Wolfgang Petersen (1941-2022) war kein typischer Filmtycoon aus Hollywood, der seine Allüren am liebsten über den roten Teppich spazieren trägt. Kein Regie-Macho, der seine berüchtigte Allmacht austobt. So einer war Wolfgang Petersen nicht.
Er war von einer erstaunlichen Normalität. Ein älterer Herr mit wachen Augen und einem offenen, sympathisch knubbeligen Gesicht, ganz ohne die verräterischen Spuren eines wilden Lebens à la Hollywood. Einer, der eher unscheinbar wirkte. Dafür hatte er, wie ihn der «tatort-fundus» einmal beschrieb, «etwas geradezu Magisches, wenn er sich in seine Arbeit stürzt». Nun ist der deutsche Filmregisseur und Drehbuchautor am 12. August an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben.
Wolfgang Petersen: Immer lockte das Meer
Er war ein Junge von der Küste und wurde - wie der illustre Journalist Henri Nannen (1913-1996) oder die Entertainer Otto Waalkes (74) und Karl Dall (1941-2020) - in Emden, der Hauptstadt Ostfrieslands, als Sohn eines Marine-Offiziers und Schiffsmaklers geboren. Das sollte sich auf sein späteres Leben und seine Karriere auswirken.
«Ich komme aus Emden, bin in Hamburg gross geworden, immer in der Nähe von Häfen und Meer. Wasser fand ich schon immer verlockend. Es kann so romantisch und beruhigend sein - und so unglaublich brutal. Alle meine Instinkte werden wach, wenn ich ans Meer denke. In den Bergen habe ich das überhaupt nicht. Da kriege ich sofort Höhenangst und fliehe dahin, wo's schön flach ist, in den Norden», sagte er vor Jahren in einem Interview mit dem «Stern».
«Tatort: Reifezeugnis», «Das Boot» und viel mehr
Er ist trotzdem kein Seemann geworden, denn bereits mit zwölf Jahren hatte er nur einen Berufswunsch: Filmregisseur. Nach der Ausbildung am Jungen Theater Hamburg und der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin hatte er in den 1970er-Jahren als junger TV-Regisseur rasch Erfolg, zum Beispiel mit dem legendären «Tatort: Reifezeugnis» (1977, mit Nastassja Kinski) oder dem Drama «Die Konsequenz», das 1977 einen Skandal auslöste, weil sich der Bayerische Rundfunk aus kulturpolitischen Gründen bei der Übertragung ausgeschaltet hatte.
Dann kam der Film, bei dem er zum ersten Mal seine Faszination für das Meer ausleben konnte und der ihm den Weg an die Weltspitze ebnete. 1980 führte Petersen Regie bei dem deutschen U-Boot-Drama «Das Boot» (1981), das sich vor allem in den USA zum Kassenschlager und dem bis dahin erfolgreichsten fremdsprachigen Film entwickelte. Nach diesem Film und der monumentalen Romanverfilmung des Michael-Ende-Fantasieabenteuers «Die unendliche Geschichte» (1984) wollte Hollywood den Mann aus dem kargen deutschen Norden, der so anschaulich und einfühlsam grosse Geschichten zu erzählen wusste, unbedingt.
Umzug nach Los Angeles
1986 zog Wolfgang Petersen nach Los Angeles, Kalifornien, - und schaffte es auch in Hollywood. Er drehte mit Stars wie Clint Eastwood (92), Rex Harrison (1908-1990), Dustin Hoffman (85), Brad Pitt (58) und Diane Kruger (46), George Clooney (61) und Kurt Russell (71) und schaffte es mit Blockbustern wie «In the Line of Fire - Die zweite Chance» (1993), «Outbreak - Lautlose Killer» (1995), «Air Force One» (1997) und «Troja» (2004) in die erste Garde der grossen Regisseure.
Und wieder beeinflusste die unberechenbare Naturgewalt Meer seine Arbeit. Petersen drehte mit grossem Aufwand in Hollywood die Untergangsdramen «Der Sturm» (2000) und «Poseidon» (2006). Während der «Sturm» trotz seines düsteren Endes auch ein wirtschaftlicher Erfolg wurde, floppte «Poseidon», eine 160 Millionen Dollar-Produktion, an den Kino-Kassen, was letztendlich auch zu einem Bruch in Petersens makelloser Karriere führte.
Zehnjährige Schaffenspause und Comeback mit Star-Besetzung
Es folgte eine zehnjährige Pause. Später sagte Petersen in einem Interview mit «Focus»: «Eine grosse Niederlage ist sehr, sehr wichtig. Jeder von uns sollte mal richtig auf die Schnauze kriegen. Einfach zum Runterkommen. Denn dann setzt ein Prozess der Selbstbeschauung, der Selbsterfindung und Fehlersuche ein. Man muss sich erst einmal ein bisschen Zeit lassen und nicht gleich drauflos drehen. Wenn man dann wieder anfängt, wird es besser.»
Im Gegensatz zu vielen anderen Hollywood-Grössen sprach er während dieser Flaute sogar von «Demut», der «wichtigsten Lektion», die er lernen musste. «Ich war auf einer Leidensstrecke, und das musste auch sein. Denn es versetzt einen zurück in die Realität. Ich wurde bescheidener, lernte, dass ich noch mal die Ärmel hochkrempeln und mich noch mal neu erfinden muss.»
2016 feierte Petersen mit 75 Jahren ein Comeback - in Deutschland. Mit den Stars Til Schweiger (58), Matthias Schweighöfer (41), Jan Josef Liefers (58) und Michael Bully Herbig (54) drehte er die Kriminalkomödie «Vier gegen die Bank».
Der privat «verdammt zufriedene» Wolfgang Petersen
Privat war Wolfgang Petersen so gut wie unsichtbar. Keine Skandale, keine Affären, keinerlei Gerüchte, nichts. Nach der ersten Ehe mit der Schauspielerin Ursula Sieg (85) - Sohn Daniel (53) arbeitete als Drehbuchautor und Regisseur bisweilen mit dem Vater zusammen - heiratete er 1978 die Regieassistentin Maria Borgel, mit der er bis zu seinem Tod in Kalifornien in seltener Eintracht lebte.
Das Ehepaar Petersen war mit dem Zustand von beharrlich glücklicher Monogamie «verdammt zufrieden», wie er dem «Stern» sagte: «Ich habe meine Frau Maria unheimlich gern um mich und sie mich auch, da braucht man nicht lange zu grübeln, ob man jetzt was falsch macht oder was verpasst. Guck mal, der hat schon fünf Frauen gehabt und ich habe immer noch dieselbe - die Frage stellt sich nicht. Ich habe zu oft Paare gesehen, die alles Mögliche ausprobiert haben bis hin zur offenen Ehe, und das endete alles ... och, Gott.» Laut US-Medien ist Petersen in den Armen seiner Frau Maria friedlich in seinem Haus in Brentwood eingeschlafen.