Klimakrise, Digitalisierung, 4–Tage–Woche: Die Arbeitswelt erlebt derzeit einen Wandel, weltweit wird über neue Formen des Arbeitens diskutiert. Auch unser Planet sollte bei all dem nicht aus der Acht gelassen werden. Mit ebenjenem Problem hat sich auch Arbeitsforscher Hans Rusinek, Autor von «Work Survive Balance» (Herder Verlag), befasst. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erzählt er, inwiefern sich unsere Arbeitswelt verändern muss, um sie im Einklang mit dem Klimawandel zu bringen. Zudem verrät er, wie ein aus seiner Sicht idealer Arbeitstag aussehen sollte und wie sinnvoll eine 4–Tage–Woche wirklich ist.
Inwieweit gefährden wir aus Ihrer Sicht mit unserer aktuellen Art zu Arbeiten unseren Planeten?
Hans Rusinek: Um den Planeten zu retten, müssen wir darauf schauen, wie wir ihn bearbeiten. Nur 100 Unternehmen sind schon für 70 Prozent der Emissionen verantwortlich. Wenn wir auf der Arbeit andere Produkte bauen, mit Ressourcen anders umgehen und auf unsere Emissionen mehr achten, dann sehe ich da einen Riesenhebel. Klimaaktivisten und Klimaaktivistinnen gehen für den Planeten freitags auf die Strasse, aber übersehen, womit wir die restliche Woche verbringen. Und welche Chance darin steckt. Wenn wir so viel Zeit auf der Arbeit verbringen, dann sollten wir diese auch als Reallabor für eine enkeltaugliche Zukunft betrachten. Dort liegt das Potenzial für Weltbezug, Wirksamkeit und Zusammenwachsen, und damit die Voraussetzung für eine lernende, nicht–traumatisierende und gemeinschaftliche Bewältigung der Klimakrise, jenseits des Zwangs.
Was muss sich Ihrer Meinung nach in der Arbeitswelt möglichst zeitnah ändern?
Rusinek: Eine für mich echt überraschende Entdeckung ist der Faktor Zeit. Unser gehetzter Umgang mit Zeit schadet sowohl der Arbeit als auch dem Planeten. Wir hetzen nämlich nicht nur uns kaputt. Es ist wahrscheinlicher, am Wochenende E–Mails zu schreiben, als wochentags ins Kino zu gehen. Die Burnout–Raten gehen durch die Decke. Es ist diese unerbittliche Gehetztheit, die den Abbau unserer eigenen Ressourcen, aber auch mit dem Abbau der planetaren Ressourcen verbindet. Denn alles, was lebt, ob Manager oder Mangoplantage, braucht Regeneration. Ein Auf und Ab, kein Always–on. Wir befinden uns im Hinblick auf ein Umlernen in der Klimakrise dadurch in einem rasenden Stillstand gefangen, zum Hinterfragen und Andersmachen fehlt uns einfach die Zeit und ein freier Kopf. Weil die Glorifizierung der «Busyness» eine Eigenschaft der Arbeit ist, die vor allem verdrängende Funktion für unsere Krisen hat, weil Verantwortung eine höchst zeitintensive Praktik ist, ist eine zentrale Lernaufgabe für enkeltaugliche Arbeit das Einüben von Zeit–gemässer Arbeit. Mehr Zeit für Reflektion, Kritik, Umdenken, Andersmachen und besser machen.
Wie sieht denn für Sie ein idealer Arbeitstag aus?
Rusinek: In meinem Buch zeige ich, wie wir lernen können, was für ein Chronotyp wir sind: Also welchen Biorhythmus wir im Verlauf des Tages haben, es gibt Delfine, Löwen, Bären und Wölfe. Ich bin ein Löwe, ein geborener Frühaufsteher: Löwen haben ihre stärkste Zeit am Morgen, wachen schnell und voller Tatendrang auf, brettern den Gazellen hinterher, und bauen dann stetig ab, am besten mit einer Gazelle im Bauch. Mit dem Wissen darüber, welcher Chronotyp man selbst ist, aber auch welcher Chronotyp der Mitarbeiter ist und wie man Arbeitsprozesse entsprechend abgestimmt werden können, arbeiten mittlerweile recht viele Unternehmen gerade aus dem Tech–Sektor. Das macht die Mitarbeiter smarter, gesünder und auf dem Arbeitsmarkt attraktiver.
Künstliche Intelligenz ist derzeit in aller Munde. Welche Chancen bietet diese aus Ihrer Sicht für unseren Arbeitsalltag?
Rusinek: Es bietet uns die Chance, dass wir uns mal wieder fragen, was im Kontrast zur KI, die ja auf statistischen Methoden beruht, eigentlich nochmal die MI war. Die menschliche Intelligenz mit ihren einzigartigen Fähigkeiten zur Reflexionsfähigkeit, Emotionalität und Verantwortungsübernahme. Wie revolutionär wäre das eigentlich, wenn diese MI auf unsere Arbeitswelt losgelassen wird? Wir leiden unter Intelligenzverwirrung, wo uns die KI vor allem Angst macht, weil wir vergessen haben, was unsere Intelligenz dagegen zu bieten hätte. Für eine sinnvolle Zukunft, in der beide Intelligenzen gewürdigt werden, muss es heissen: Gebt der Maschine, was der Maschine ist, und dem Menschen, was des Menschen ist. Wir müssen also unser Denken entmaschinisieren und die KI als maschinellen Helfer für uns nutzen, sodass wir mehr Zeit für die Dinge haben, die nur mit der MI gehen: Beispielsweise sich kritisch mit der Frage auseinandersetzen, welche Welt unsere Arbeit eigentlich hinterlassen wird? Aber auch: Wie wir junge Talente für uns begeistern könnten? Und alte Hasen motivieren? Was gutes Feedback ist? Und was wirklich fortschrittliche Produkte sind?
Wie finden wir wieder einen gesunden Blick auf unseren Arbeitsalltag?
Rusinek: Eines von den zentralen Veränderungsdimensionen für eine bessere Zukunft der Arbeit ist der Körper. In der sogenannten Wissensarbeit, also der Arbeit in Büros und an Computern, haben wir schlichtweg vergessen, dass wir Körper sind!
Die Idee, dass Geist und Körper grundsätzlich getrennt seien, brannte sich über Jahrhunderte in unser Hirn ein. Nur das Denken bringe uns Gott näher, schrieb der Philosoph René Descartes. Und im Büro glauben wir auch: Nur das Denken bringt uns weiter. Das Resultat in der heutigen Wissensarbeit an allen Stellen: Wir sind erschöpfte Kopfwesen, die den Körper eher als Widersacher als als Mitspieler betrachten. Bis er irgendwann rebelliert.
Die Forschung zu «Embodied Cognition» kann aber wunderbar zeigen, dass bessere Arbeit nicht Kopfsache ist, sondern eben Körpersache, denn wir sind denkende Körper!
Das Schlimmste an der jahrhundertealten Trennung von Geist und Körper ist nämlich: Sie ist einfach in der Sache falsch. Die Forschung zeigt, wie wenig Denken und Fühlen voneinander zu trennen sind. Die Begründungen, die wir uns bei Entscheidungen zurechtlegen, sind oft Post–Rationalisierungen für etwas, was wir vorher fühlten, wenn wir es an uns herangelassen haben. Nicht allein das Abwägen von Argumenten, sondern das Verarbeiten und Vermitteln von Gefühlen macht uns zu Entscheidern.
Aktuell wird auch viel über die Einführung einer 4–Tage–Woche diskutiert. Halten Sie das für sinnvoll?
Rusinek: Nicht um jeden Preis: Studien zeigen, dass kurzfristig die Arbeit in manchen Bereichen nicht darunter leidet, weil wir einfach weniger an Kaffeemaschinen plauschen oder aus dem Fenster gucken und deshalb genauso so viel schaffen. Was ist aber bei dieser Verdichtung von Arbeit langfristig der Effekt? Kaffeepausen und freier Austausch mit Kollegen ist für unseren Ausgleich und vielleicht sogar für die Arbeit selbst am Ende doch wichtig.
Eine andere Sorge ist, dass sich die Arbeitswelt immer mehr spaltet: 4–Tage–Wochen können sich meist nur gutbezahlte Laptop–Arbeiter leisten. Für die, die wirklich harte Arbeit für knappes Geld leisten, etwa in der Gastro, auf dem Bau oder in der Pflege, wird diese «Arbeitsplatz–Revolution» wohl kaum vorstellbar oder leistbar sein. Ich bin da bei Martin Luther King: Eine wirkliche Revolution ist es nur, wenn sie eine Revolution für alle ist!