Sie ist keine, die schweigt. Ihre Meinung tut Naomi Osaka, 23, zu den verschiedensten Themen offen kund. Damit eckt sie bisweilen an – und erntet ebenso Respekt. Etwa, als sie vergangenes Jahr an den Sportboykotten der grossen US-Ligen teilgenommen hat, um nach dem durch Polizeigewalt verursachten Tod des Afroamerikaners George Floyd ein Zeichen zu setzen. Oder als sie bei den US Open kurze Zeit danach Gesichtsmasken trug, die jeden Tag einen anderen Namen von Dunkelhäutigen aufgedruckt hatten, die wie Floyd wegen Polizeigewalt ums Leben gekommen sind.
Sie ist auch keine, die jemandem etwas vorspielt. Geht es ihr nicht gut, zieht sie die Reissleine. So wie jetzt. Mitten im Turnier, nach einer gespielten Runde an den French Open. Die Gründe: gesundheitlicher Natur. Doch es ist keine Verletzung, die die Japanerin stoppt. Keine Blessur, die ihr zu schaffen macht. Osaka leidet an Depressionen – und thematisiert ihre Krankheit nun öffentlich.
In einem Post erklärt Osaka ganz offen, dass sie seit den US Open 2018, als sie ihren ersten Grand-Slam-Titel holte, immer wieder mit Depressionen zu kämpfen hat. «Mir fällt es sehr schwer, damit umzugehen.»
Sie sei introvertiert, trage oft Kopfhörer, die ihr helfen würden, «meine soziale Angst zu dämpfen», erklärte Osaka weiter. Pressekonferenzen machen ihr deshalb ganz besonders zu schaffen. «Ich bin von Haus aus keine öffentliche Rednerin und durchlebe grosse Wellen der Angst, bevor ich zu den Weltmedien spreche.» Sie werde stets nervös und finde es stressig, «mich immer zu bemühen und die beste Antwort zu liefern, die ich geben kann».
Aus diesem Grund hatte sich Osaka bereits zu Ende vergangener Woche dazu entschieden, den Medien nach ihren Spielen in Paris nicht Red und Antwort zu stehen. In einem langen Statement erklärte die Weltnummer 2, dass sie die Medienkonferenzen meiden würde.
Der Presse-Boykott schlug hohe Wellen – und führte auch dazu, dass Osaka angefeindet wurde. Einige Stimmen forderten, dass Osaka ihren Protest überdenken solle. Schliesslich würden die Pressekonferenzen zum Job einer jeden Profisportlerin gehören.
Was damals noch nicht klar war, waren die tief verwurzelten Gründe für Osakas Entscheidung. Diese liefert sie nun in ihrem Post ab. «Hier in Paris habe ich mich so verletzlich und ängstlich gefühlt, sodass ich es für besser hielt, mich um mich selbst zu kümmern und die Pressekonferenzen auszulassen», erklärt sie.
Dass diese Entscheidung nicht bei allen gut ankam, schiebt Osaka auch auf sich. «Ich wollte nie eine Ablenkung sein und ich akzeptiere, dass mein Timing nicht ideal war und meine Message klarer hätte sein können.»
Die hohen Wellen, die ihr geplanter Boykott geworfen hat, sind mitverantwortlich dafür, dass sich die vierfache Grand-Slam-Siegerin nun erst einmal zurückzieht. «Ich denke, dass es nun das Beste für das Turnier, die anderen Spielerinnen und meine Gesundheit ist, wenn ich mich zurückziehe, sodass sich alle wieder auf das Tennis konzentrieren können, das in Paris stattfindet.»
Dass Naomi Osaka öffentlich zu ihren Depressionen steht, ist so noch nie dagewesen. Zahlreiche Sportlerinnen und Sportler haben bereits über ihre eigene Erkrankung gesprochen, darunter auch viele aus der Schweiz – Ariella Kaeslin etwa, Elisa Gasparin und Laurien van der Graaff. Doch sie alle haben ihre psychischen Probleme erst öffentlich gemacht, als sie schon wieder in die Spur zurückgefunden hatten.
So gebührt Osaka besonders viel Respekt, dass sie mitten in der Krise dazu steht, krank zu sein. Diesen erhält sie neben vielen weiteren Sportstars wie Lewis Hamilton auch von ihren Konkurrentinnen auf der Tour. Coco Gauff etwa schrieb: «Bleib stark!». «Ich bin so stolz auf dich. Pass auf dich auf», war von Venus Williams zu lesen. «Und bis bald zurück beim Siegen!»