Frau Rösler, wie sollen Eltern auf schlechte Noten ihrer Kinder reagieren?
Zuerst einmal sollten wir klären, was eigentlich schlecht ist. Man muss berücksichtigen, welche Stärken das Kind hat. Ist es gut in den Sprachen und fällt ihm das Lernen dort leicht, dann kann man selbstverständlich auch eine gute Leistung erwarten. Ein Kind, dessen mathematisches Verständnis nicht so ausgeprägt ist, das aber eine 4,5 schafft, hat doch eine gute Leistung vollbracht. Sie sehen, Noten sind sehr relativ.
Was aber tun, wenn man überzeugt ist, dass das Kind zu besseren Noten fähig wäre?
Man darf als Eltern realistische, an die Möglichkeiten des Kindes angepasste Erwartungen kommunizieren. Wenn einem Kind aber vermittelt wird, dass beispielsweise alle Noten unter 5,5 nicht gut sind, dann setzt man ziemlich Druck auf. Entscheidend sollte sein, wie viel Arbeit und Fleiss aufgebracht werden. Wenn zum Beispiel ein Kind daheim übt und auch in der Schule gewissenhaft arbeitet, aber trotzdem keine gute Note schreibt, muss man als Eltern womöglich anerkennen, dass für den Moment eine Leistungsgrenze erreicht ist.
Was ist besser, belohnen oder bestrafen?
Ich halte von beidem nicht viel! Viel wichtiger ist die echte Anteilnahme an der Arbeit, die das Kind leistet, auch wenn das nicht immer die Bestleistung ist. Tadel und Strafe bringen gar nichts. Sie entmutigen eher und nehmen ihm die Freude an der Schule und am Lernen. Wir Erwachsenen sind ja auch nicht überall die Überflieger, und genau das dürfen wir auch unseren eigenen Kindern zugestehen.
Wenn nicht mit Druck, wie sollte man dann kommunizieren?
Mit Verständnis und Geduld. Man sollte dem Kind Unterstützung signalisieren und ihm klar machen, dass eine gute Arbeitseinstellung erwartet wird, die Noten allerdings nicht alles belegen können, was wirklich geleistet wurde. Vielleicht findet man einen gemeinsamen Weg, wie in Zukunft auch daheim an Wissenslücken gearbeitet werden kann. Wichtig ist, dass das Kind zu Hause Unterstützung erlebt und nicht einfach für das schlechte Zeugnis bestraft wird. Dazu zähle ich auch Liebesentzug und Schuldzuweisungen.
«Wir Erwachsenen sind nicht in allem die Überflieger und genau das dürfen wir auch unseren eigenen Kindern zugestehen.»
Dagmar Rösler, oberste Lehrerin der Schweiz
Wann sollten Eltern Hilfe suchen?
Wenn das Kind nicht mehr schlafen kann und sich weigert, in die Schule zu gehen. Auch wenn es sehr dünnhäutig wird und die Freude am Lernen verliert. Ich würde in solchen Fällen auch das Gespräch mit der Lehrerin oder dem Lehrer suchen.
Was tut man am besten, wenn das Kind den Fehler nicht bei sich selbst sucht, sondern bei den Lehrkräften?
Dem muss man sicher nachgehen, ich rate auch hier zu einem sachlichen Gespräch mit der Lehrperson. Aber ganz sicher ist es nicht förderlich, wenn man das Kind in dieser Meinung vorbehaltlos unterstützt. Dann fühlt es sich bestätigt und nicht mehr verantwortlich für die eigene Leistung.