Ikone, Glamour–Star, Fee im Weissen Haus, Trophäenfrau. Es gibt kaum einen Begriff aus der Traum– und Märchenwelt der Legendenbildung, mit dem Jacqueline Kennedy Onassis (1929–1994) nicht bedacht worden ist. Verglichen mit dem wüsten Hauen und Stechen im politischen Amerika eines Donald Trump (77) verklärt sich ihr Leben bis heute zu einem monumentalen Schicksal.
«Geblieben ist das Gefühl des Verlustes, eine Art kultureller Phantomschmerz», schrieb der «Stern» zu ihrem zehnten Todestag. «In Zeiten, in den denen das Weisse Haus vor Biederkeit strotzt, wünscht sich mancher das kosmopolitische Flair zurück, für das einst die elegante Jacqueline sorgte.»
Dieser «Phantomschmerz» ist nicht verschwunden, sondern hat sich eher noch verstärkt. Obwohl Jacqueline Kennedy keine drei Jahre First Lady der USA war, trauern ihr auch viele Amerikaner nach, die sie überhaupt nicht bewusst erlebt haben. Am 19. Mai ist sie seit 30 Jahren tot – doch der Mythos von Jackie ist offenbar unsterblich.
Die grosse amerikanische Frauenfigur des 20. Jahrhunderts
Die Legende Jackie K., oder Jackie O., je nach Lebensabschnitt, lebt fort, weil nicht nur Schriftsteller wie die Autorin Sally Bedell Smith (in ihrem Buch «Grace and Power») von der «Erhabenheit, Klugheit, Schönheit und Menschlichkeit» dieser Frau schwärmen, sondern eine antik anmutende Tragik zur Verklärung entscheidend beigetragen hat und zeitweise verstörende Brüche und sperrige, ja zickige Eigenarten die Akzente der Unverwechselbarkeit gesetzt haben. So ist die gebürtige Jacqueline Lee Bouvier zur grossen amerikanischen Frauenfigur des 20. Jahrhunderts geworden.
Aussergewöhnlich wurde sie nicht durch die Heirat mit einem strahlenden Helden, dem späteren US–Präsidenten John F. Kennedy (1917–1963), das war sie schon von Geburt an als höhere Tochter des französischstämmigen Bankiers John Vernou Bouvier III (1891–1957). Sie wuchs in East Hampton auf Long Island in einer römisch–katholischen Familie auf, in einem diskreten Rückzugsdomizil des vornehmen Geld– und Wirtschaftsadels von New York.
Die junge Jacqueline hat von Kind an Französisch gelernt, die eigentliche Muttersprache ihres Vaters, sie sprach aber auch fliessend Italienisch und Spanisch und studierte an der Sorbonne in Paris, in Grenoble und Washington, mit zwei Abschlüssen in französischer Literatur und amerikanischer Geschichte.
Ein Mitglied der amerikanischen Hocharistokratie
Ihr Vater, ein charmanter Leichtfuss, der allerdings einen Grossteil seines Vermögens während der grossen amerikanischen Wirtschaftskrise verloren hatte, und die standesbewusste Mutter Janet Norton Lee (1907–1989) trennten sich 1940, neuer Stiefvater wurde der New Yorker Börsenmakler Hugh Dudley Auchincloss junior. Damit stieg die junge Jacqueline endgültig in die amerikanische Hocharistokratie auf. Ihre jüngere Schwester Caroline Lee (1933–2019) wurde übrigens später durch eine standesgemässe Ehe mit Prinz Stanislaw Albrecht Radziwill (1914–1976) aus einem polnischen Hochadelsgeschlecht zur Prinzessin erhoben.
Das waren die gesellschaftlichen Voraussetzungen, als Jacqueline im Mai 1951 auf einer Dinnerparty den jungen John F. Kennedy kennenlernte, den reichen Sohn des Unternehmers und amerikanischen Botschafters in London, Joseph P. Kennedy (1888–1969).
Es war eine Begegnung, nun ja, auf Augenhöhe: Zwei gutaussehende Menschen, ein junger Kongressabgeordneter, mit dem sein Vater noch viel vorhatte, eine bildschöne Frau mit intellektuellen Ambitionen, die als Journalistin arbeitete und mit einem Börsenmakler verlobt war, was jedoch kein Hindernis darstellte. Das Paar heiratete bereits zwei Jahre später im Juni 1953.
Sie fremdelte mit den rauen Umgangsformen der Kennedys
Eigentlich war Jackie, wie er sie auf gut amerikanisch nannte, ihrem Jack, wie er genannt wurde, gesellschaftlich überlegen. Die irischstämmigen und daher ebenfalls streng katholischen Kennedys waren zwar reich und einflussreich, doch vornehm wie die Bouviers waren sie nicht. Sie fremdelte mit dem sportlichen Ehrgeiz und den rauen Umgangsformen des neuenglischen Clans, der Jackie gern mal als «Debütantin» auf die Schippe nahm, was sie gehasst haben muss.
So soll ihre Schwägerin Ethel (96), Ehefrau des jüngeren Kennedy–Bruders Robert Kennedy (1925–1968), wiehernd gelacht haben, als ihr Jackie von ihren Ballettambitionen erzählt hatte: «Was du mit deinen Quadratlatschen?!» Umgekehrt konnte auch Jackie zickig austeilen und über die rustikalen Manieren der Kennedys spotten und vor allem über Ethel lachen, die sei eine, «die eine Schondecke über ein Louis–Quinze–Sofa» stülpe und es «Lü Kans» ausspreche.
Das neue Glamourpaar der amerikanischen Society erlebte einen Höhepunkt, als der charismatische John F. Kennedy 1961 der 35. US–Präsident wurde und Jackie die First Lady. Sie machte nicht nur – als bestgekleidete Frau der Welt des Jahres 1960 – elegante, schlicht geschnittene Kostüme und Pillbox–Hüte populär, sie beriet ihren Mann bei seinen Reden, für die sie den historischen Hintergrund lieferte.
Sie gestaltete das Innenleben des Weissen Hauses als einen Ort der US–Geschichte und führte das TV–Publikum durch das Machtzentrum der US–Politik, was 50 Millionen Zuschauer sahen. Sie führte die französische Küche ein und organisierte ein Treffen von 49 Nobelpreisträgern im Weissen Haus. Die Leute sollten sehen, dass bei ihr «auch was unter dem Pillbox–Hütchen» war.
Eine unglückliche Ehe
Jackie wurde so populär, dass John F. Kennedy bei einem Staatsbesuch in Frankreich der verzauberten Presse mitteilte, er sei nur der Mann, der Jacqueline Kennedy nach Paris begleite. Selbst bei Durchschnittsfrauen hatte die First Lady Kultstatus, sieben Prozent der Amerikanerinnen trugen ihr Haar wie Jackie.
Doch in der Ehe des von den Medien vergötterten Traumpaares hat längst nicht alles gestimmt. In heimlichen Briefen an den irischen Geistlichen Joseph Leonard schreibt sie zwar von ihrer «grossen Liebe» für Jack, der allerdings «machtbesessen wie Macbeth» sei und ihr einen «erstaunlichen Einblick in das Leben von Politikern» gewährt habe. «Vielleicht bin ich nur geblendet und sehe mich selbst in einer Glitzerwelt gekrönter Häupter – und nicht als traurige kleine Hausfrau. Es ist eine Welt, die von aussen betrachtet sehr glamourös wirken dürfte, aber für dich, wenn du drinsteckst und einsam bist, die Hölle sein kann.»
Über die eheliche Treue des notorischen Schürzenjägers JFK lautete ihr Urteil: «Er ist irgendwie wie mein Vater, er liebt die Jagd und ist gelangweilt von der Eroberung. Auch nach der Hochzeit wird er noch lange ein attraktiver Kerl bleiben und mit anderen Frauen flirten. Ich habe selbst erlebt, wie meine Mutter daran beinah zugrunde gegangen wäre.»
Doch all der Glanz und Glamour allein machten Jackie nicht zum Mythos, sondern die Krisen und Tragödien ihres Lebens. Die verliehen ihr «jene sentimentale Tiefe, die über Jahrzehnte trägt» («Stern»). In einem mehrstündigen TV–Beitrag, der erst 17 Jahre nach ihrem Tod veröffentlicht wurde, schilderte sie dem Historiker Arthur Schlesinger die quälenden Stunden und Tage während der Kubakrise von 1962, als die Welt unmittelbar vor einem Atomkrieg stand. Sie habe ihrem Mann, dem Präsidenten gesagt, «selbst wenn im Bunker des Weissen Hauses kein Platz ist, ich sagte, bitte, ich will einfach bei dir sein. Ich will lieber mit dir sterben, und die Kinder wollen es auch, als ohne dich weiterleben.»
Der Tod als ständiger Begleiter
Der Tod hat sie nicht nur während ihrer zehnjährigen Ehe mit JFK wie ein Weggefährte begleitet. Von ihren vier Kindern kam Arabella 1956 tot zur Welt, Patrick starb 1963 zwei Tage nach seiner Geburt. Drei Monate später gingen am 22. November die Bilder vom Mord an Präsident John F. Kennedy um die Welt. Man sah, so der «Stern», eine «First Lady im pinkfarbenen Chanel–Kostüm, fleckig und verkrustet von getrocknetem Blut und Hirnmasse ihres erschossenen Mannes. Unvergessen die aufrechte Haltung, in der sie, beide Kinder an der Hand, John F. Kennedy zu Grabe trug. So wurde Jackie zur Gralshüterin der Träume von einem neuen, noblen Amerika...»
Dass diese Frau, die ihren persönlichen Schmerz wie eine Märtyrerin Amerikas zu erdulden hatte, 1968 den neureichen griechischen Reederei–Milliardär Aristoteles Onassis (1906–1975) heiratete, war für die US–Öffentlichkeit zunächst ein Schock. Weil sie einen Parvenü erwählte und keinen vorzeigbaren Mann aus der US–Society, kommentierte eine US–Zeitung, ihre zweite Ehe sei «die schwerste Beleidigung der amerikanischen Männer seit Pearl Harbor». Für «Bild» hatte Amerika «eine Heilige verloren», und eine Freundin soll ihr mitgegeben haben: «Du wirst von deinem Podest fallen.» Jackies Antwort: «Immer noch besser, als darauf zu erfrieren.» Später sagte sie: «Ich konnte nicht länger als Kennedy–Witwe leben. Es war ein Ausbruch von der beklemmenden Besessenheit, mit der die Amerikaner mich und meine Kinder in Anspruch nahmen.»
Die zweite Ehe verlief nicht gut. Sie verbrachte die meiste Zeit mit Reisen und Shoppen, was zu heftigen Auseinandersetzungen mit Onassis geführt haben soll, der erkennen musste, dass seine heiss begehrte Trophäenfrau ihn genauso viel kostete wie der Kauf eines Supertankers.
Karriere im Verlagswesen
«Die Ehe mit Jackie war der grösste Fehler meines Lebens», sagte er – und wollte die Scheidung einreichen, als er am 15. März 1975 starb. Jackie erhielt als Anteil am Erbe 27 Millionen Dollar – und begann einen neuen Lebensabschnitt. Sie wurde beim New Yorker Verlag eine anerkannte Lektorin für Kunstbücher. 16 Jahre lang machte sie von der breiten Öffentlichkeit nahezu unbemerkt einen herausragenden Job. Dann starb sie mit 64 am 19. Mai 1994 an Lymphdrüsenkrebs.
Sie hat viel erleben müssen, vieles blieb ihr aber auch erspart, so die Aufregung um ihre postum veröffentlichten Kommentare zu bekannten Zeitgenossen während ihrer Zeit im Weissen Haus. Indiens prägende Politikerin Indira Gandhi (1917–1984) war für sie «eine richtige Trockenpflaume, verbittert, irgendwie aufdringlich, eine schreckliche Frau», Frankreichs Charles de Gaulle (1890–1970) «ein Egomane», den charismatischen Bürgerrechtler Martin Luther King (1929–1968) nannte sie einen «Schwindler», ständig auf der Suche nach neuen Liebschaften.
Es blieb ihr auch erspart, ihren Sohn John F. Kennedy, Jr. zu beerdigen; er war 1999 mit seinem Privatflugzeug abgestürzt.
Obwohl ihr Leben ständig von Tragödien begleitet wurde, sagt die amerikanische Frauenrechtlerin Gloria Steinem (90) über Jacqueline Kennedy Onassis: «Sie steht für eine Ära. Ihr Gesicht ist die beständige Erinnerung an eine Zeit der Hoffnung».