Der Fernseher ist bei uns ein ewiger Streitpunkt. Für unsere dreijährige Tochter hat meine Frau die Bildschirmzeit zum Tabu erklärt, unsere Fünfjährige lässt sie nur am Wochenende Pingu gucken. Ich befürchte, dass durch ihre Strenge unsere Kinder in der virtuellen Welt nicht mithalten können. - Beat (29)
Lieber Beat
Ganz ehrlich, ich stehe auf der Seite deiner Frau. Unsere Kinder dürfen auch nicht fernsehen. Es gibt für mich keinen Grund, ein Dreijähriges schon vor die Flimmerkiste zu setzen. Trotzdem finde ich es stark, dass du dich überhaupt mit dem Thema auseinandersetzt! Zu deiner Verteidigung: Auch mein Mann sieht das lockerer.
Habt ihr auch ein Thema, das euch beschäftigt? Dann schreibt ein Mail an romina@schweizer-illustrierte.ch
Laut meinen Beobachtungen scheint sich der frühe Fernsehkonsum aber zunehmend durchzusetzen. So jedenfalls nehme ich das als Mami wahr. Da gibt es Eltern, die ihre Zweijährigen schon Sandmännchen und Pingu schauen lassen. Oder Mütter, die ihre Kinder vor dem Abendessen eine Stunde vor den Bildschirm setzen, während sie das Essen zubereiten. Eine Win-Win-Situation, sagen sie.
Ich kenne aber auch Mamis, die ihre Kinder TV schauen lassen, damit sie in Ruhe ein Mittagsschläfchen machen können. «Irgendwann muss man ja Energie tanken», argumentieren sie. Letzteres finde ich besonders schwierig, da die Knirpse sich selbst überlassen sind. Wie leicht ist doch der Kanal gewechselt. Und wie schnell bekommen die Kinder Angst vor scheinbar harmlosen Figuren.
«Der Ruhe zuliebe den Fernseher einzuschalten, ist ein einziger Egotrip der Eltern.»
Erwachsenenbildnerin Susanne Baldini
Erwachsenenbildnerin Susanne Baldini sagt denn auch klar: «Der Ruhe zuliebe den Fernseher einzuschalten, ist ein einziger Egotrip der Eltern.» Vor dem Bildschirm seien Kinder einer Fülle von optischen Reizen ausgesetzt, die sie im Vorschulalter nicht einzuordnen vermögen. «Kleinkinder sollten daher visuell möglichst nicht stimuliert werden», sagt Baldini. Sie verpassen auch nichts: «In der Schule kommen sie noch früh genug mit der digitalen Welt in Berührung», so die Expertin.
Baldini verweist auf Studien von Hirnforschern wie Manfred Spitzer oder Gerald Hüther. «Für den Aufbau der wichtigsten neuronalen Schaltkreise im Hirn brauchen Kinder vor allem eigene Körper- und Sozialerfahrungen. Und die sammelt der Nachwuchs nicht vor dem Bildschirm, egal welches Programm läuft», sagt Hüther.
Vielmehr werden Kinder vor dem Fernseher der Erfahrung beraubt, selber etwas gestalten und auslösen zu können: «Sie brauchen die frühe Erfahrung, dass sie etwas bewirken können: Die Mama zum Lächeln bringen, etwas greifen, Worte nachsprechen und eine Reaktion darauf bekommen.»
Laut Manfred Spitzer belegen Untersuchungen zudem, dass Kinder, die schon mit zwei oder drei Jahren viel vor dem Fernseher sassen, in den ersten Schuljahren Gleichaltrigen, die wenig TV konsumiert haben, unterlegen sind. Sie kennen weniger Wörter und lernen langsamer lesen. Spitzer: «TV im Vorschulalter führt zu schlechteren Leistungen im Lesen und Schreiben. Und die Kinder lernen auch langsamer hinzu als Wenigseher.»
Lieber Beat, ich denke, dass deine Angst unbegründet ist. Gerne empfehle ich dir, dich weiter in die Thematik einzulesen. Meine Buchtipps an dich wären:
«Vorsicht Bildschirm! Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit und Gesellschaft» von Manfred Spitzer (ISBN: 9783423343275)
«Wie Kinder heute wachsen. Natur als Entwicklungsraum. Ein neuer Blick auf das kindliche Lernen, Fühlen und Denken» von Herzbert Renz-Polster und Gerald Hüther (ISBN: 9783407859532)
Herzlich, Romina
Unsere Expertin für Familienfragen
Nie waren Eltern so gut informiert wie heute. Und nie war es schwieriger, im Dschungel aus Ratgebern und Internetforen den besten Weg für den eigenen Nachwuchs zu finden. Unsere Familien-Expertin Romina Brunner hilft, Ordnung zu schaffen. Regelmässig berät die zweifache Mutter und Journalistin die SI-Family-Community zu Themen und Fragen aus dem Familienalltag.