Die Szene könnte sich in jeder Familie abspielen: Zwei Schwestern, vier und zwei Jahre alt, sind ins Spiel vertieft. Da hat die ältere die Idee, der jüngeren die Ohren zu reinigen. So wie sie es oft bei den Eltern gesehen hat: mit einem Wattestäbchen. Diese Aktion hat das Leben von Simone, 42, für immer verändert. Ihre Geschichte möchte sie anonym erzählen.
«Meine Schwester steckte das Wattestäbchen so tief ins Ohr hinein, dass es mein Trommelfell durchbohrte und sogar die Hörknöchelchen verletzte», erzählt Simone. Die Tragweite dieses schlimmen Unfalls realisiert ihr Umfeld zum damaligen Zeitpunkt nicht. Man gibt dem Kleinkind Ohrtropfen und der Vorfall geht vergessen. Erst in der Oberstufe wird bei einem Routine-Check bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Die Diagnose: 100 Prozentiger Hörverlust auf einem Ohr.
«Bis zu diesem Zeitpunkt wars immer schwierig, denn mir wurde ständig vorgeworfen, ich hätte extra so getan als würde ich nichts hören», erinnert sich Simone an ihre Kindheit. Insgesamt drei Operationen musste die Maskenbildnerin über sich ergehen lassen. Bei der dritten bekommt sie künstliche Hörknochen aus Titan. Geholfen hat alles nichts. Simone bleibt auf einem Ohr taub. «Es hat leider nichts gebracht, wurde sogar immer schlimmer. Heute spricht man von einer Verkalchung im Ohr.»
Sie bewege sich bis heute nicht gern unter zu vielen Menschen. «Mit einer Gruppe auswärts essen gehen ist für mich besonders unangenehm. Ich bekomme ein Gespräch ja nur mit einem Ohr mit. Das ist sehr anstrengend.» Als Simone selbst Mutter wird, ist für sie klar: Das darf einfach nicht noch einmal passieren! Ihre beiden Kinder, heute 14 und 11, hat sie sehr früh darüber aufgeklärt und Wattestäbchen aus ihrem Haushalt verbannt.
Welche Alternativen zum Wattestäbchen gibt es und was sagt der Facharzt dazu? Wir haben bei Prof. Dr. med. David Holzmann, Leitender Arzt an der Klinik für Ohren-, Nasen-, Hals- und Gesichtschirurgie am Universitätsspital Zürich, nachgefragt.
Professor Holzmann, wie reinigt man die Ohren von Kindern korrekt?
In der Regel müssen die Ohren - damit sind v.a. die Gehörgänge gemeint - nicht gereinigt werden, da das Ohr einen eleganten Selbstreinigungsmechanismus hat.
Wie funktioniert das konkret?
Die Haut im Gehörgang reicht bis zum Trommelfell und wächst kontinuierlich nach aussen. Auf diese Weise transportiert sie immer eine gewisse Menge an Ohrschmalz hinaus.
Was sagen Sie zum Gebrauch von Wattestäbchen für die Reinigung?
Kurz gesagt, Wattestäbchen gehören nicht ins Ohr.
Was ist so verkehrt daran?
Das aller häufigste ist, dass man mit den Wattestäbchen mehr Ohrschmalz gegen das Trommelfell verschiebt als man effektiv rausholen kann. Dies kann entsprechend zu einer Hörverminderung führen. Dann muss dieser Pfropf vom Arzt wieder entfernt werden.
Prof. David Holzmann: «Der Ohrschmalz hat eine Schutzfunktion und wenn dieser wegen Wattestäbchen dauerhaft fehlt, kann sich die Haut des Gehörgangs eher einmal entzünden.»
Bestehen noch weitere Gefahren?
Da die Wattestäbchen kurz nach dem Kauf mit Bakterien besiedelt sind, können Manipulationen mit Wattestäbchen auch zu einer Entzündung des Gehörgangs führen. Der Ohrschmalz hat eine Schutzfunktion und wenn dieser wegen Wattestäbchen dauerhaft fehlt, kann sich die Haut des Gehörgangs eher einmal entzünden.
Welche Alternativen gibt es zu Wattestäbchen?
Wenn jemand das Gefühl hat, er müsse das Ohr reinigen, weil etwas drin ist, gibt es eine einfache und schonende Methode. Man kann mit einer normalen Dusche die Ohren spülen. Dabei stellt man das Wasser - zum Beispiel beim Haarewaschen - auf Körpertemperatur ein und kann so ohne grossen Druck das Ohr spülen. In unseren Breitengraden ist das Trinkwassser ja sehr sauber und praktisch ohne Desinfektionsmittel durchsetzt. Gewiss darf man das nicht tun, wenn das Trommelfell ein Loch hat, also perforiert ist.