Das schlechte Gewissen ist die Zucchetti unter den Elternemotionen. Ähnlich qualvoll wie das Kind den unbeliebten Sommerkürbis hinunterwürgt, nagt sich das schlechte Gewissen in die gebeutelte Elternseele. Es ist das demokratischste Gefühl überhaupt. Alle Väter, alle Mütter hat es irgendwann schon heimgesucht (euch nicht? Nun, dann könnt ihr das besser als ich. Ich verneige mich und bin neidisch). Getriggert wird das Spukgespenst durch allerhand Verschiedenes. Das ist durchaus individuell – doch diese sieben Situationen gelten vermutlich für alle:
1. Arbeit, Arbeit, Arbeit
Sagen wirs mit Jane Austens vielzitiertem Satz aus «Pride and Prejudice» (Dt. «Stolz und Vorurteil», 1813): «It is a truth universally acknowledged...(es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit)», dass Mütter (ja Mütter, bei Vätern ist das ehrlich gesagt ziemlich selten Thema) für die gesellschaftlich erlaubten 60 Prozent Arbeitspensum gefeiert werden. Überschreitet der Arbeitseifer diese fiktive Grenze, dann ist Feuer im Dach. Allerhand bekommt man zu hören: «Ja weisst du, ich setz halt meine Prioritäten anders», oder «sie sind nur soooooo kurz klein». Auch ein Favorit: «Also ich bewundere dich da voll dafür. Also IIIIIIICH könnte das nicht.» Egal in welchem Wort im Sprachpelz das «oiii, wie kannst du nur» serviert wird – das schlechte Gewissen kommt sofort. Denn ja, selbst gestandene, sogar glückliche Business-Frauen (umgangssprachlich für: Rabenmütter oder Karrieremütter) haben, ACHTUNG, Gefühle und manchmal sogar ein Herz.
2. Die Stay-at-Home-Falle
In einer perfekten Welt, in der Einhörner sich am Teich der Glückseligkeit laben und die Wäsche sich selbst wäscht, würde Punkt 2 nun Punkt 1 auslöschen. Nun, sorry ihr lieben Freunde/Einhörner, so ist das nicht. Denn selbst nicht berufstätige Mütter haben ein schlechtes Gewissen. Nur der Trigger ist ein anderer. Im Angebot hätten wir zum Beispiel das nagende Gefühl, den Kindern nicht 24 Stunden am Tag die volle Aufmerksamkeit zu schenken, quasi die vielbesungene Quality-Time, die aufopfernd-liebevolle-pädagogisch-wertvolle Erziehung 24/7, weil wir auch einfach mal ein Päuschen brauchen.
3. Die Coiffeur-Crux
Egal ob berufstätig oder zuhause bleibend – irgendwann gönnen wir uns ein bisschen Zeit für uns. Manchmal beim Coiffeur, zwischendurch beim Yoga oder einer anderen Sportart der Wahl. Egal welcher Aktivität wir uns zwecks Wiederherstellung eines grundsätzlichen (und ehemaligen) Lebensgefühls wir uns verschreiben: Es nagt und nagt. Denn in dieser sozusagen «gestohlenen Zeit» stellen wir unsere eigenen Bedürfnisse über die unserer Kinder. Auch wenns nur für eine Stunde ist. Und weil wir uns entweder zu Punkt 1 oder 2 bekennen, ist das hier unsere Realität. Dabei haben wir uns diese eine Stunde (oder drei, falls die Haare gefärbt werden müssen!) verdient. Das schlechte Gewissen bleibt trotzdem. Das vibriert auch das lauteste Ooooooohhhmmmmm nicht weg.
4. Die Bastel-Hölle
Basteln gehört zu den seltenen Aktivitäten, die eigentlich alle gut finden. Zumindest vordergründig. Gute Mütter und gute Väter basteln mit ihren Kindern (wahlweise können wir das Basteln durch Gesellschaftsspiele ersetzen). Und wir haben natürlich Spass dabei. Weil Quality Time und so. Es gibt aber Eltern (MON DIEU!) die basteln nicht gerne oder verabscheuen die tägliche Portion Monopoly. Sie haben ein schlechtes Gewissen. Weil irgendjemand, mal irgendwo gesagt hat, dass das meeeeega wichtig ist für den Nachwuchs, Feinmotorik und so. Und wenn dann später in der Schule das Schreibenlernen kommt und die Lehrer Feedback geben: «Ach der Finn-Liam, der muss noch ein bisschen am Schriftbild arbeiten», jagt uns ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Denn wir Anti-Bastel-Eltern, wir sind Schuld. Nur wir.
5. Das Kurztrip-Trauma
Für die Wirtschaft ist dieser Gewissens-Trigger eigentlich ziemlich gut. Schon mal für ein paar Tage ALLEIN irgendwohin gereist (Business oder Fun – schnurzegal. Weg ist weg)? Wer sich noch nie am Flughafen oder in irgendwelchen fernen Innenstädten dabei ertappt hat, ein Geschenk für den Nachwuchs notzushoppen, möge nun gerne schweigen. Wir wollen nicht hören, dass ihr cooler seid als wir. Und vor allem – wir wollen nicht wissen, dass ihr noch nie in die Geschenke-kaufen-wegen-schlechtem-Gewissen-Falle getappt seid.
6. Die Elterngesprächs-Bredouille
Das Kind ist etwas müde in der Schule, macht manchmal nicht mit oder isst beim Schulzmittag etwas unanständig? Das und mehr kommt gerne an den alljährlichen Elterngesprächen mit Lehrerinnen und Lehrern zur Sprache. Auch wenn gute Pädagogen das niemals so formulieren würden (und vermutlich in sehr vielen Fällen auch niemals so interpretiert haben möchten) gehen auch die hartgesottensten Eltern unter uns manchmal geknickt und gebeutelt nach Hause. Logisch, das Kind hat einfach zu wenig Pausen/zu wenig Schlaf/zu wenig was-auch-immer und wir Eltern sind schuld. Weil wirs nicht bringen, so als Eltern. Weil wir zwischendurch so alle Schaltjahre mal zum Yoga/Apéro/Coiffeur gehen.
7. Die Schimpf-Schlaufe
Es passiert den besten Eltern. Wir sind auch keine Engel. Den meisten entgleitet irgendwann mal die Stimme. Wir motzen unsere Kinder an. Was passiert? Sofort spult sich da dieser Film ab, der uns zeigt, wie wir gerade mit dieser einen Entgleisung das Leben unserer Kinder ruiniert haben. Wir schämen uns. Wir sollten uns besser unter Kontrolle haben. Wir haben – und jetzt alle zusammen – EIN SCHLECHTES GEWISSEN.
Supplement: Das eingebildete schlechte Gewissen
Dieses Phänomen ist faszinierend. Manchmal kriegen wir ein schlechtes Gewissen, weil wir ein schlechtes Gewissen haben (das ist nun sehr, sehr META) oder, weil wir zwischen den Zeilen lesen, überinterpretieren (hello Elterngespräch) oder unterstellen. Auch intelligent: Wir werfen dem Partner/Verwandten/den Grosseltern oder insgesamt allen Menschen vor, uns ein schlechtes Gewissen einzureden. Das ist quasi das potenzierte schlechte Gewissen bzw. das schlechte Gewissen unter den schlechten Gewissen.
Was tun?
Das ist eine schwierige Frage. Wir können unseren ungeliebten Begleiter situativ und wahnsinnig pragmatisch weg argumentieren. Wir können uns mit anderen Eltern drüber lustig machen. Wir können es als Fakt akzeptieren. Wir können bei jedem Anfall immer wieder aufs Neue etwas von allem ausprobieren. Die einzige Alternative? Uns damit abfinden. Denn wie wir schon am Anfang festgestellt haben: Das schlechte Gewissen ist wahnsinnig fair – es trifft eigentlich alle. Deshalb: Danke, schlechtes Gewissen. Immerhin bist du ein fairer Hund.