Alterslos. Anders geht's gar nicht. Rein theoretisch ist selbst ein Megastar wie Cher allmählich in die Jahre gekommen, doch praktisch betrachtet ist es ihr nicht erlaubt, älter oder gar alt zu werden, denn, wie sie selbst sagt, «die Wahrheit ist doch, dass in meinem Job Altwerden das Gleiche ist wie Aussterben». Wer will das schon? Am 20. Mai wird sie 75 Jahre alt. Das ist für einen Popstar ganz schön alt, aber sicher nicht für Cher, denn die hat sich mit den Jahren den Nimbus der Zeitlosigkeit erworben.
«Die Pop-Musik hat sich für Cher als Medizin bewährt», schrieb die «Neue Zürcher Zeitung» 2019 und fuhr fort: «Nach einer ereignisreichen Vergangenheit wirkt die Dame auf den zeitgenössischen Pop-Bühnen nicht verlebt oder lächerlich, sondern locker und glamourös. Wenn die Scheinwerfer sie umgarnen, strahlt sie über ihr ganzes, von blonden, roten oder schwarzen Perücken gerahmtes Antlitz. Die Wangen und der lange Nasenrücken sind so sauber geschminkt wie die aufgespritzten Kusslippen. (...) Eine gewisse Versteifung der Gesichtszüge lässt darauf schließen, dass die Haut viel Make-up trägt oder da und dort spannen unter den Narben chirurgischer Eingriffe, die den natürlichen Zerfall vertuschen.»
Das war vor zwei Jahren, seither ist bei Cher optisch nichts Gravierendes geschehen. Selbst beim Thema Schönheitsoperationen bleibt sie äusserst gelassen. Im Gegensatz zu berühmten Kolleginnen dementiert sie keinen der vielen Eingriffe, mit denen sie ihren Körper gestalten liess: Hautstraffungen, neue Nase und Lippen, neues Kinn, glatter Hals, glatte Beine, straffer Bauch, grosse Brüste und so weiter.
An die dreissigmal soll sie sich unter das Messer gelegt und dafür angeblich eine halbe Million US-Dollar gezahlt haben. Das und ein intensives Fitnesstraining waren Teil ihrer Selbstverwirklichung. Das Geläster darüber liess sie kalt. «Und wenn ich mir meine Brüste auf den Rücken machen lasse, ist das meine Sache», sagte sie.
Die Popikone sieht sich selbst als «Gesamtkunstwerk». An dessen innerer und äusserer Perfektion hat sie ein Leben lang hart gearbeitet. In ihrer Biografie «The First Time» schrieb sie, dass sie von klein auf ein Star werden wollte, eine berühmte Cher. «Als ich vier oder fünf war, sahen wir den Zeichentrickfilm ‹Dumbo, der fliegende Elefant› und ‹Cinderella›», sagte sie dem «Spiegel» 2018. Ihre Mutter habe geantwortet: «Kind, Dumbo kannst du nicht werden, wohl aber Cinderella.»
Grosse Karriere in der Musik Ein Mädchen und ein Traum. Cherilyn Sarkisian stammt aus der kalifornischen Kleinstadt El Centro nahe der Grenze zu Mexiko. Der Vater ist armenischer Abstammung, die Mutter hat unter anderem deutsche, französische, irische und englische Wurzeln. Die Familie soll in Armut gelebt haben.
Mit 16 Jahren, damals noch ein Pummelchen, haut sie von zuhause ab, mit 18 heiratet sie den neun Jahre älteren Musiker Sonny Bono (1935-1998), der mit ihr das Duo Sonny and Cher gründet. Mit 19 hat sie mit Sonny den ersten Welthit: «I Got You Babe» (1965), es folgen weitere Erfolge mit «Baby Don't Go» (1965), «Little Man» (1966) und «The Beat Goes On» (1968).
Schon zu der Zeit, also Mitte der 1960er Jahre, tritt Cher auch als Solosängerin auf und landet prompt Nummer-eins-Hits, etwa «Bang Bang (My Baby Shot Me Down)» (1966). Ihr langes, schwarzes Haar, ihr dicker Lidstrich und die Schlaghosen werden zu ihrem Markenzeichen, Cher landet auf dem Cover der «Vogue».
Dafür ist ihre Ehe mit Sonny Bono eine Katastrophe, 1975 folgt die Scheidung. In der Zeit danach versucht Sonny erfolglos, an die Millionen, die Cher als Solokünstlerin erwirtschaftet hat, zu kommen. Gerichte weisen seine Klagen zurück. Und sie macht große Karriere mit weltweiten Shows und Auftritten in Las Vegas – sowie in Hollywood: Cher wird Filmstar.
Sie dreht unter anderem mit Jack Nicholson, 84, Michelle Pfeiffer, 63, und Susan Sarandon, 74, «Die Hexen von Eastwick» (1987), spielt mit Meryl Streep, 71, und Kurt Russell, 70, in «Silkwood» (1983) und brilliert an der Seite von Nicolas Cage (57) in der Komödie «Mondsüchtig» (1987), wofür sie 1988 den Oscar als beste Hauptdarstellerin bekommt. Bei der Preisverleihung trägt sie ein durchsichtiges schwarzes Outfit, über das Hollywood noch heute tuschelt.
Sie ist nun auf dem Gipfel – ein Weltstar in der Popkultur und im Film. Und wieder erfindet sie sich neu bei ihrem musikalischen Comeback. Dabei wird ihr wunderbares dunkles Timbre von der Auto-Tune-Software leicht verfremdet. Die Songs «Believe» (1998) und «Strong Enough» (1999) werden weltweite Hits. Es folgen Tourneen und Las-Vegas-Auftritte, wo sie von 2008 bis 2011 über 200 Millionen US-Dollar verdient haben soll.
Ihr Horror vor der Armut bleibt nur ein Alptraum, denn Cher ist eine der reichsten Frauen im Showbiz. Sie besitzt angeblich über 20 Immobilien, unter anderem Villen in Malibu, Miami und Aspen, Wohnungen in West Hollywood und London, Grundstücke in Frankreich und Neuseeland. Der Wert ihrer Kunstsammlung wird auf fast 200 Millionen Dollar geschätzt, ihr Nettovermögen laut «Forbes»-Magazin auf 620 Millionen Dollar.
Auch die Anzahl ihrer Männer ist stattlich. 1998 verunglückte Sonny Bono tödlich beim Skifahren. Mit ihm hat sie Sohn Chaz Bono, der bis 2010 den Namen Chastity trug, bis er eine Geschlechtsangleichung vornahm. Nach der Ehe mit Sonny Bono heiratete Cher 1975 den Rockmusiker Gregg Allman (1947-2017). Auch diese Ehe hielt nur kurz.
Es folgten zahlreiche Liebesintermezzi, unter anderem mit den Schauspielern Val Kilmer, 61, und Warren Beatty, 84, den Musikern Eric Clapton, 76, Tommy Lee, 58, Gene Simmons, 71, von Kiss, Richie Sambora, 61, von Bon Jovi sowie Michael Bolton, 68.
Diese Zeiten sind offensichtlich vorbei. Heute sagt sie: «Ich gehe lieber mit einem guten Buch als mit einem Mann ins Bett.» Cher lebt völlig gesund, kein Alkohol und Drogen schon gar nicht. Ihr Jungbrunnen ist die Musik. Als 72-Jährige hat sie das Album «Dancing Queen» (2018) mit Cover-Versionen von ABBA-Liedern aufgenommen.
Und sie hat 2013 einen Song mit ihrer Mutter Georgia Holt gemacht. Die ist 94 Jahre alt und hat kürzlich ihr Comeback als Countrysängerin gefeiert. Das Alter sieht man auch ihr nicht an, sie könnte glatt als jüngere Schwester Chers durchgehen – oder umgekehrt. Das wird auch so bleiben. Sollte es jemals eine Atomkatastrophe geben, so erzählt Cher in Interviews, würden nur Kakerlaken überleben – und sie selbst.