Wem italienisches Blut durch die Adern fliesst, muss der Anzug wie angegossen passen – könnte man zumindest meinen. Simone Billi, 42, betrachtet sich kritisch im Spiegel. Er steht in einer römischen Herrenboutique und probiert einen königsblauen Anzug an. «Leinen ist viel besser für den Sommer. Und es sieht gut aus.» Ist Stil wirklich unverzichtbar für die Italiener? «Ach was – es ist nicht wichtig für uns, wir werden einfach mit Stil geboren!»
Roma, città bella! Die Hauptstadt Italiens. Seit den Wahlen im März ist Billi Abgeordneter für die rechtsnationale Partei Lega. Er vertritt im Parlament die Auslandsitaliener. Seit sechs Jahren wohnt der Florentiner in Wettingen AG in der Schweiz. «Wettingen ist meine Heimat – mein Lebensmittelpunkt», sagt er. Deutsch spricht er aber trotzdem nicht. «Wir haben eine grosse italienische Gemeinschaft im Aargau, ich kann immer italienisch reden.» Wäre es für die Integration nicht besser, wenn er Deutsch könnte? «Klar wäre es besser. Aber ich bin halt kein perfekter Mann», sagt er wie ein Junge, der gerade mit einem Streich davongekommen ist.
Vor dem Palazzo Montecitorio, der Abgeordnetenkammer des Parlaments, stehen zwei Wachleute wie Türme vor dem Eingang. Sie sehen die Kamera der Fotografin. Ob sie eine Bewilligung habe? «Keine Chance, in den Palazzo zu kommen ohne Bewilligung!» Die Sicherheitsleute reden von der «sicurezza nazionale», der nationalen Sicherheit. Ohne Bewilligung der zuständigen Behörde gehe gar nichts! Billi tippt in sein Smartphone – geht kurz raus, um zu telefonieren. 15 Minuten später sind die Reporterin und die Fotografin samt Kamera drin – in den Büros der Lega. Ob das auch in der Schweiz möglich gewesen wäre?
Billis Arbeitsplatz ist noch nicht fertiggestellt. «Non c’è problema», wir können in das Büro von Lega-Chef und Innenminister Matteo Salvini, 45. Er sei gerade nicht hier.
Die italienische Politik ist in den letzten Wochen vor allem durch Chaos aufgefallen – und durch umstrittene Aussagen von Matteo Salvini. Der Hardliner schockiert mit Statements wie: «Wir brauchen eine Massensäuberung. Strasse für Strasse. Quartier für Quartier.» Er möchte die illegal im Land lebenden Sinti und Roma zurück in ihre Heimatländer verfrachten. «Es ist wirklich so, dass gewisse Quartiere in unseren Städten ausser Kontrolle sind», sagt Billi dazu. Mit dieser Ansicht ist die Lega nicht alleine im Land. 72 Prozent aller Italiener befürworten die radikale Haltung. «Wir brauchen mehr Kontrolle über die Migranten. Genau so wie in der Schweiz», sagt Billi. «Da sind die Grenzen auch nicht für jeden offen!»
Kurz vor Mittag ist es Zeit für eine Pause. Billi geht mit Parteikollege Domenico Furgiuele, 35, vis-à-vis in ein Caffè in einer typischen schmalen Gasse der Altstadt. «Simone ist schon ein echter Schweizer. Er ist bei Sitzungen immer der Einzige, der pünktlich ist», sagt Parteifreund Furgiuele über seinen Kollegen. Der Bauunternehmer aus Kalabrien ist wie Billi seit März im Parlament. Ihre Partei hatte bei den Wahlen Anfang März den Stimmenanteil auf knapp 18 Prozent gesteigert und damit im Vergleich zu 2013 mehr als vervierfacht. Es war der mit Abstand grösste Zuwachs unter allen Parteien.
Simone Billi wuchs in Florenz auf. Er engagierte sich schon als junger Mann in der Lokalpolitik, studierte dann aber Maschineningenieurwesen und später Jura in Strassburg, Frankreich. Dann kam Billi in die Schweiz und arbeitete für den französischen Zughersteller Alstom in Baden AG. Doch die Politik liess ihn nie richtig los. Als ein Freund vorschlug, er solle die Auslandsitaliener in Rom vertreten, packte er die Chance – und wurde von den Landsleuten in Europa gewählt. Die 4,3 Millionen im Ausland lebenden Italiener können zwölf Kammer-Abgeordnete und sechs Senatoren wählen, die ihre Interessen in Rom vertreten. «Die Politik war immer meine Leidenschaft – jetzt ist sie mein Fulltime-Job geworden. Das freut mich sehr.» Im Parlament setzt Billi sich für die Erhaltung der italienischen Sprache in Europa ein und für eine tiefere Besteuerung von Zweitwohnungen der Auslandsitaliener in ihrer Heimat. Für das Mandat hat er seinen Job beim Transportunternehmen aufgegeben.
In Rom ist er normalerweise drei Tage in der Woche. Dann schläft er in Florenz bei seinem Vater und dessen Freundin. «Aber ich bin kein Klischee-Italiener, der noch zu Hause wohnt. Ich bin sehr unabhängig!» Billi möchte eine Wohnung in Rom suchen. «Aber das hat noch Zeit.» Ob er verheiratet ist? «Nein, nein, dafür bin ich zu jung!» Letzten Sommer hat er sich von der Freundin getrennt, Kinder möchte er irgendwann aber doch haben.
Simone Billi ist sehr charismatisch – er weicht keiner Frage aus und weiss jede immer diplomatisch zu beantworten. Er lebt in der Schweiz als Ausländer – ist das kein Gegensatz zu den Aussagen seiner Partei? «Ich habe Rechte und Pflichten in der Schweiz, in Italien kommt es einem manchmal vor, als ob alle Migranten nur Rechte hätten.» In der Schweiz sei es so mit der Migrationspolitik, wie es die Lega auch für Italien wolle.
Als Abschluss des Tages nimmt sich Simone Billi ein Gelato und läuft durch die Gassen Roms. «In meinem nächsten Leben werde ich Glaceverkäufer.», sagt Billi und lacht.
«Wir sind Ausländer erster Klasse»
Italiens führende Politiker machen Stimmung gegen Zuwanderer. Wie es ist, als Ausländer in Rom zu leben, erzählen drei Schweizer.