Wenn Nora Artico ins Erzählen kommt, sprudeln die Fachbegriffe nur so aus ihr heraus. Ihre Worte überschlagen sich, ihre Augen leuchten. Interessiert die Baslerin etwas, fragt sie nach, wieder und wieder, bis sie alles verstanden hat. Manchmal huscht ein verlegenes Lächeln über ihr Gesicht – ein Moment, der ihre jugendliche Leichtigkeit durchblicken lässt.
Ihre Neugier führte die Baslerin an Orte wie den Basler Zolli. Für ihre Maturaarbeit am Gymnasium Münchenstein sammelte sie dort Tierkot von Elefanten, Stachelschweinen, Minipigs, Gorillas, Schimpansen, Orang-Utans sowie Nashörnern. Ihr Ziel: sogenannte Phagen, also Viren zu finden, die gezielt Bakterien angreifen und abtöten. Diese winzigen Helfer könnten im Kampf gegen antibiotikaresistente Keime – eine der grössten Herausforderungen der Medizin – entscheidend sein. Jährlich sterben in der Schweiz laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) rund 300 Menschen an Infektionen mit resistenten Erregern. Weltweit bewegen sich die Zahlen im Millionenbereich.
Vom Zolli ins Forschungslabor
«Phagen könnten in Zukunft Leben retten», sagt Nora begeistert. Dafür nimmt sie den Gestank des Tierkots bei ihrer Arbeit gern in Kauf. Obwohl das ganz schön übel gewesen sei. «Der Kot des Stachelschweins hat mit Abstand am schlimmsten gerochen», erzählt sie und verzieht das Gesicht. «Aber man gewöhnt sich irgendwann daran», meint sie pragmatisch.
Die Idee zu ihrem Projekt kam ihr nach einem Vortrag der Uni Basel zu Antibiotikaresistenzen. «Ich war sofort fasziniert», erinnert sie sich. Im Jahr darauf stand sie bereits im Labor von Professor Alexander Harms (37) an der ETH Zürich. Zusammen mit Dr. Enea Maffei (31) entwickelte sie ein Konzept, um Abwasser, Bodenproben und Tierkot systematisch auf Phagen zu untersuchen. «Die Ergebnisse waren von Anfang an vielversprechend», so Harms.
Tatsächlich wird Nora fündig. Im Elefantenkot entdeckt sie eine Art Bakteriophagen, im Abwasser vier weitere. «Die Arbeit zeigt, wie wichtig es ist, jungen Forschenden Raum für ihre Ideen zu geben», betont Enea Maffei. Noras Engagement sei aussergewöhnlich. Sie investierte unzählige Stunden in ihre Forschung – mit einer Leidenschaft, die inspiriert.
In die Wiege gelegt
«Nach einem Tag mit Nora ist man erschöpft», gesteht Harms lachend. «Sie stellt Fragen, die einen selbst ins Grübeln bringen.» Scheitert ein Experiment, analysiere sie unermüdlich, woran es gelegen habe, und versuche es erneut. Schon als Kind schnupperte Nora Artico Laborluft. Ihre Eltern, beide in der Pharmaindustrie tätig, nahmen sie gelegentlich in Forschungseinrichtungen mit. «Ich habe früh gelernt, wie spannend Naturwissenschaften sein können.»
Trotzdem war ihr Weg in die Mikrobiologie nicht vorgezeichnet. «Ich wollte Chemikerin werden.» Doch die Welt der Mikroorganismen fesselte sie stärker. Neben der Wissenschaft hat Nora auch andere Vorlieben: «Ich lese gern Bücher und gehe schwimmen.» Doch meist ziehe es sie zurück ins Labor. «Ich will wissen, wie es mit meinen Entdeckungen weitergeht.»
«Ich hoffe, ich erlebe noch, wie die Phagen, die ich gefunden habe, Leben retten»
Nora Artico
Ihre Forschung könnte nicht nur Menschen, sondern auch Tieren helfen. Zootierarzt Christian Wenker, der Nora die Tierkotproben zur Verfügung gestellt hat, erklärt: «Antibiotikaresistenz ist auch bei Wild- und Zootieren ein wachsendes Problem.» Phagen könnten hier eine Alternative sein, um resistente Bakterien zu bekämpfen, ohne Antibiotika einzusetzen. Darum hat der 56-Jährige die Maturaarbeit stets gespannt mitverfolgt. «Ich finde es beeindruckend, was Nora geleistet hat», so Wenker.
Zwischenstation mit Aussicht
Nora Articos Arbeit wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Sie gewann den ersten Preis bei «Schweizer Jugend forscht» und vertrat die Schweiz beim EUCYS-Wettbewerb in Polen, der Europameisterschaft für junge Wissenschaftler. «Ich freue mich über die Anerkennung, aber wichtiger ist mir, dass die Forschung weitergeht», sagt sie bescheiden. Nach ihrer Maturaarbeit begann Nora ein Praktikum am Biozentrum der Universität Basel. «Ich möchte nächstes Jahr ein Studium beginnen», betont sie. Doch momentan geniesst sie es, praktische Erfahrung zu sammeln.
Ihr grosser Wunsch? «Ich hoffe, ich darf noch erleben, wie die Phagen, die ich gefunden habe, Teil einer Therapie werden, die Menschen das Leben retten kann.»