Auge in Auge mit einem Wolf standen wohl die wenigsten schon einmal. Das könnte sich jedoch bald ändern: Nach Angaben des Bundesministeriums für Umwelt und Naturschutz zählt Deutschland aktuell 161 Wolfsrudel, 43 Paare und 21 Einzeltiere. Und das, nachdem der Wolf 150 Jahre lang als ausgestorben galt. Auch Braunbär-Sichtungen nehmen zu - und verunsichern. Stellen die Wildtiere eine Gefahr für den Menschen dar? Was gilt es im Umgang mit ihnen zu beachten?
Klaus Hackländer, Professor für Wildtierbiologie an der Universität für Bodenkultur Wien und Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung Hamburg, klärt im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news auf.
Die Population von Wildtieren wie Wölfen oder Bären hat zugenommen. Woran liegt das?
Prof. Klaus Hackländer: Beide Arten sind durch internationales und nationales Recht streng geschützt und dürfen nur in Ausnahmefällen getötet werden. Spätestens mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs haben sich Wölfe von Osten her in Deutschland angesiedelt. Vermehrt kommen nun auch noch Wölfe aus dem Süden zu uns, da der Schutz auch dort Früchte trägt. Das Wachstum des Wolfsbestandes in Deutschland wird in den kommenden Jahren so lange anwachsen, bis die Lebensraumtragfähigkeit erreicht ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ökologisch gesehen mehr Wölfe in Deutschland leben könnten, aber aus gesellschaftlichen und ökonomischen Gründen die Obergrenze schon früher erreicht sein wird.
Beim Bären sieht es anders aus, da die Hauptlebensräume in von Menschen nur gering besiedelten, waldreichen Gebieten liegen, also weit weg von Deutschland. Auch aufgrund seiner Lebensweise ist nicht zu erwarten, dass sich Bären in Deutschland wieder etablieren werden.
Was bedeutet das für den Menschen, stellen die Tiere eine Gefahr dar?
Hackländer: Die Tiere kommen aus Rückzugsgebieten, in denen sie regelmässig gejagt oder verfolgt wurden. Daher sind Bären und Wölfe scheu und meiden den Menschen.
Woher kommt unsere Angst vor Wildtieren?
Hackländer: Bären und Wölfe gehören zu den grossen Beutegreifern und können dem Menschen oder seinen Nutztieren gefährlich werden. Hinzu kommt, dass beide Arten über 100 Jahre bei uns nicht vorkamen und wir verlernt haben, mit ihnen umzugehen. Diese Unsicherheit können wir überwinden, die latente Angst jedoch nicht. Darüber hinaus stellen wir in der Gesellschaft eine grundsätzliche Naturentfremdung fest. Das Wissen über heimische Wildtiere, deren Lebensbedürfnisse und den Umgang mit ihnen geht immer mehr verloren. Für ein konfliktarmes Zusammenleben braucht es Aufklärung und insbesondere bei grossen Beutegreifern eine ehrliche Kommunikation.
Vor allem bei Schafzüchtern sind Wolf, Bär und Co. gefürchtet. Wie können sie ihre Tiere schützen?
Hackländer: Der Herdenschutz umfasst technische Hilfsmittel wie Elektrozäune und tierische Helfer wie Herdenschutzhunde. Die Anwesenheit des Menschen ist jedoch erforderlich, damit der Herdenschutz funktioniert. Herden brauchen eine Betreuung und eventuell muss man Schafe und Rinder nachts in den Stall oder in einen Nachtpferch sperren, damit Übergriffe ausbleiben. All das bedeutet einen immensen Mehraufwand, nicht nur finanziell, sondern auch personell.
Wie verhält man sich richtig, wenn man auf ein Wildtier trifft?
Hackländer: Grundsätzlich ist es gut, wenn man Distanz zu Wildtieren hält, damit diese auch wild bleiben und sich nicht zu sehr an die Nähe zum Menschen gewöhnen. Das gilt insbesondere für potenziell gefährliche Wildtiere wie Bären und Wölfe. Bei einer Begegnung mit grossen Beutegreifern sollte man auf alle Fälle nicht in Panik verfallen und davonlaufen. Denn das könnte diese animieren, den Menschen als Beute zu verfolgen.
Beim Wolf hilft es, sich grosszumachen, zu schreien und Dominanz zu verkörpern. Zur Not am Boden liegende Steine oder Stöcke als Waffen in die Hand nehmen. Das Klettern auf Bäume ist eine weitere Möglichkeit, gefährliche Situationen zu meistern.
Beim Bären gilt das Gegenteil. Hier sollte man sich langsam, aber geräuschvoll verziehen. Wenn der Bär näherkommt, auf den Boden legen und totstellen. Da Bären auch gut klettern können, bleibt nicht viel anderes übrig.
Muss man eine solche Begegnung melden?
Hackländer: Es ist wichtig, solche Begegnungen bei der Polizei oder dem Jäger zu melden. Bären und Wölfe mit auffälligem Verhalten müssen weiter beobachtet werden, um eventuell einzugreifen, wenn Leib und Leben der Menschen gefährdet ist.
Wo halten sich Wölfe oder Bären auf und wie gross ist die Wahrscheinlichkeit einer Begegnung?
Hackländer: Bären sind in Deutschland nach wie vor äusserst selten. Am ehesten könnte man in den bayerischen Alpen einem Bären begegnen, da mehr und mehr Individuen aus den Südalpen einwandern. Wölfe dagegen sind in Deutschland schon recht häufig. Es gibt zumindest 161 Rudel (Stand 2021/22), vornehmlich im Osten und Norden des Landes. Der Bestand wächst aktuell exponentiell, sodass auch im Süden Deutschlands künftig Wölfe regelmässig vorkommen werden. Beide Arten sind nachtaktiv und eher scheu. Da sie bei uns aber streng geschützt sind, könnte die Scheu verloren gehen und auch tagsüber sowie in Menschennähe ein Wolf gesichtet werden.
Welche Wildtiere kommen in Städten oder Dörfern sonst noch vor und sind im Umgang mit ihnen besondere Massnahmen erforderlich?
Hackländer: Viele Wildtiere, die an Felsen leben, haben mit den Gebäuden der Städte und Dörfer ideale Ersatzlebensräume. Turmfalken, Mauersegler oder Hausrotschwänze sind Vogelarten, die es vor dem Menschen gab. Mehr und mehr entdecken aber auch andere Wildtiere die menschlichen Siedlungen. Denn dort finden sie oft bessere Lebensbedingungen vor als in der ausgeräumten Agrarlandschaft oder in den intensiv genutzten Forstflächen. Parks und Gärten bieten Nahrung und Sicherheit und so kommen immer häufiger Wildtiere wie Füchse oder Wildschweine in die Städte und Dörfer. Für manche von ihnen braucht es ein Wildtiermanagement. Dieses umfasst aber nicht nur das Töten von Störenfrieden oder Problemtieren, sondern auch Anpassungen des Menschen: keine Fleischabfälle auf den Komposthaufen, wildtiersichere Mülleimer, dichtere Gartenzäune und so weiter.
Was muss sich ändern, damit ein friedliches Zusammenleben von Mensch und Wildtier gelingt?
Hackländer: Einerseits müssen wir die Bevölkerung noch besser über Wildtiere aufklären, andererseits müssen wir Wildtiere auch managen. Arten, die zu Konflikten führen, müssen reguliert werden. Jene, die wegen uns seltener geworden sind, brauchen Schutzmassnahmen. Das Management ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu der alle einen Beitrag leisten können. Dazu gehört auch, dass wir uns im Wald und in Feld und Wiese als Gast fühlen und den Wildtieren dort ihren Raum und ihre Ruhe geben.