Als Joe Biden, 78, die Präsidentschaftswahl gewinnt, denken Millionen von Trump-Gegnern, ihr Albtraum sei vorbei. Doch das Ende des Schreckens ist ein Ende mit Schrecken: Donald Trump akzeptiert die Niederlage nicht, spricht von Wahlbetrug – und stachelt fanatische Anhänger dermassen an, dass sie das Kapitol in Washington D. C. stürmen – die Wiege der amerikanischen Demokratie. Weltweit reibt man sich die Augen ob den verstörenden Szenen. Fünf Menschen sterben.
Dass der 74-jährige US-Präsident zu allem fähig ist, ahnt man früh: An Trumps Vereidigung am 20. Januar 2017 hätten «so viele Menschen wie noch nie» teilgenommen, behauptet damals Regierungssprecher Sean Spicer – Bilder liefern den Gegenbeweis. Kellyanne Conway, enge Beraterin Trumps, lanciert da den Begriff der «alternativen Fakten». Diese werden zu Trumps Kommunikationsmittel der Wahl. Was ihm nicht gefällt, schimpft er «Fake News». Die Folge: Trumps Anhänger verlieren das Vertrauen in etablierte Medien.
Der extrovertierte Milliardär, der auf allen Hochzeiten tanzte, versucht, den Staatsmann zu geben. Er schüttelt Staatsoberhäuptern nicht die Hände, sondern zerquetscht sie. Er schneidet der Queen in London den Weg ab, als sie die Ehrenformation abnehmen will. Er verunglimpft unliebsame Gegner: hängt Klimaaktivistin Greta Thunberg auf Twitter ein Aggressionsproblem an, nennt Nordkoreas Führer Kim Jong Un einen «Wahnsinnigen».
Nicht einmal Ehefrau Melania kann seine Ausfälle überstrahlen, im Gegenteil: Auf Staatsbesuch in Israel schlägt sie ihm vor laufenden Kameras die Hand weg, als er ihre halten will.
Amüsante Fauxpas sind das eine, doch bei vielen seiner Handlungen hört der Spass auf. Um gegen illegale Einwanderung vorzugehen, lässt er mexikanische Flüchtlingskinder von deren Eltern trennen und in unwürdigen Unterkünften einsperren. Um den starken Mann zu markieren, kündigt er das Atomabkommen mit Iran auf und führt eine Politik des «maximalen Drucks». Dann lässt er einen iranischen Top-General ermorden – Beobachter fürchten eine Eskalation.
Im Heimatland brodelt es da längst. 2017 marschieren Rechtsextreme, Anhänger des Ku-Klux-Klans und Neonazis in Charlottesville, Virginia, auf. Zwischen Hakenkreuzen flattern Transparente, darauf Donald Trumps Name. Kämpfe mit Gegendemonstranten brechen aus, ein Amok-Lenker fährt eine Frau zu Tode. Trump verurteilt zwar Hass und Gewalt, er sehe aber «gute Menschen auf beiden Seiten» – also auch unter Neonazis.
«Blind jemand offensichtlich Wahnhaftem zu folgen – wie es so weit kam, beunruhigt mich»
Prinz Albert II. von Monaco
Dass der Präsident darin keinen Fehler erkennt, spürt die US-Bevölkerung 2020. Ein Polizist tötet den unbewaffneten Afroamerikaner George Floyd (✝ 46) bei einem Einsatz. Der auf Video gebannte neunminütige Todeskampf endet mit den Worten «I can’t breath» – ich kriege keine Luft. Der Satz wird zum Leitspruch von Millionen «Black Lives Matter»-Demonstranten. Ihr Frust entlädt sich in Gewalt, Autos und Gebäude brennen, Geschäfte werden geplündert. Der Präsident verurteilt Floyds Tod, nicht ohne die Demonstranten anzugreifen und als linksextreme «Antifa» zu beschimpfen. Wahlkampf statt Besänftigung der kochenden Volksseele. Trump befiehlt der Polizei sogar, Demonstranten mit Tränengas aus dem Weg zu räumen, damit er mit einer Bibel für ein Foto vor einer nahe gelegenen Kirche posieren kann.
Dann kommt die Corona-Pandemie. Trumps Chance, sich als Krisenmanager zu beweisen. Er aber spielt die Gefahr herunter, über Maskentragende macht er sich lustig. Hunderttausende sterben. Er schlägt derweil vor, Sonnenlicht in Körper von Erkrankten zu «bringen», um das Virus zu töten. Oder Desinfektionsmittel zu injizieren – was lebensgefährlich ist.
Am 2. Oktober erwischt es auch ihn: Der Präsident und die First Lady sind Corona-positiv! Statt brav im Militärspital die Quarantäne einzuhalten, dreht Trump vor der Klinik Runden in einem Wagen und winkt. Nach seiner Entlassung fliegt er spektakulär inszeniert mit dem Helikopter zurück ins Weisse Haus, wo er sich auf dem Balkon theatralisch die Maske vom Gesicht reisst – seine Schnappatmung vermag er nicht zu verbergen.
«Noch nie hat ein Präsident der USA sein Amt und seinen Eid so verraten wie heute»
Liz Cheney, Republikanische Abgeordnete, über den Sturm aufs Kapitol
Der Wahltag wird zum Qualtag für Trump. Nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen gewinnt Joe Biden von den Demokraten. Donald Trump sieht das anders: Er beklagt Wahlfälschung – Gerichte widersprechen. Nun zweifeln viele seiner 75 Millionen Wähler auch noch an der Demokratie, am Rechtsstaat.
Zwei Wochen vor Bidens Vereidigung holt der amtierende Präsident noch mal aus. Während der Kongress die Wahl von Joe Biden bestätigen soll, wiederholt Trump auf einem Podium seine Vorwürfe. Er ruft seine Gefolgschaft auf, zu «kämpfen», das «Land zurückzunehmen» – Zündstoff für den Sturm aufs Kapitol. Später bittet er die Fanatiker per Video, von dannen zu ziehen, versäumt es aber nicht, ihnen zu huldigen: «Wir lieben euch!»
Jetzt wenden sich sogar namhafte Republikaner von ihm ab. Manche unterstützen die von der Opposition eingeleitete Amtsenthebung. Falls dies gelingt, darf Trump kein zweites Mal als Präsident kandidieren. Bis dahin versucht er offenbar, seine Macht voll auszunutzen. Laut der «New York Times» soll er die Möglichkeiten abklären, sich selber zu begnadigen.
Ist mit Joe Bidens Vereidigung zum 46. Präsidenten der USA der Albtraum vorbei? Ob im Weissen Haus oder nicht – Donald Trump kann und wird sich nicht von der politischen Bühne zurückziehen. Sein Vermächtnis wird noch lange nachwirken.