Es gab zwei Alain Delon (†88): Delon, den Filmstar, und Alain, das unglückliche Kind, den melancholischen, launischen, zeitweise deprimierten, harten, unausstehlichen Mann. «Ich hatte alle Gaben, nur nicht die, glücklich zu sein», sagte er selbst. «Un enfant terrible est toujours un enfant terriblement triste.» Eine traurige Kindheit hat der französischen Filmikone den leicht brutalen Zug um den Mund und seinen unausstehlichen Charakter verliehen.
Delon behauptete zwar stets: «Ich war ein Kind der Liebe», aber das war Wunschdenken. Alain kam am 8. November 1935 in Bourg-la-Reine bei Paris zur Welt. Als die Eltern sich scheiden liessen, war er vier. Mutter heiratete einen Metzger und hatte mit ihm ein Kind, der Vater mit einer neuen Partnerin drei Kinder. Alain stand im Wege, «nimm du ihn, nein, ich kann nicht», bekam er zu hören, dann wurde er von einem Internat ins andere abgeschoben. Schliesslich machte er beim Stiefvater eine Charcuterie-Lehre, doch der misshandelte ihn.
Er wollte nur noch weg, meldete sich mit 17 bei der Armee, kam in Toulon zur Marine, wurde erwischt, als er Material stahl, um einen Radiotransistor zu bauen. Wie andere Starrköpfe wurde er nach Indochina an die Front versetzt – mit dem Einverständnis der Eltern. «Wie können Eltern ein 17-jähriges Kind in den Krieg schicken?», fragte Delon noch kürzlich. Er sagte aber auch: «Meine Militärperiode ist für mich die glücklichste und bereicherndste Zeit gewesen. Sie hat mir erlaubt, all das zu sein, was ich heute bin. Ich habe Disziplin, Hierarchie, Kampf und mich zu verteidigen gelernt, ich wurde vom Kind zum Mann.»
In Saigon war er Schiffsführer, Barman und Bewacher eines Munitionsdepots. Die Armee entliess ihn, er kam abgerissen nach Paris zurück, fand Unterschlupf bei einem Freund in Pigalle, inmitten leichter Mädchen und Ganoven. Er kellnerte, jobbte in Metzgereien, genoss das Leben, verliebte sich in die Crazy-Horse-Tänzerin Rita Cadillac. Im schicken Quartier Saint-Germain-des-Prés lernte er später Frauen aus besseren Kreisen kennen. Diese Frauen wurden Delons Schicksal, sie brachten ihn zum Film. Er sagte: «Sie haben mir immer geholfen, hatten die richtigen Kontakte – ich verdanke alles den Frauen.»
«Ich bin kein Schauspieler»
Doch bei seiner ersten Rolle zweifelte er: «Was wollen Sie mit mir machen, ich bin kein Schauspieler, ich bin ein Soldat!» Doch der Regisseur hielt dagegen: «Du musst nicht spielen, du musst du selbst sein, reden, wie du redest, schauen, wie du schaust.» Der Film wurde ein Erfolg. Ein Star war geboren! «Ich habe die Rollen immer gelebt, das war immer ich. Ich bin ein Akteur, kein ausgebildeter Schauspieler wie Belmondo. Akteure leben die Rollen, Schauspieler spielen sie.» Delon drehte dann insgesamt gegen 100 Filme, die Regisseure rissen sich um das Phänomen. «Wäre ich ein kleiner Ganove und Zuhälter geblieben, wäre ich längst tot», gestand er später.
Anschauen, aber nicht anfassen
Privat blieb er distanziert, ein Rätsel. Schon seine Mutter Edith, Angestellte einer Apotheke, heftete an den Kinderwagen ein Plakätchen: «Sie können mich anschauen, aber berühren Sie mich bitte nicht!» Der Spruch fasst irgendwie sein Leben zusammen: «Guckt mich an, aber kommt mir nicht nahe.» Er sagte später auch: «Ich habe bereits als Kind gemerkt, dass ich den Mädchen gefalle, ich wusste, dass ich mich auf mein Aussehen verlassen konnte.»
Seine grosse Liebe fand er in Romy Schneider (†43) bei gemeinsamen Dreharbeiten. Sie nannte seine Manieren proletarisch, konnte nicht Französisch, er nur drei Worte Deutsch: «Isch liebe disch.» Die Verlobung der aggressiven Turteltauben fand 1959 in Lugano statt, die Weltpresse berichtete von den «Verlobten Europas». Die Liebe mit Romy dauerte drei Sommer. Als die Deutsche 1962 für längere Zeit zu Dreharbeiten nach Amerika ging, lernte Alain in einem Nachtklub die schöne Nathalie kennen. Für Romy hinterliess er einen kurzen Abschiedsbrief: «Die Vernunft zwingt mich, dir Lebewohl zu sagen. Wir haben unsere Ehe gelebt, bevor wir verheiratet waren. Unser Beruf würde uns jede Chance für eine glückliche Ehe nehmen. Ich gebe dir deine Freiheit zurück, indem ich dir mein Herz überlasse. Ich bin mit Nathalie gegangen. Bitte verzeih mir.»
Mit seiner schwangeren Nathalie übersiedelte er im August 1964 nach Los Angeles, wo er von den Medien als «französische Sexbombe» empfangen wurde, Filme drehte, ein schönes Haus kaufte, aber von gigantischem Heimweh überfallen wurde. Schon im April 1965 war die Familie zurück. Das Paar feierte im Winter 1967/68 Liebesferien in Venedig, posierte vor den Paparazzi, zwei Monate später lernte Alain die Schauspielerin Mireille Darc kennen, trennte sich von der Mutter seines Sohnes Anthony, der erst zweijährig war, und zog zu Mireille. Sie blieb 15 Jahre lang seine geduldige Begleiterin, richtete ihm das 1971 gekaufte Landgut bei Douchy ein, kümmerte sich um Sohn Anthony und die vielen Schäferhunde.
Die beiden führten ein offenes Verhältnis, zuweilen brachte er eine Frau nach Hause, man lebte eine Zeit lang zu dritt. Der damalige französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing, auch er ein grosser Frauenheld, war über beide Ohren in Mireille verliebt. Als Alain den Präsidenten in seiner Wohnung beim Tee mit Mireille antraf, komplimentierte er ihn raus: «Monsieur le Président, ich bitte Sie, rauszugehen, ich empfange bei mir nur Leute, die ich selbst eingeladen habe.»
Mireille Darc war mit ihrem ausgeglichenen Charakter die ideale Frau für Delon, trotzdem verliess er sie 1987, weil sie keine Kinder kriegen konnte. Im gleichen Jahr lernte er das holländische Mannequin Rosalie van Breemen kennen, er war 52, sie 21. Sie schenkte ihm zwei Kinder: 1990 Tochter Anouchka – bis zuletzt seine beste Freundin und nun Testamentsvollstreckerin. 1994 Sohn Alain-Fabien, den sein Vater nach der Trennung von Rosalie 2001 in Internaten «versorgte».
Damit hat er seinem erst siebenjährigen Kind das gleiche Schicksal zugeteilt, unter dem er gelitten hatte. Beide Söhne hatten zeitlebens schwere Konflikte mit dem lieblosen Vater, der sie dauernd demütigte. Einen dritten Sohn namens Ari hat ihm eine Sängerin von Velvet Underground geschenkt. Er hat ihn nie anerkannt, hat ihm auch einen DNA-Vaterschaftstest verweigert, Delons Mutter hat sich um den Kleinen gekümmert. Ari ist im Frühjahr 2023 60-jährig deprimiert gestorben.
«Wir haben eine ganze Generation träumen lassen»
Brigitte Bardot
Todkrank und einsam
Der neben Jean-Paul Belmondo grösste Filmstar Frankreichs verbrachte die letzten Jahre allein in seinem 120 Hektaren grossen, mit Stacheldraht eingezäunten und von zwölf Belgischen Schäferhunden bewachten Landgut «La Brûlerie» bei Douchy, 150 Kilometer von Paris entfernt, mit einem extra für ihn ausgehobenen See. Sein Büro war mit Erinnerungsstücken, Fotos von Romy Schneider und vielen Waffen vollgestopft, für deren Besitz er keine Bewilligung hatte. Hier sass er tagelang in einem Rollstuhl und starrte auf den Bildschirm der Überwachungskameras. Vor dem Haus sein Hundefriedhof, wo 32 seiner treusten Freunde liegen und wo nun auch er beerdigt werden will.
Delon sagte einmal: «Die Einsamkeit ist meine beste Freundin.» Erst im Januar wurde bekannt, er hat Krebs, war seit Jahren in onkologischer Behandlung. Tochter Anouchka stritt mit ihren Brüdern, weil sie ihn zu Ärzten in seine Wahlheimat Schweiz bringen wollte, wo er in Genf eine Villa besass. Nun ist er im Kreis seiner Familie gestorben. Er war – in Film und Leben – Engelsgesicht und Gauner, Samurai und Leopard. «Nur Christus habe ich nicht gespielt», sagte er, der seine Filmkarriere als «Unfall» bezeichnet hat.