In den USA gilt New York als Epizentrum der Corona-Krise. Die Stadt verzeichnet bisher über 150'000 bestätigte Fälle, mehr als 11'000 Menschen sind bereits am Virus gestorben. Eine Beruhigung der Situation ist nicht in Sicht.
Die Schweizer Musical-Darstellerin Eveline Suter, 40, lebt mit ihrem Verlobten, US-Regisseur Danny Stillman, Söhnchen Findley, fünf Monate, und Familienhund Jack in New York und erzählt im Interview, wie sich ihr Alltag in dieser aussergewöhnlichen Situation verändert hat.
Eveline Suter, wie geht es dir und deiner Familie?
Uns geht es sehr gut und wir sind gesund. Wir nutzen diese Zeit für Hobbys und sind natürlich schwer beschäftigt mit unserem kleinen Sohn Findley.
Ihr seid vor Kurzem mit eurem Kind nach New York gezogen. Bereust du es, nicht in der Schweiz zu sein?
Wir haben uns vor zwei Monaten noch überlegt, zurückzukommen, aber wir hatten uns aus verschiedenen Gründen dagegen entschieden. Aber ja, mir fehlt die Schweiz sehr.
New York ist die Stadt, die niemals schläft – hat sie sich in Zeiten von Corona verändert?
Es hat sich alles komplett verändert. Normalerweise ist die Strasse in der wir wohnen, zwischen Amsterdam Avenue und Broadway, total laut, spätestens um fünf Uhr morgens geht es los. Nun hört man in die Vögel zwitschern, sogar in der ganzen Stadt. Nach sechs Uhr abends sieht man fast nur noch Hundehalter, die ihre Fellnasen Gassi führen. Ich sehe viele kleine Geschäfte, die ausgeräumt und geschlossen sind, vor der Tür ein Schild, auf dem «zu vermieten» steht. Es ist wie in einer Geisterstadt und die Strassen sind sauber wie noch nie.
Berichten zufolge soll in New York die Stimmung so sein, wie nach 9/11. Wie schätzt du das ein, trifft dieser Vergleich zu?
Ich kann das persönlich nicht beurteilen, da ich nach 9/11 nicht hier war. Jedoch höre ich von New Yorkern, dass es sogar schlimmer ist als damals. 9/11 hatte einen Anfang und ein Ende. Jetzt weiss man einfach nicht, wann es vorbei sein wird. Das macht es so hoffnungslos.
In Amerika besteht keine Krankenversicherungs-Pflicht. Was denkst du darüber?
Jeder sollte eine Krankenversicherung haben. Menschen, die sie sich nicht leisten können, sollten unterstützt werden. Es darf nicht sein, dass zum Beispiel schwer kranke Eltern sich überlegen müssen, ob sie eine teure Behandlung machen sollen, die sie zwar wieder gesund machen könnte, gleichzeitig aber auch die ganze Familie in die Schulden stürzt. Viele gehen hier viel zu lange nicht in Behandlung, weil sie Angst vor den Kosten haben.
Gibt es Berührungspunkte zwischen deinem Leben und dem der Menschen, die aufgrund von Corona ihre Jobs und Existenzen verlieren?
Natürlich gibt es die. Viele Jobs sind betroffen, auch in unserer Familie. Ich habe so viele Künstler-Freunde, aber auch Freunde aus anderen Branchen, die total verzweifelt sind. Viele Künstler haben kein grosses finanzielles Polster, da es ja sowieso schon oft nicht super bezahlte Jobs sind, die sie normalerweise bekommen. Und jetzt geht gar nichts mehr. Natürlich beschäftigt mich das. Die versprochene Hilfe kommt nicht so schnell, man muss Geduld haben.
Im Moment werden keine Filme gedreht oder Musicals aufgeführt. Wie bestreitet ihr denn euren Lebensunterhalt?
Mein Partner bespricht gerade ein grösseres Projekt mit einem grossen Studio. Es wäre eine «Virtual Production», welche komplett in einem Studio gedreht werden könnte, niemand müsste dafür reisen. Ich hoffe, es klappt. Ansonsten sind beide unsere Branchen total lahmgelegt. Das macht natürlich Angst. Ich denke, die Film- und Fernsehindustrie wird sich schneller und besser erholen. Was die Theaterwelt angeht, habe ich meine Bedenken. Ich glaube, da werden wir kreativ sein müssen. Wie immer das auch aussehen wird.
«William, einem Obdachlosen, bringen wir täglich Essen und andere Dinge, die er brauchen kann.»
Wie sieht dein Alltag im Moment so aus? Wie haltet ihr euch bei Laune?
Mein Partner ist wie gesagt mit seinem Projekt beschäftigt und lernt Deutsch, was mich total freut. Wir kochen sehr viel und machen Sport. Ich singe und feile an meinem Italienisch und meinen noch immer sehr bescheidenen Gitarrenkünsten. Wir haben natürlich auch alle Hände voll zu tun mit unserem Sohn Findley. Eigentlich wollten wir in eine grössere Wohnung ziehen, aber das ist nun natürlich verschoben. Und dann bringen wir unserem «Nachbarn» William, einem Obdachlosen, jeden Tag Essen und andere Dinge die er brauchen kann. Ich kenne ihn, seit ich 2016 hergezogen bin. Er ist ein älterer, sehr liebenswürdiger Herr, der sich immer bedankt. Menschen wie ihn trifft es jetzt sehr hart. Wir dürfen sie nicht vergessen. Was ich auch täglich mache, ist Vögel füttern. Da die ganzen Touristen weg sind, fehlt es auch ihnen an Nahrung.
Wie informierst du dich über die aktuelle Lage?
Ich informiere mich vielseitig, bei der New York Times, mit der SRF-App, beim Blick und in deutschen und österreichischen Medien. Bei uns läuft auch viel CNN. Aber oft stelle ich tagsüber alles ab. Ich will im Moment sein und mich nicht verrückt machen lassen. Die Breaking- und Bad News gehen mir manchmal echt an die Nieren. Deshalb besuche ich täglich eine Seite die «Good News» heisst. Die haben nur gute Nachrichten. Ich liebe es!
Wie geht ihr mit der Virus-Gefahr um?
Wir halten uns an die Regeln und tragen draussen einen Mundschutz, das ist hier Pflicht. Gleichzeitig versuchen wir, uns nicht verrückt zu machen.
Was vermisst du und was wünschst du dir?
Ich vermisse die Schweiz, meine Familie und Freunde, das Theater und meinen Job als Sprecherin für die Blindenbibliothek in der Schweiz. Dieser Job liegt mir sehr am Herzen. Aber sonst vermisse ich nichts! Ich habe alles, was ich brauche: Gesundheit, meinen Partner, meinen Sohn, der mich täglich anstrahlt, meinen coolen Hund, eine kleine, aber schöne und gemütliche Wohnung in der Nähe des Parks, ein kleines finanzielles Polster sowie Familie und Freunde, die nach uns fragen. Ich bin endlich Mutter und sogar bald verheiratet. Ich habe meine Yogamatte, wir haben genug zu essen, frisches Wasser, täglich eine warme Dusche und ein warmes Bett. Gerade in dieser Zeit wird mir bewusst, wie privilegiert wir mit unserem Leben sind.
Welche Lehren ziehst du aus der Corona-Krise?
Mehr denn je schätze ich, was ich habe, wen ich habe und wie viel ich habe.