmerzt. Und das versteht jeder. Jeder fühlt mit. Aber manchmal schmerzt das Herz, obwohl alle da sind und gar niemand gegangen ist. Die Familie ruft an, meistens hat jemand Zeit, einen Kaffee trinken zu gehen, man schläft neben jemandem ein, täglich sliden Leute in die DMs. Und trotzdem. Irgendetwas lähmt. Irgendetwas fehlt.
Kann man sich einsam fühlen, ohne allein zu sein?
Und wenn es einem so offensichtlich an nichts mangelt, dann versteht man das grosse Unglück nicht. Man schiebt es gerne auf die «Nachwehen» von Corona. Aber auch davor waren Leute einsam. Klar, gewisse sind jetzt sensibler und (unter)bewusst ist da immer Angst. Man fängt vielleicht schneller Streit an. Und dann? Zieht man sich zurück. Fühlt sich ungeliebt. Möchte allein sein. Ist einsam.
Und das gibt keiner gerne zu. Einsamkeit, die mit Depressionen, Schlaflosigkeit und Herz-Kreislauf-Problemen einhergehen kann, ist ein Stigma – Vernetzt sein gilt als elitär. Beliebtheit wird am Bekanntheitsgrad gemessen. Aber auch davor macht Einsamkeit keinen Halt. Oft braucht man Zeit nur für sich. Aber wann wird Me-Time zur Abgrenzung? Es ist ein tosender Strudel an Unbefindlichkeiten.
Und der verwirrt, verunsichert und löst Schrecken aus. Wir haben bei Psychologin Felizitas Ambauen nachgefragt, wo denn nun genau der Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein ist. Und vor allem: Wie man die Traurigkeit wieder loswird.
Man hat gute Freunde, eine Familie, eine*n Partner*in – hat Einsamkeit wirklich mit der Abwesenheit von Menschen zu tun?
Felizitas Ambauen: Einsamkeit ist ein Gefühl des Losgelöstsein, psychologisch ist man dabei auf der sogenannten Bindungsebene nicht connected – man fühlt sich nicht eingebunden. Meist ist dieser Zustand von sehr heftigen negativen Gefühlen begleitet: Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Resignation, Trauer, Verzweiflung, bis hin zur Depression.
Im Alleinsein dagegen fällt das weg, man fühlt sich trotzdem mit der Welt verbunden. Alleinsein ist oft eher selbst gewählt. Einsamkeit hingegen sucht sich niemand aus.
Woher rührt das quälende Gefühl der Einsamkeit, wenn man eigentlich gut vernetzt ist?
Felizitas Ambauen: Gut vernetzt heisst noch nicht eingebunden. Man muss die Verbindungen nutzen und aktivieren, damit eine Beziehung entsteht. Dazu stellt sich die Frage: Was heisst gut Vernetzt sein? Geht es um Social-Media-mässig viele Freunde oder reden wir von Menschen, von denen man weiss, dass sie nachts wirklich um zwei Uhr vor der Türe stehen würden, wenn ich sie brauche?
Eine Beziehung hat immer etwas Proaktives, damit Resonanz entstehen kann. Nährt man die Vernetzungen nicht, gehen sie irgendwann verloren, wie Muskeln, die man nicht braucht. Sie werden immer schwächer. Um glücklich zu sein, braucht der Mensch funktionierende Beziehungen, zumindest basale.
Wann wird gerne Alleinsein zu gefährlichem Zurückziehen?
Felizitas Ambauen: Wenn dahinter eine Motivation der Vermeidung besteht. Warum ziehe ich mich zurück? Weil es mir wirklich guttut? Geht es dabei um Erholung, Ruhe, darum, etwas für mich zu tun? Oder will ich mich der Welt nicht aussetzen, will diesen Stress nicht aushalten? Will ich mich nicht mit dem Chef streiten? Je mehr solche Vermeidungstendenzen vorhanden sind, desto genauer muss man hinschauen. Das kann sonst in eine ungute Spirale führen.
Mit sich selbst im Reinen sein, zu sich selbst finden – alle reden dabei von Selfcare.
Felizitas Ambauen: Zu echter Selfcare gehört immer ganz viel Selbstreflexion. Man muss sich darüber klar werden, was die eigenen Bedürfnisse sind, warum ich so oder anders handle und was langfristig gut für mich ist. Denn das macht einen riesigen Unterschied. Auch kurzfristig denken kann helfen. Ein Beispiel: Man zieht sich zurück, um diese eine Freundin nicht mehr sehen zu müssen, mit der man gerade Streit hat - das kann einen dabei unterstützen, sich zu sortieren. Langfristig ist das Ganze aber nicht hilfreich. Weicht man der Konfrontation aus, weil man Schiss hat oder die negativen Emotionen nicht aushalten will, ist das ein Zeichen von Vermeidung.
Wie klettert man wieder raus aus seinem Loch?
Felizitas Ambauen: Indem man zunächst versteht, was eigentlich los ist. Warum bin ich ins Loch gefallen? Es gilt, herauszufinden: Tue ich gewisse Dinge, weil sie mir wirklich guttun? Oder mache ich es, weil ich negative Emotionen, Konfrontation, Streit oder Stress vermeiden will? Bei Letzterem wird es kritisch.
Ausserdem: Was fehlt mir? Welche Bedürfnisse kommen zu kurz? Das ist einfacher zu verstehen, wenn man sich eine Fachperson ins Boot holt. Erste Anregungen dazu können auch Bücher oder Podcasts bieten. Versteht man nicht, was los ist, kann man nicht hilfreich reagieren. Wie wenn man durchs Gelände irrt, ohne vorher eine Karte studiert zu haben.
Was heisst das konkret?
Felizitas Ambauen: Den meisten helfen Bewegung, soziale Kontakte und positive Aussichten. Man kann zum Beispiel aufschreiben, was man gerne tut (oder gerne tat) und was einen glücklich macht. Im Internet gibt es auch Listen angenehmer Tätigkeiten als Anregung.
Und dann: indem man Dinge trotzdem tut. Heisst, man geht raus, obwohl man keine Lust hat, macht mit Leuten ab, obwohl man sich müde fühlt, macht einen Spaziergang, obwohl man müde ist. Wenn man darauf wartet, bis die Lust zurückkommt, kann es unter Umständen lange dauern – vor allem, wenn schon eine depressive Entwicklung eingesetzt hat.
Danke, Felizitas 🖤