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Von Schottland in die Schweiz

Argyle und der Klang der zweiten Chance

Vom rebellischen Teenager zum gefeierten Sänger: Der Schotte Argyle lebt seit zehn Jahren in der Schweiz, arbeitet mit Künstlern wie Stress oder Marius Bear – und bricht mit seiner zweiten EP ein Tabu.

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In der WG in Zürich lebt Sänger Argyle noch mit seiner ­Managerin, aber nicht mehr für lange. Bald zieht er in eine andere Wohnung.

In der WG in Zürich lebt Sänger Argyle noch mit seiner Managerin, aber nicht mehr für lange. Bald zieht er in eine andere Wohnung.

Joseph Khakshouri

Konzentriert stimmt Argyle die Saiten seiner Gitarre. Den Kopf bewegt er im Rhythmus, er summt leise. Schon als Kind musizierte und sang der heute 30-Jährige ununterbrochen: «Im Zimmer, zum Radio, unter der Dusche.»

Das Gitarrenspiel brachte er sich im Teenageralter selbst bei. «Youtube war mein Lehrer. Ich spielte Akkorde nach, bis meine Hände sich daran gewöhnten.»

Doch vor anderen zu singen, kostete ihn lange Überwindung. In der konservativen schottischen Kleinstadt Ayr, die er selbst als «schwierige Gegend zum Aufwachsen» bezeichnet, fiel Argyle als Sohn eines indischen Vaters und einer schottischen Mutter ohnehin auf. Sein Ziel: bloss nicht noch mehr herausstechen. Also suchte er Anschluss an die falschen Leute. «Ich wollte dazugehören.»

Die Strasse prägte ihn. Mehrmals wurde er verhaftet, einmal landete er sogar kurz im Gefängnis. «Dummheiten», sagt er und zuckt die Schultern. Weiter will er nicht darauf eingehen. Nur so viel: «Ich habe daraus gelernt.»

Mit 18 zog er nach Amsterdam. Als das Geld knapp wurde, begann er, auf der Strasse zu musizieren. «Ich hatte keine Ahnung, ob es klappt. Ich schloss einfach die Augen und spielte.» Passanten blieben stehen, hörten zu. Manche gaben eine Münze, andere ein Lächeln. «Da merkte ich: Ich kann etwas. Ich kann Menschen berühren.»

Vom Strassenmusiker in Amsterdam zum Headliner: Von März bis April wird Argyle mit seiner neuen EP durch die Schweiz touren.

Vom Strassenmusiker in Amsterdam zum Headliner: Von März bis April wird Argyle mit seiner neuen EP durch die Schweiz touren.

Joseph Khakshouri

Eine davon besonders – eine Schweizerin. Sie blieb stehen, lauschte eine Weile. Er fand sie attraktiv, sprach sie an. Sie kamen ins Gespräch, trafen sich wieder. Bald führten sie eine Fernbeziehung, dann zog Argyle für sie in die Schweiz. Die Liebe hielt nicht, aber er blieb. «Ich hatte mich längst in die Stadt Zürich verliebt.» Und inzwischen auch in eine andere Frau. Da die Beziehung frisch ist, möchte er jedoch noch nicht zu viel verraten.

Auch musikalisch fand er hier sein Zuhause. In der Schweizer Musikszene etablierte er sich schnell, arbeitet mit Stress, Chiara Castelli und Marius Bear zusammen – und schrieb Remo Forrers ESC-Platinhit «Watergun». «Nur mit dem Schweizerdeutsch haperts noch», gibt er zu. Aber er betont, dass er sich bemüht, die Sprache zu lernen. Bis es so weit ist, bleibt der schottische Akzent sein markantes Merkmal.
 

Holten Platin mit dem Schweizer ESC-Song 2023: Manager Pele Loriano, Sänger Remo Forrer, Produzent Tom Oehler und Song­writer Argyle (v. l.).

Holten Platin mit dem Schweizer ESC-Song 2023: A&R-Manager Pele Loriano, Sänger Remo Forrer, Produzent Tom Oehler und Songwriter Argyle (v. l.).

Joseph Khakshouri

Zwischen Beats und Boxring

Was das Schottischste an ihm ist? Er lacht. «Mein Humor. Er ist schwarz und ironisch.» Von der Schweiz hat er die Pünktlichkeit übernommen. «Ich hasse es, zu spät zu kommen.» Zudem hat er hier gelernt, wann es besser ist zu schweigen.

Nicht aber beim Thema Depressionen. Viele seiner Songs drehen sich um seine mentale Gesundheit, oder er verarbeitet darin seine Jugend. «Ich wirke nicht wie ein trauriger Mensch, aber ich denke viel nach. Auch wenn es mir gerade besser denn je geht, begleitet mich meine Depression ständig. Deshalb setzt er auf Ehrlichkeit: «Manche Künstler erschaffen eine Kunstfigur, andere sind einfach sie selbst.» Er hat sich für Letzteres entschieden.

Bald performt er diese Songs live. Seinen Gastrojob hat er kürzlich an den Nagel gehängt, jetzt startet er mit seiner neuen EP «Playground in Ruins» seine erste Headliner-Tour. «Ich bin unglaublich aufgeregt, aber die Vorfreude überwiegt.»

Dafür bringt er sich aktuell in Topform: Thaiboxen und die Kampfsportart Jiu-Jitsu halten ihn fit – «ein Sport für Nerds», sagt er lachend. Der Fokus liegt auf der Technik, dabei bleibt der Kopf meist unversehrt.

An der Zürcher Kampfsportschule Hoga nimmt Argyle beim Ecuadorianer Álvaro Cornejo Jiu-Jitsu-Stunden.

An der Zürcher Kampfsportschule Hoga nimmt Argyle beim Ecuadorianer Álvaro Cornejo Jiu-Jitsu-Stunden.

Joseph Khakshouri

Auch mit einer gesunden Ernährung und dem Verzicht auf Alkohol will er seinen Körper ideal vorbereiten. Bevor er die Bühne betritt, sollen Atemübungen helfen. «So kann ich alles aus mir herausholen und meine ganze Energie freisetzen.»

Der Schotte kocht gern – wenns geht, gesund. Ab und zu holt er sich auch ­etwas vom Asiaten.

Der Schotte kocht gern – wenns geht, gesund. Ab und zu holt er sich auch etwas vom Asiaten.

Joseph Khakshouri

Das Schweizer Publikum erlebt er als zurückhaltend. «Die Leute hier brauchen etwas länger, um aufzutauen, aber mit ein, zwei Sprüchen kriege ich sie meistens.» Mit einer Mischung aus Schweizer Pünktlichkeit und schottischem Charme – was soll da schon schiefgehen?

Von Vanessa Nyfeler am 29. März 2025 - 18:00 Uhr