Pascal Bourquin lacht. «Doch, ein bisschen verrückt bin ich schon», sagt der 52-jährige Fernsehjournalist aus Moutier BE, «mindestens an zwei Tagen in der Woche.» Denn er ist jedes Wochenende am Wandern, seine Freundin und seine Tochter müssen dann auf ihn verzichten. Und das seit Dezember 2013.
Damals startete der ehemalige Marathonläufer sein ambitioniertes Projekt. Es heisst «La Vie en jaune», «Das Leben in Gelb» – so gelb wie die Wanderwegweiser in den Alpen. Bis 2041, also innerhalb 28 Jahren, will er das gesamte Wanderwegnetz der Schweiz abmarschieren. 65 000 Kilometer!
Über 12 000 Kilometer hat Bourquin schon zurückgelegt, fast 20 Prozent der Gesamtstrecke. 50 Kilometer jede Woche. Schon 4000 von 8000 in den Walliser Alpen. «Die Schweiz ist ein ideales Wanderland. Schade, dass 90 Prozent der Wanderer nur auf 10 Prozent aller Wanderwege unterwegs sind.»
Trittfest und schwindelfrei sollte man sein
An eine Wanderung erinnert sich Bourquin besonders gern: an das Äussere Barrhorn! Zuhinterst im Walliser Turtmanntal gelegen, ist es mit 3610 Metern der höchste Wanderberg der Alpen, der ohne Seil und Steigeisen bestiegen werden kann. Doch trittfest und schwindelfrei sollte man sein. Und konditionell in Form. Der Schwierigkeitsgrad der Route wird mit T3+ angegeben: anspruchsvolles Bergwandern. Fredy Tscherrig, 52, seit 1997 Hüttenwart der Turtmannhütte: «Die Route ist nicht einfach!»
Das Barrhorn nimmt Vielwanderer Bourquin am 31. August 2016 in Angriff. Es ist seine Wanderung Nummer 317. Er hat in Gruben im Turtmanntal im Hotel Schwarzhorn übernachtet. Um acht Uhr morgens startet er in oranger Windjacke und mit gutem Schuhwerk.
Der Weg führt über satte Alpweiden dem Bach Turtmänna entlang. Bourquin joggt. Nach dem Turtmannsee gehts dann richtig embrüf! Zur Turtmannhütte auf 2519 Meter über Meer, sie gehört der jurassischen SAC-Sektion Prévôtoise. Die Wiesen um die Hütte beglücken durch ihre Blütenpracht: Edelweiss, Enzian und Männertreu wachsen hier. In der Gegend hat Hüttenwart Tscherrig Klettergärten eingerichtet.
Rösti in der Turtmannhütte
Doch Bourquin drängts weiter, über Geröll- und Felshänge, an Drahtseilen hangelt er sich das Gässi empor, ein brutal stotziges Felscouloir. Dann auf der Moräne dem Brunegggletscher entlang in steilen Kehren zum Schöllijoch. Weiter zum Inneren Barrhorn, dann nochmals richtig steil rauf aufs Äussere Barrhorn. Die Luft ist dünn, Bourquin schreibt sich ins Gipfelbuch ein, stürmt los auf den Rückweg. In der Turtmannhütte isst er eine Rösti.
Im Eilschritt weiter embri! Gegen 14 Uhr ist der Turbo-Wanderer zurück in Gruben, wo er die Füsse mit Nok-Salbe pflegt. Die 30 Kilometer und 3600 Höhenmeter hat er in fünf Stunden geschafft. «Für die meisten Wanderungen brauche ich die Hälfte der angegebenen Zeit.» Normalsterblichen wird empfohlen, die Barrhorn-Tour in zwei Tagen zu machen – mit Übernachtung in der Turtmannhütte.
Auch 2018 ist der Kilometerfresser viel im Wallis unterwegs: Er nimmt sich das Val de Bagnes und das Mattertal vor. Das Mittelland steht gegen Ende seines Projekts auf dem Programm. «Mit 70 Jahren werde ich ja nicht mehr so fit sein.»
2041 wird die Schweiz 750 Jahre alt, beim Geburtstagsfest will Bourquin auf dem Bundesplatz in Bern einlaufen und rufen: «Ich habe es geschafft!»
So nah!
Näher, als man denkt: Die Walliser Berge sind von einem grossen Teil der Schweiz aus in nur wenig mehr als drei Stunden erreichbar. Besonders schnell gehts von der Deutschschweiz aus mit der Bahn durch den Lötschberg-Basistunnel oder mit dem Autoverlad am Lötschberg. Wer auf Genuss setzt, nimmt den «Lötschberger» der BLS und fährt über die alte, landschaftlich spektakuläre Strecke.