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SI Stammtisch in Wilderswil BE

«Du musst dich aufs  Glück vorbereiten»

Olympia, Start-ups, Nachfolgeregelung. Im Berner Oberland diskutiert der SI-Stammtisch über Unternehmertum und Skisport. Gold geht an eine junge Unternehmerin.

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Stammtisch Wilderswil, 2022

Innovative Runde mit Risikobereitschaft: Iris Huggler, Jürg Grossen, Stephan Maeder, Simon Flückiger, Stefan Regez, Léa Miggiano und Adrian Verdun (v. l.).

Kurt Reichenbach

Gourmet-Restaurant Alpenblick in Wilderswil BE: In den 80er-Jahren kamen hier die Einheimischen zusammen, um die Abfahrtsrennen von Lokalmatador Urs Räber am TV zu verfolgen. Jetzt trifft sich im charmanten Urs-Räber-Stübli der SI-Stammtisch: Jürg Grossen, 52, Unternehmer, Nationalrat und Präsident der Grünliberalen aus Frutigen, Léa Miggiano, 27, Jungunternehmerin des Jahres und Mitgründerin von Carvolution in Bannwil BE, Simon Flückiger, 34, CEO von Inneneinrichter Teo Jakob, Adrian Verdun, 56, Regionaldirektor der UBS Bern, Event-Managerin und Dozentin Iris Huggler, 52, sowie Stephan Maeder, 56, Hotelier des «Carlton-Europe» in Interlaken. Moderator Stefan Regez steigt sportlich ins Gespräch.

Wer ist heute wegen Olympia in Peking um vier Uhr morgens aufgestanden?

Adrian Verdun: Bei den wichtigen Rennen habe ich immer den Wecker gestellt. Unsere 15-jährige Tochter ist selber eine begeisterte Skirennfahrerin, deshalb bin ich emotional stark mit dem Skisport verbunden.

Jürg Grossen: Ich war getrieben von meiner Frau (lacht). Die Rennen zu schauen, gehört bei uns dazu. Aber wir verfolgten sie auf dem iPad im Bett. Nur für die Männerabfahrt sind wir vor dem Fernseher gesessen.

Stammtisch Wilderswil, 2022

Gastgeber-Ehepaar Richard und Yvonne Stöckli (3. v. l.) weihen die Stammtischrunde in die Geheimnisse der Kulinarik ein.

Kurt Reichenbach

Iris Huggler: Da muss ich passen. Mitten in der Nacht für einen Sportanlass aufzustehen, ist nicht mein Ding.

Léa Miggiano: Das geht mir auch so. Und dass Lara Gut-Behrami Gold gewonnen hat, habe ich erst am Vormittag erfahren.

Stephan Maeder: Spitzensport interessiert mich nur am Rande. Selber fuhr ich gern Ski, seit wir aber einen Hund haben, fehlt die Zeit.

Simon Flückiger: Ich richte den Wecker auch nicht unbedingt nach Skirennen. Die Goldfahrt von Beat Feuz habe ich aber gesehen.

Willkommen am SI Stammtisch

Der SI Stammtisch ist eine publizistische Initiative der Schweizer Illustrierten und Illustré in Zusammenarbeit mit DEAR Foundation-Solidarité Suisse und UBS Schweiz.

Die Olympischen Spiele in Peking sind umstritten. Würden sie nicht gescheiter in der Schweiz, im Berner Oberland, stattfinden?

Maeder: Ich hätte mir auch gewünscht, dass Olympia in einer echten Winterlandschaft stattfindet.

Flückiger: Ohne Publikum fehlen die Stimmung und die Emotionen am Pistenrand.

Huggler: Ich war bei der Kandidatur Bern 2010 erfolglos dabei. Überhaupt haben es in der Schweiz schon viele probiert und sind gescheitert. Ich glaube, wir müssen Olympia in der Schweiz abschreiben.

Grossen: Das IOC muss sich grundsätzliche Fragen stellen. Als es um die Winterspiele 2022 ging, waren nur noch China und Kasachstan im Rennen. Alle vernünftigen Kandidaturen hatten sich zurückgezogen. Für mich gehören Winterspiele in Bergregionen, auch in die Alpen, und man muss die bestehenden Infrastrukturen nachhaltig nutzen. Unter solchen Voraussetzungen würde ich auch eine Schweizer Kandidatur befürworten.

Stammtisch Wilderswil, 2022

Jürg Grossen: Elektroplaner mit ökologischem Hintergrund.

Kurt Reichenbach

Sprechen wir über Unternehmertum. Stephan Maeder sagte mir im Vorfeld: «Ein guter Hotelier ist gleichzeitig Unternehmer, Schauspieler, Mentor und Gastgeber.»

Flückiger: Das stimmt auch für andere Branchen. Letztlich muss ich als Unternehmer die unterschiedlichsten Qualitäten mitbringen. Was zählt, ist Leidenschaft. Mir als Inneneinrichter macht es Spass, unseren Kunden nachhaltige Produkte, hochwertige Möbel anzubieten – und damit etwas vorwärts zu bringen.

Miggiano: Das Schauspielern probiere ich in Grenzen zu halten. Das ist für mich zu anstrengend. Als Jungunternehmerin in der Autobranche ist die Neugier wichtig – und eine gewisse Ungeduld und Tempo.

Grossen: Als ich bereits mit 25 Unternehmer wurde, prophezeiten mir viele, es würde schwierig. Mein damaliger Chef verunglückte bei einem Helikopterflug. Die Erben übergaben mir und meinem Kollegen die Elektroplanungsfirma. Über Jahre hinweg habe ich als Chef monatlich rund 3500 Franken verdient – und 130 Prozent gearbeitet. In dieser Zeit musste ich mehr schauspielern, als mir lieb war.

Gilt das auch in der Politik?

Grossen: Nein, ein Politiker muss vor allem authentisch sein. Aber es hilft, dass ich das Unternehmertum kenne und weiss, was es bedeutet, Löhne zu bezahlen.

Huggler: Wir begannen vor fast 30 Jahren mit grossen Festivals wie dem Trucker & Country in Interlaken – es war nicht leicht. Wir gaben alles, um die Events hierherzubringen. Lange rentierte es nicht. Doch wir mussten weitermachen, sonst hätten wir viel Geld verloren. Und irgendwann hat sich das Blatt gewendet.

Grossen: Durchhaltewillen ist für Unternehmer entscheidend.

Huggler: Oft war es frustrierend, weil wir in der Region auf grossen Widerstand stiessen. Etwa beim Greenfield Festival 2006 mit Depeche Mode als Hauptact. Wir zogen einen Schuh voll raus: siebenstelliger Verlust! Und die Gemeinde Interlaken stellte uns sogar noch 3000 Franken für das Fundbüro in Rechnung! Rückblickend ist das fast surreal. Man bringt Tausende in die Region – und dann werden einem solche Knüppel zwischen die Beine geworfen.

 

Urbane Infrastruktur, gute Bildung

Katharina Hofer und Claudio Saputelli UBS
ZVG

Hohes Humankapital und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zeichnen den Kanton Bern aus. Doch die regionalen Unterschiede sind gross.

Bern sticht im Vergleich zu den anderen Kantonen durch eine diversifizierte Branchenstruktur und ein hohes Humankapital dank einer Nettozuwanderung von Studienabgängern hervor. Ein relativ solider Arbeitsmarkt und ebensolche Staatsfinanzen stützen obendrein die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Diese Gesamtbetrachtung kaschiert jedoch die innerkantonalen regionalen Unterschiede, die zu den grössten der Schweiz gehören.

Am oberen Ende des Spektrums zeichnet sich die Bundesstadt durch eine urbane Infrastruktur, attraktive Branchen sowie ein hohes Bildungsniveau aus. In den alpinen Gegenden hingegen sind die Erreichbarkeit und das Einzugsgebiet naturbedingt geringer.

Insgesamt ergeben sich aus dieser regionalen Vielfalt moderate langfristige Wachstumsaussichten. Gleichermassen stehen alle Berner Regionen beim Kostenumfeld vor grossen Herausforderungen. Die landesweit höchsten Gewinnsteuersätze sowie die starke Besteuerung natürlicher Einkommen machen Bern zu einem teuren Pflaster für Unternehmen und Privathaushalte.

Die Ökonomen Katharina Hofer und Claudio Saputelli sind die Autoren des UBS-Wettbewerbsindikators.

-> Mehr zu UBS Start Business, dem Paket für Unternehmerinnen und Unternehmer, die kurz vor der Unternehmensgründung stehen.

Stammtisch Wilderswil, 2022

Machte aus einem persönlichen Bedürfnis eine Geschäftsidee: Unternehmerin Miggiano.

Kurt Reichenbach

Herr Flückiger, auch Ihr Werdegang ist bemerkenswert. Sie wurden schon mit 30 CEO von Teo Jakob und sind jetzt Mitbesitzer.

Da gehörte auch Glück dazu. Ich war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Anfangs ging es um eine einschneidende Restrukturierung, die Massnahmen und Entlassungen waren sehr emotional. Als dann mein Vorgänger pensioniert wurde, konnte ich noch mehr Verantwortung übernehmen.

Verdun: Da geht es aber nicht nur um Glück. Auch der Mut spielt eine wichtige Rolle.

Flückiger: Ja, um erfolgreich zu sein, muss man Risiken eingehen.

Verdun: Wenn ich Ihnen zuhöre, erinnert mich das an die USA. Die dortige Unternehmenskultur ist uns einige Schritte voraus, Neid spielt eine deutlich geringere Rolle. Risikobereitschaft wird dort viel mehr geschätzt.

Miggiano: Ich hatte auch viel Glück. Aber man muss darauf auch vorbereitet sein. Ich sage immer: Luck is when preparation meets opportunity (Glück ist, wenn Gelegenheit auf Vorbereitung trifft). Die Idee von Carvolution entstand aus einem persönlichen Bedürfnis. Ich brauchte ein Auto – und prüfte Leasingangebote. Das passte mir nicht, weil ich nicht sesshaft bin und mein Planungshorizont höchstens drei Jahre beträgt. Also machte ich eine Recherche, wie ich am besten zu einem günstigen Auto komme – und entdeckte diese Marktlücke. Meine Geschäftsidee gab es in den USA schon. Aber gut zu kopieren, ist auch eine Kunst. Wer bei Carvolution ein Auto bezieht, macht eigentlich dasselbe, wie wenn er es von den Eltern ausleiht. Man muss es nur fahren und irgendwann sauber zurückgeben. Alles andere ist im Preis inbegriffen.

Verdun: Sie haben ja in grossen Dimensionen gedacht. Und dieses Beispiel einer Unternehmungsgründung ist für die Schweiz eher ungewöhnlich. Normalerweise geht ein solcher Prozess Schritt für Schritt. Und nach dem Start folgt eine Phase der Konsolidierung.

Herr Verdun, hätte die UBS das Potenzial von Carvolution von Beginn an erkannt?

Verdun: Selbstverständlich hätte ich daran geglaubt – aber nachträglich lässt sich das immer leicht sagen. Als Regionaldirektor der UBS Bern setze ich mich für junge Unternehmen in der Region ein. Wir sehen täglich gute Ideen und begleiten natürlich gern vielversprechende Start-ups. Beispielsweise mit unserem UBS-Start-Business-Paket. Wobei im Fall von Carvolution die Bezeichnung Start-up langsam nicht mehr angebracht ist (lacht).

Miggiano: Start-up tönt für mich aber weiterhin cool.

Verdun: Das glaube ich Ihnen. Wenn man ein Management-Buy-out einer Traditionsfirma wie Teo Jakob begleitet, hat man als Kreditgeber mehr Erfahrungswerte im Vergleich zu einem Start-up. Dort sehe ich den Unterschied.

SI Stammtisch Wilderswil

Mehr als ein Handschlag: Die Stammtischrunde verewigt sich mit einer Unterschrift.

Kurt Reichenbach

Reden wir über die Nachfolgeplanung. Das ist in vielen KMU ein Knackpunkt.

Maeder: Wir führen unser Hotel seit 2001, es wird mich hoffentlich überleben. Ich bin jetzt 56 und sollte mich langsam mit der Nachfolge befassen.

Flückiger: Fällt das schwer?

Maeder: Mir wäre es am liebsten, wenn das Hotel in der Familie bleibt. Doch mein Sohn ist ETH-Wissenschaftler, und das Hotelfach ist nicht seine Welt. Meine Tochter wäre von der Ausbildung her durchaus prädestiniert.

Huggler: Ich bin in einer privilegierten Situation. Denn ich habe meine Anteile Anfang Januar 2020, kurz vor Ausbruch der Pandemie, an meinen Geschäftspartner verkauft. Ich habe meinen Beruf so leidenschaftlich und intensiv gelebt, dass ich kürzertreten wollte, was ich zwischenzeitlich aber auch nur teilweise geschafft habe.

Grossen: Durch meinen Einstieg in die Politik habe ich die Leidenschaft für meinen ursprünglichen Beruf als Elektroplaner nicht verloren. Wir haben kürzlich ein Start-up gegründet mit einem Produkt, das die Stromproduktion durch Fotovoltaikanlagen direkt in Wärmepumpen und Elektroautos speist.

Miggiano: Her damit!

Grossen: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir mit den Leuten arbeiten, die uns in der Region zur Verfügung stehen. Elektroplaner findest du nicht auf der Strasse. Daher bilden wir junge Fachkräfte aus und binden sie ans Unternehmen. So hatten mein Partner und ich anfangs je 50 Prozent der Aktien, jetzt sind es noch je ein Viertel. Ob meine Kinder je einsteigen wollen, weiss ich nicht. Wichtig ist, dass die Firmenphilosophie weiterlebt.

Miggiano (lacht): Ich muss wohl noch ein bisschen arbeiten. Für die Nachfolgeregelung ist es definitiv zu früh.

Herr Verdun, als Austragungsort des Swiss Economic Forum ist Interlaken einmal pro Jahr der Hauptort der Schweizer Wirtschaft. Wir beurteilen Sie den Kanton Bern als Standort?

Verdun: Der Kanton Bern weist eine recht grosse Branchenvielfalt auf. Der Jura punktet mit Hightechbetrieben und der Uhrenbranche. Die Stadt Bern mit ihrer Agglomeration zeichnet sich durch die Medizinalbranche, Verwaltung und innovative Informatikunternehmen aus. Im Berner Oberland ist der Tourismus der dominierende Wirtschaftszweig. Auch im Emmental gibt es hochklassige Unternehmen von internationaler Ausstrahlung. Leider gehört unser vielfältiger und schöner Kanton Bern nicht zu den wirtschaftskräftigsten. Aber wir leben nach dem Motto: «Mer mache dert, wo mer si, mit däm, wo mer hei, ds Beschte!»

am 25. Februar 2022 - 08:09 Uhr