Mein Bub (5) möchte gerne ein Mädchen sein. Er nennt sich Lilly, abgeleitet von Prinzessin Lillifee, trägt rosa Röcke und Haarspangen von seiner älteren Schwester und möchte sich die Haare wachsen lassen. Auch im Kindergarten spielt er nur mit Puppen und Mädchen. Buben interessieren ihn überhaupt nicht. Kann es sein, dass mein Sohn ein Transgender-Kind ist? Bislang habe ich gar nicht gross reagiert und ihn machen lassen. Doch was soll ich tun? Ich traue mich nicht, mit der Kindergärtnerin zu sprechen.– Lisa (34)
Liebe Lisa
Es ist mutig, dass du dich dem Thema annimmst und dich informierst, statt wegzuschauen, deinem Sohn Kleidervorschriften zu machen und ihn eventuell sogar zu beschämen für seine Gefühle.
Es gibt tatsächlich Kinder, die schon im Alter von drei Jahren wissen, dass sie in ihrem biologischen Körper falsch sind. «Es ist aber auch sehr gut möglich, dass es nur eine Phase ist. Das Gefühl der Unzufriedenheit mit dem eigenen Geschlecht kann in jedem Alter und in unterschiedlicher Intensität auftauchen – es muss nicht immer von Dauer sein», sagt Dagmar Pauli, Genderspezialistin und Chefärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie Zürich.
Eltern sollten daher möglichst offen und unverkrampft mit dem Thema umgehen. Ein geschlechtsatypisches Verhalten bedeute zudem nicht, dass auch eine Unzufriedenheit mit der Geschlechtszuweisung vorliege.
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Der Bub meiner Freundin versuchte sogar, sich im Alter von drei Jahren den Penis abzuschneiden, weil er lieber ein Mädchen sein wollte. Wie seine engsten Freundinnen bevorzugte er pinkfarbene, glitzernde Röcke und verlangte im Schuhladen nach rosaroten Gummistiefeln.
Meine Freundin reagierte mit grosser Klasse! Sie nahm die Gefühle ihres Sohnes ernst, machte aber keine grosse Sache daraus. Als er immer wieder nach Mädchenkleidern verlangte, gab sie nach und kaufte ihm rosa Shirts, setzte ihm aber klare Grenzen. So durfte er nur daheim seine Wunschfarben tragen. Zu gross war ihre Angst, dass er sonst ausgegrenzt und ausgelacht würde.
Dabei sind es wir Eltern, die werten, und nicht die Kinder. «Den Kindern ist es zunächst mal egal, welche Farbe die Gummistiefel ihrer Freunde haben. Es sind die Erwachsenen, die den Kindern vermitteln, dass bestimmte Farben nur für Mädchen oder für Jungen bestimmt sind», sagt Pauli.
Laut der Gender-Spezialistin sollten betroffene Eltern ihren Nachwuchs gewähren lassen und möglichst kein Gegensteuer geben. «Es empfiehlt sich, abzuwarten und das Kind so anzunehmen, wie es ist», sagt Pauli. Erst wenn das Kind einen Leidensdruck zeige und wirklich in die andere Geschlechtsrolle wechseln möchte, sollen Eltern auch das Umfeld informieren.
"Generell gilt, je grösser der Leidensdruck und je stärker der Wunsch ist, einem anderen Geschlecht anzugehören, umso wahrscheinlicher ist es, dass es so bleibt»,
Dagmar Pauli, Genderspezialistin und Chefärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie Zürich
Es gibt jedoch kein Richtig oder Falsch und auch keinen «typischen Verlauf», wie die Fachfrau sagt. «Generell gilt, je grösser der Leidensdruck und je stärker der Wunsch ist, einem anderen Geschlecht anzugehören, umso wahrscheinlicher ist es, dass es so bleibt», erklärt Pauli und betont aber: «Nicht alle Kinder, die sich dies wünschen, werden im Erwachsenenleben auch Transgender. Nach der Pubertät ändert sich die Geschlechtsidentität deutlich seltener.»
Liebe Lisa, wie auch immer die Geschichte deines Sohnes endet: Entscheidend ist doch, dass du deinen Sohn so annimmst und liebst, wie er ist.
Herzlich, Romina
Unsere Expertin für Familienfragen
Nie waren Eltern so gut informiert wie heute. Und nie war es schwieriger, im Dschungel aus Ratgebern und Internetforen den besten Weg für den eigenen Nachwuchs zu finden. Unsere Familien-Expertin Romina Brunner hilft, Ordnung zu schaffen. Regelmässig berät die zweifache Mutter und Journalistin die SI-Family-Community zu Themen und Fragen aus dem Familienalltag.