Bis heute fassen ihr andere Leute ungefragt in die Haare – weil sie wissen wollen würden, wie sich das anfühlt, «so Chrusle». Als Kind musste sie den «schwarzen Mann» spielen. Sie wurde als «Mohrenkopf» beschimpft, das Wort wurde ihr nachgerufen.
Doch obwohl ihre Erfahrungen mit Rassismus zahlreich sind, hat Angélique Beldner geschwiegen. 44 Jahre lang. «Ich habe den Rassismus eigentlich gar nicht sehen wollen», erklärt sie ihr Vorgehen bei «SRF Reporter». «Und ich bin so erzogen worden, dass ich ihn zu einem gewissen Teil auch nicht gesehen habe.»
Zu schweigen, war ihr Weg, mit der Ausgrenzung umzugehen. «Ich habe mir über all die Jahre irgendeine Strategie zurechtgelegt, die mir möglichst nicht wehtut. Das zeigt sich, indem ich über Rassismus praktisch nie gesprochen habe – und auch nicht darüber reden wollte. Es zeigt sich darin, dass ich Rassismus entschuldigt habe, indem ich zum Beispiel gesagt habe: ‹Das ist nicht böse gemeint›.»
Doch der Sommer 2020 hat Beldner ihre Meinung ändern lassen. Aufgrund des wegen Polizeigewalt verstorbenen Afroamerikaners George Floyd entbrennt die Diskussion um Rassismus in der Schweiz neu. Prominente, Nicht-Prominente, Politiker/innen und Nicht-Politiker/innen stehen auf – und machen auf die Diskriminierung aufmerksam, die ihnen widerfährt.
Auch Beldner wird nach ihrer Meinung gefragt. «Ich realisierte: Wenn alle schweigen, so wie ich, wird sich nie etwas ändern.» Bei «SRF Reporter» spricht sie zum ersten Mal ausführlich über Rassismus – mit ihrer Familie, mit ihrem Chef bei SRF und mit den Leuten am Stammtisch in Frutigens Dorfbeiz. Beldner stellt sich ihrer anderen Seite, wie sie sagt. Für sie ist es höchste Zeit. «Ich war viel zu lange viel zu nett.»
Damit, dass sie anders aussieht als die anderen Kinder, wird Angélique Beldner schon früh konfrontiert. Ihre ersten Lebensjahre verbringt sie in Frutigen im Berner Oberland, wo Mutter Therese als Lehrerin arbeitet. Ihre Eltern trennen sich nach drei Jahren Beziehung noch vor Angéliques Geburt. Der Vater, ein Informatiker aus Benin, lebt in Paris. Die Mutter zieht Angélique allein gross – mithilfe ihrer Familie. Sie sei wohlbehütet aufgewachsen, sagt Beldner.
Der Vater spielt in ihrem Leben lange keine Rolle. Im Alter von 20 Jahren sieht sie ihn zum ersten Mal, am Pariser Gare de Lyon. Vorher ist er kaum je Thema in der Familie. «Man sagte mir, er sei vielleicht in Paris. Man sagte mir, woher er kommt. Und meine Mutter hat mir irgendwann ein paar wenige Dinge geschenkt, die sie von ihm noch hatte», erinnert sich die «Tagesschau»-Moderatorin. Von ihrem Vater und der Geschichte, die mit ihm und seiner Herkunft verbunden ist, «habe ich nie etwas mitgekriegt».
Heute pflegt sie ein loses Verhältnis zu ihm und ihren drei Geschwistern in Paris. Sie habe ihre schwarze Familie auf Distanz gehalten, gibt Beldner offen zu.
«Als würde man mir sagen: Du bist nicht Teil von dem hier, was wir hier haben»
Angélique Beldner
Die negativen Erfahrungen, die sie aufgrund ihrer Hautfarbe macht, sind zahlreich – und beginnen früh. Schon als Kind habe sie die Frage, woher sie komme, nicht ausstehen können. «Ich habe immer gesagt: ‹Aus Bern›», erinnert sich Beldner. Auf die Rückfrage «Ja schon, aber richtig?» habe sie gesagt: «‹Ich komme auch richtig aus Bern.› Dann hat man vielleicht noch einmal gefragt: ‹Aber wo sind deine Wurzeln?› Da habe ich sehr gerne noch einmal gesagt: ‹In Bern.›»
Die Frage nach ihrer Herkunft verletzt Beldner. «Das, was wehtut, ist, dass wenn man solche Fragen immer und immer wieder hört – und zwar sehr früh in einem Gespräch –, empfinde ich es so, als würde man mir sagen: Du bist nicht Teil von dem hier, was wir hier haben.»
Die Diskriminierung begann bei Angélique Beldner früh – und hat bis heute nicht aufgehört. «Schoggi» wird sie heute nicht mehr genannt, «das traut sich niemand mehr». «Aber es ist Latte macchiato. Café mélange.»
Lange wehrt sich Beldner nicht gegen die Diskriminierung, die sie erfährt. Bei ihrer ersten «Tagesschau»-Moderation 2015 werden ihr die Haare streng nach hinten gesteckt – oder wie es Grosstante Lydia formuliert: «Sie haben dir ja die Frisur ‹hinderegschrisse›, ich habe das Angie nicht mehr gekannt!» Beldner lässt die Stylisten gewähren.
«Es ist schon so, dass ich das Gefühl hatte, es stünde mir nicht zu, mir das so genau zu überlegen, was ich möchte», gibt sie heute zu. «Ich lasse mir sagen, was möglich ist. Wenn sie mir sagen, es ist nicht möglich, weil es nicht gut aussieht mit dem Licht oder was auch immer, dann glaube ich das.» Es sei die «Geschichte von früher – möglichst anpassen». «Aber eigentlich hätte ich aufstehen müssen und sagen: Halt! Stopp! Moment!»
Die Stylistin von SRF begründet die Wahl der Frisur von damals mit den Styling-Richtlinien von SRF aus dem Jahr 2015. Das Styling der Moderatorinnen und Moderatoren sollte «elegant und ausdrucksstark sein» – eines, das «in News passt».
Kleider und Haare sollten damals elegant wirken, «aber nicht zu sehr ablenken». Mittlerweile hat sich viel getan: Die Business-Mode sei viel lockerer geworden. Beldner trägt ihr Haar heute auch offen.
Doch der Vorfall ist nicht der einzige, über den Beldner heute sprechen will und kann. Vor 15 Jahren bewirbt sie sich zum ersten Mal bei der «Tagesschau» – und erhält eine Absage. «Dann sagte man mir, die Schweiz sei noch nicht so weit, sie sei noch nicht parat für eine dunkelhäutige Moderatorin.» Direkt gesagt habe man ihr das so nicht. «Irgendwo hintendurch hat man das nachher gehört.»
Tristan Brenn, Chefredaktor TV bei SRF, zeigt sich schockiert, als Beldner ihn mit den Geschehnissen von damals konfrontiert. «Ich kann es ehrlich gesagt fast nicht glauben», sagt er. «Ich bin sehr überrascht über so eine Aussage, so eine Wertung auch. Ich kann es mir nicht erklären. Selbst, wenn man hier in diesem Haus das Gefühl hatte, es könnten gewisse Leute Anstoss nehmen an einer Moderatorin, die eine andere Hautfarbe hat, dann hätte man es erst recht tun sollen.»
Beldner hingegen nimmt sich die Abfuhr von damals nicht zu Herzen. «Ich fand es nicht einmal so schlimm, weil ich war es mir gewohnt», erzählt sie. «Und ich dachte: Ich verstehe es. Wenn man doch nicht weiss, wie dieses Land reagiert auf so jemanden wie mich, dann ist es vielleicht gescheiter, man lässt es bleiben.»
Zehn Jahre später moderiert sie schliesslich ihre erste «Tagesschau», seit Anfang 2020 zusätzlich die Quiz-Show «1 gegen 100». Auch heute noch erhält sie Hasskommentare aufgrund ihrer Hautfarbe. «Das sind die, die beispielsweise schreiben: ‹Es reicht langsam mit der Vernegerung!› Und dann gibt es auch solche, die negativ sind, bei denen ich aber nicht sicher sagen kann, dass es etwas mit Rassismus zu tun hat. Zum Beispiel eine Frau, die schreibt, ich könne das WC putzen gehen, dafür sei ich gut genug – und sonst für gar nichts.»
Es sind Vorfälle wie diese, die Beldner nun ihre Stimme erheben lassen. «Wir müssen darüber reden, das ist wichtig!», versucht sie auch ihrem Vater zu vermitteln, der zum Thema stets geschwiegen hat. Dass das nicht einfach ist, hat Angélique Beldner in den letzten Monaten auch an sich selber festgestellt. «Dieser Sommer hat mir gezeigt: Über Rassismus zu reden, ist schwierig», sagt sie. «Aber schweigen ist für mich definitiv keine Option mehr.»