Frau Schiftan, wann kann eine Frau nach der Geburt wieder Sex haben?
Von medizinischer Seite her wird meist empfohlen, sechs Wochen zu warten. Diese Zahl ist aber völlig unterschiedlich. Es gibt Frauen, die bereits zwei Wochen nach der Geburt wieder Lust auf Sex haben und es funktioniert problemlos, oder eben erst nach Jahren.
Trotzdem: Nach der Geburt steht eine Mutter einem völlig veränderten Körper gegenüber. Wie kann sie am besten auf diesen neuen Körper eingehen?
Indem sie ihn tastend kennenlernt. Nach einer sogenannt spontanen Geburt rät man den Frauen, die Vagina während der Wundheilung in den ersten Wochen mit einer Salbe zu behandeln. Ich sage immer: Hört nicht mit dem Sälbelen auf! Macht weiter, nehmt euer Geschlecht mit den Fingern wahr. Wie fühlen sich die äusseren, wie die inneren Schamlippen an? Wie meine Klitoris? Wie der Eingang der Vagina? Was fühlt sich gut an, was nicht?
Viele Mütter haben Mühe mit ihrem veränderten Körper. Dammriss oder Dehnungsstreifen empfinden sie als hässlich.
Unsere Augen sind oftmals gnadenlose Richter. Wir werden zudem über die sozialen Medien überschwemmt mit perfekt inszenierten Traumkörpern. Das sollten wir immer wieder grosszügig ausblenden. Für ein erfülltes Sexleben ist viel wichtiger, was wir tatsächlich empfinden. Die Haut von Dehnungsstreifen zum Beispiel ist viel zarter als die normale Haut. Wie wäre es, wenn wir uns einfach über diese neue Zartheit freuen und sie ins Liebesspiel integrieren?
Was ist mit der Narbe eines Dammrisses?
Bei einer Narbe muss die getrennte oder gerissene Haut sich wieder neu organisieren. Auch was das Fühlen anbelangt. Es hilft also, die Narbe möglichst oft und liebevoll zu streicheln, damit das Gewebe nicht mehr das Signal «Autsch, diese Gegend tut weh», sondern das Signal «Oh, das fühlt sich völlig okay» bis hin zu «richtig gut an» an die zuständigen Synapsen im Hirn weiterleitet.
«Ein erfülltes Sexleben haben wir nicht einfach so.»
Dania Schiftan, Sexualtherapeutin
Sie empfehlen, mit dem eigenen Körper lustvoll in Kontakt zu treten.
Genau. Irgendwann ist die Vagina so weit erholt, dass man Lust hat, sie mit einem oder zwei Fingern zu erkunden. Oder mit mehr oder mit weniger Druck zu experimentieren. So wird die Lust auf Sex Schritt für Schritt wieder geweckt.
Die Lust auf Sex stellt sich nicht einfach so wieder ein?
Wir müssen da mit einem Mythos aufräumen: Ein erfülltes Sexleben haben wir nicht einfach so. Wir müssen üben, üben, üben. Und in Verbindung mit unserem Körper und unserer Lust bleiben. Wollen wir eine Sprache oder ein neues Instrument lernen, ist allen klar, dass wir nur durch ständiges Üben weiterkommen. Nur beim Sex hält sich die hartnäckige Vorstellung, dass das einfach so klappt.
Wie oft sollten wir denn üben?
Wer sein Repertoire erweitern will am besten täglich. Bis das Hirn die Verbindung zu einer neuen Körperempfindung hergestellt hat, braucht es ungefähr 10'000 Wiederholungen. Also wer zum Beispiel täglich zehn Minuten seine Vagina an unterschiedlichen Stellen lustvoll berührt, spürt nach drei Monaten eine Veränderung.
Was, wenn Frauen einfach keine Lust zum Üben haben?
Dann müssen sie sich nicht wundern, wenn ihr Geschlecht quasi einschläft. Und sie wenig bis gar nichts beim Sex mit ihrem Partner empfinden. Wäre schade, oder? Drum: Mütter, weckt euer Geschlecht! Aber ja, um ehrlich zu sein ist Üben in den wenigsten Lebensbereichen lustvoll und muss es auch nicht immer sein.
Da prallen wohl vielerorts Wunsch und Realität aufeinander. Gerade Mütter sind oftmals schlicht zu müde für Sex und dann sollten sie noch üben ...
Oder haben Kopfschmerzen und eben keine Zeit. Es gibt hundert Ausreden. Das ist total verständlich, wenn man unbefriedigenden Sex hat. Sex ist eine ökonomische Angelegenheit. Eine ganz banale Frage von Aufwand und Ertrag. Wenn sich der Aufwand für die Frau nicht lohnt, ist es verständlich, wenn sie lieber eine Runde schläft. Doch wir essen, auch wenn wir müde sind und keine Lust dazu haben. Weil wir wissen, dass wir das brauchen und es uns gut tut. Diese Veränderung kann es auch beim Sex geben, wenn man ihn durchs üben anders erlebt.
«Guter Sex ist eine unglaublich starke Energiequelle. Die sollten wir uns nicht entgehen lassen.»
Dania Schiftan, Sexualtherapeutin
Von wegen Üben: Der Beckenboden wird nach der Geburt in der Regel kräftig trainiert. Das ist doch gut fürs Sexleben, oder?
Wenn es richtig gemacht wird schon. Das Problem beim Beckenbodentraining ist allerdings, dass der Fokus meist nur auf der Anspannung liegt. Dabei wäre die Entspannung genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger.
Weshalb?
Viele Frauen kennen Erregung nur über Anspannung. Erregung über Entspannung ist aber genau so möglich, lustvoll und interessant. Dabei geht es ums Loslassen, ums sich Hingeben. Das fällt vielen Frauen schwer.
Wie übt man Entspannung?
Beim Beckenbodentraining gibt es diese Liftübung. Man spannt die Muskeln zwischen Vagina und Anus an und fährt dann langsam in den ersten, zweiten und dritten Stock hoch, indem man die Muskeln konstant anspannt. Das sollte man auch umgekehrt praktizieren, also vom dritten Stock langsam runter in den ersten und sogar ins Kellergeschoss, wo man die Muskeln dann vollständig loslässt.
Es braucht beim Sex also einen guten Mix aus An- und Entspannung.
Genau. Man könnte auch sagen einen guten Mix aus Aktivität und Passivität. Oder Führen und sich Hingeben. Es gestaltet das Sexleben jedenfalls viel abwechslungsreicher und intensiver.
So könnte man sein Liebesrepertoire, das bei vielen nur aus «Ali mini Entli schwümed uf em See» besteht, um Mozart und die Beatles erweitern.
Das wäre doch grossartig, oder? Guter Sex ist eine unglaublich starke Energiequelle. Die sollten wir uns nicht entgehen lassen.