Es hat sich längst herumgesprochen: Tel Aviv ist die Schwulenhauptstadt des Nahen Ostens. Wer sich in Tel Aviv nach einem schmusenden, gleichgeschlechtlichen Paar umdreht, ist nicht von hier. Wer grosse Augen macht, wenn ein Mann mit Lippenstift durch die Strasse geht, ist nicht von hier. Wer sich den Kopf nach händchenhaltenden Frauen verdreht, ist nicht von hier.
Tel Aviv sticht vor allem im Nahen Osten als Insel des Liberalismus hervor. Im orthodoxen Jerusalem oder in arabischen Städten wird Homosexualität natürlich seltener so akzeptiert, wie hier. Es überrascht demnach nicht, dass homosexuelle Israelis Tel Aviv als Heimat wählen. Entstanden ist über all die Jahre die selbsternannte «most gay friendly city in the world».
Das führt natürlich auch dazu, dass jedes Jahr tausende von Touristen nach Tel Aviv reisen. Insbesondere zur Pride-Week platzt die Stadt aus allen Nähten. Im letzten Sommer zählte man hier über eine viertel Million Pride-Tanzende, aus dem In- und Ausland. Ein Rekordjahr!
Im Meir-Park, dem zentralsten Park der Stadt, steht prominent das städtische LGBT-Center. Direkt nebenan steht das landesweit erste Denkmal für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus. Vor fünf Jahren wurde es errichtet. Ein starkes Statement der Stadtregierung.
Es war auch die Stadtverwaltung, welche die erste «Miss Trans Israel»-Wahl 2016 unterstützte. Diese fand im Nationaltheater, der Habima statt, direkt am Ende des Rothschild-Boulevards. Gewonnen hatte Talleen Abu Hanna, eine arabische Israelin aus Nazareth. Die Veranstaltung erfreute sich nicht nur nationaler, sondern auch internationaler Aufmerksamkeit. Die Aufmerksamkeit war den Veranstaltern vor allem deshalb sicher, weil man im gesamten Nahen Osten natürlich vergebens nach Vergleichbarem sucht.
Auch Drag-Queens tummeln sich in der Stadt und die meisten von ihnen sind längst lokale Berühmtheiten geworden. Man sieht sie nicht nur durch die Nacht spazieren, sondern auch im Fernsehen und Magazinen. Drag ist hier keine Nische. Drag ist Teil des Lebensgefühls Tel Avivs.
Aber die Gay-Szene in Tel Aviv ist nicht für ihre Miss-Wahl oder Denkmäler bekannt, sondern für ihre Party-Freude. Es gibt dutzende von Gay-Bars, Gay-Clubs oder Gay-Parties. Die Auswahl ist so gross, dass man in der Szene gerne witzelt «Tel Aviv ist eine hetero-freundliche Stadt». Versteckt liegen die Locations keineswegs. Von Weitem sieht man die Regenbogen-Fahnen.
Viele Bars, wie zum Beispiel das «Shpagat» im Zentrum, sind zwar als Gay-Locations deklariert, erfreuen sich aber auch eines Hetero-Publikums. Homophobie und Berührungsängste gibt es hier kaum. Und zu allen Bars, Clubs und Kaffees kommt der Gay-Strand. Direkt vor dem Hilton-Hotel leuchten die sonst braunen Cabanas am Strand Tel Avivs in Regenbogenfarben. An diesem Strandabschnitt geht keiner vorbei, ohne zu merken, wer dort regiert.
Das Feiern von Diversität ist vielleicht Tel Avivs grösste Qualität. Die Stadt kann nichts schockieren, nichts kann so anders sein, dass es jemand erstaunen mag. Wenn spät nachts im Kaffee eine Drag-Queen sich die Füsse massiert, gafft keiner. Leben und leben lassen und den anderen dafür respektieren, was er ist, lautet die Devise der Stadt.