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Erfahrungen aus dem Homeoffice mit Kindern

Homeschooling, Hass und Hunderassen

Zwei Erwachsene, zwei Kinder und eine Schule im Corona-Modus – der Ausnahmezustand. Unser Redaktor beschreibt, wie er zu Hause die Zeit zwischen Homeoffice und Homeschooling seiner Kinder erlebt.

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vater homeoffice

Achtung, bei diesem Foto handelt es sich um ein Symbolbild. Homeoffice mit Kindern sieht in Realität nur selten so entspannt aus.

Getty Images

Es bimmelt. Gruppenanruf mit dem Team im Videochat. Einer zeigt seine Katze (Minki? Pinki?), einer tönt, als ob er durch ein Kissen redet. Die Hälfte bleibt im Äther stecken. Irgendwo im Himmel über Zürich, zwischen Küsnacht und Affoltern, zwischen 4G und 5G. Zu hören ist immer nur das Ende seiner Sätze. «….. gseh, oder?», «….müemer mache.»

Coronavirus-Krise. Tag 2 im Homeoffice, Tag 1 mit Frau am Esstisch. Sie gegenüber. Beide Laptops aufgeklappt. Beide Chats bimmeln abwechslungsweise. Sie kaut schnell Kaugummi. Das Kauen wird schneller, wenn sie angestrengt denkt. Sie denkt fast immer angestrengt.

Schreie und aufgeschürfte Schienbeine

Schreie aus dem Spielzimmer. Das Büro will Inputs, die Kinder wollen bei Super Mario aufs Level 4. Beide zerren an der Spielkonsole. Im Flur liegen Rollerblades, Knieschoner, Sackmesser, eine Sammlung schöner Steine.

Znüni, Anrufe, der Chat bimmelt. Die Kleine schürft sich das Schienbein auf, der Bub schliesst sich im Nachbarsgarten versehentlich im Geräteschuppen ein.

Danach ein stundenlanges Interview auf einer Parkbank im Freien – mit korrektem Corona-Abstand. Zurück an den heimischen Esstisch. Laptop auf, Mails checken. Stimmt, da war doch was. «Informationen für die unterrichtsfreie Zeit» steht in der Überschrift. Ein Klick – und die paar Hausaufgaben für den Zweitklässler sind schon da. Wahrscheinlich hier ein A4-Blatt mit 10 Rechnungen, da eine Geschichte zum Lesen. Piece of cake, eine Fingerübung. Aber es kommt anders.

«Das Büro will Inputs, die Kinder wollen bei Super Mario aufs Level 4.»

Ein paar Hausaufgaben – ein Klacks?

Nach 45 Minuten sind alle Dateien gefunden und ausgedruckt, die Bücher, Arbeitshefte und Mäppchen aus dem Schülerthek feinsäuberlich auf dem grossen Tisch verteilt. Eine Versuchsanordnung wie beim Ausfüllen der Steuererklärung. Und es ist ein Blick in den Abgrund.

Mathe: Themenbuch Seite 48, 1 und 2. Einkaufszettel zusammenrechnen (ins Matheheft blau?). Dort weiteren eigenen Einkaufszettel schreiben, berechnen. Minusrechnen ins Arbeitsheft orange, dazu drei Arbeitsblätter A21 in drei verschiedenen Schwierigkeitsstufen (wo waren diese Anhänge nochmal?).

Zeichnen: Tiere, die ihm gefallen. Am Freitag ein Foto von allen Zeichnungen per E-Mail an Klassenlehrerin.

Musik: Lerne das Lied «Koko und Leo» mit Tanz (Audio-Datei im E-Mail). Ende der Woche muss eine Filmdatei (mit Gesang und Tanz) an die Klassenlehrerin geschickt werden.

christian bürge schulhefter kinder

Bücher, Arbeitshefte, Mäppchen: Kinder zu Hause zu unterrichten, ist kein Piece of cake.

ZVG

Deutsch: Leseverständnis Frau Holle. Warum springt die fleissige Tochter in den Brunnen? A. Spule wiederholen B. Kugel wiederholen C. Baden (Am Freitag ein Hör- und Leseverständnis-Test. Hördateien kommen per E-Mail.)

Turnübungen: Der Baum (eine Yoga-Position), die Katze (eine Pilates-Position), Brettposition (Liegestütze), Hampelmänner, Rumpfbeugen, Kniehebellauf (??), Bleistift mit den Zehen aufnehmen, Radfahren auf dem Stuhl, Katzenbuckel. Zweimal pro Woche. Check!

Nochmal Deutsch: 20 Minuten Wörterklinik (Wörter vorwärts und rückwärts und wieder vorwärts schreiben, bis sie von der Notaufnahme über die Intensivstation zur Entlassung gelangen). Dazu: Meine Erzählung (10 Sätze, Fotos von der Erzählung per E-Mail an Klassenlehrerin)

Natur/Mensch/Gesellschaft: Haustiere-Cluster machen, dann Hunderassen-Memory (Hunde auf Papier ausschneiden, auf Karton kleben, wieder ausschneiden). Puli ist ein Hütehund, hütet Schafe und andere Viehherden.

«Hilft es gegen die Panik, in diesen Papiersack zu atmen? Wieviel Alkohol ist im Kühlschrank?»

Zum Blöken. Zum Wiehern. Zum Schreien. Keine Zusammenfassung des Wochen-Solls, nur ein Auszug.

Es stellen sich Fragen: Hilft es gegen die Panik, in diesen Papiersack zu atmen? Wo ist das Angst-Kapitel auf der Meditations-App? Wieviel Alkohol ist im Kühlschrank?

Die Frau kaut Kaugummi. Sie kaut schnell. Der Gruppenchat bimmelt. Die brauchen endlich Inputs!

Aus Überforderung folgt ein hysterisches Lachen. Dann ein Husten. Irgendwie fühlt sich das an wie… ein leichtes Kratzen im Hals?

Von Christian Bürge am 19. März 2020 - 17:17 Uhr