Mit 24 Jahren wurde Bianca Sissing im Jahr 2003 zur Miss Schweiz gekürt. Quasi über Nacht kennt man die in Kanada aufgewachsene Tochter eines Schweizers und einer südafrikanischen Mutter plötzlich überall. Schnell lernt die studierte Psychologin auch die Schattenseiten des Ruhms kennen: So löst ihr nicht ganz akzentfreies Deutsch eine Debatte aus, ob eine Miss die Landessprachen fliessend sprechen können müsse oder nicht. Sissing macht aber auch mit positiven Schlagzeilen von sich reden: Sie glänzt etwa bei den Miss-Universe- und Miss-World-Wahlen und schafft es bei beiden Wettbewerben unter die ersten Fünfzehn.
17 Jahre später hat sich im Leben von Bianca Sissing sehr viel verändert. Zu Hause fühlt sie sich aber nach wie vor in der Stadt Luzern, wie sie bei schweizer-illustrierte.ch erzählt: «Ich bin im Herzen der Schweiz daheim. Ich habe überallhin nur eine Stunde oder weniger Fahrzeit. Hier zu wohnen und zu arbeiten, ist für mich pures Glück.» Seit neun Jahren ist sie mit Buchautor Pirmin Lötscher, 42, verheiratet. Das Paar wohnt nur unweit vom Ufer des Vierwaldstättersees. Im Alltag sind sie für den Moment ein Working Couple: «Ich möchte Kinder, lasse mir den Zeitpunkt aber offen», sagt die heute 41-Jährige.
Getrieben vom Durst nach persönlicher Entwicklung
Als Miss Schweiz frisch ab dem Studium hatte sie damals gehofft, die in Kanada erworbenen Kenntnisse in der Schweiz anwenden zu können. «In Toronto, wo ich bis kurz vor der Teilnahme bei der Miss-Schweiz-Wahl gelebt hatte, kann man mit einem Psychologie-Studium in einer Kinderkrippe oder einem Kindergarten arbeiten. So etwas schwebte mir hier auch vor», erinnert sich Sissing.
Doch dieser Wunsch wurde nicht erhört. Mit ihrer Ausbildung riet man Sissing damals, eine Stelle in einer psychologischen Praxis oder einem Spital anzunehmen. Ein solch klinisches Berufsumfeld war für sie nicht denkbar, deshalb sattelte die Miss Schweiz 2003 um: Sie begann eine Lehre zur Floristin. Nach sieben Jahren im Blumengeschäft spürte Sissing innerlich, dass es Zeit war für etwas Neues. «Persönliche Entwicklung ist mir das Wichtigste im Leben. Ich möchte beruflich nie stillstehen», begründet sie diese Entscheidung rückblickend.
Psychologin, Floristin, Yoga-Lehrerin
Hungrig nach neuem Wissen absolvierte sie 2012 die Ausbildung zur Yoga-Lehrerin. 2015 verbrachte sie einige Monate in Indien, um sich bei der Vereinigung für Yoga und Meditation in Rishikesh weiterzubilden. Heute unterrichtet sie eine Vielzahl von Yoga-Stilen: Vinyasa Flow, Yin Yoga, Yoga Nidra und Meditation. Und das mit grossem Erfolg: Seit März 2019 führt die Ex-Miss am Luzerner Kasernenplatz ihr eigenes Yoga-Studio LIV lab. «Ich führe acht Mitarbeitende», sagt Sissing nicht ohne Stolz.
Dass sie in den siebzehn Jahren Einblick in verschiedenste Welten hatte, empfindet die Schweiz-Südafrikanerin als unglaubliche Bereicherung: «Ich konnte aus all meinen Jobs sinnstiftende Erkenntnisse gewinnen.» Im täglichen Kontakt erlebt sie es aber immer wieder, dass manche Menschen viel Unverständnis zeigen, weil sie nie als Psychologin gearbeitet hat. Sissing: «Ich finde es schade, dass Leute so denken. Ich arbeite in meinem Job als Yoga-Lehrerin und Geschäftsführerin tagtäglich mit Leuten und begleite sie auf ihrem Lebensweg. Ich wende mein Studium also im Berufsalltag sehr wohl an.»
Sie hat der Modelwelt nicht ganz abgeschworen
Was sie freut, ist, wenn sie auf der Strasse immer noch als Miss Schweiz erkannt wird. Auch wenn sie im Unterschied zu Ex-Missen wie Christa Rigozzi, 37, oder Melanie Winiger, 41, nicht hauptberuflich aufs Moderieren, Schauspielern oder Modeln setzt, hat Sissing der Glamourwelt nicht ganz abgeschworen – sie nimmt hie und da Modelaufträge wahr.
Seit zehn Jahren bereits ist sie beim Grand Casino Luzern oder bei Carl. F. Bucherer als Markenbotschafterin unter Vertrag und in dieser Funktion regelmässig an VIP-Events. Wenn es ihre Zeit zulässt, läuft Sissing auch noch an ausgewählten Modeschauen. So präsentierte sie letzten Herbst etwa Abendkleider von der Luzerner Couturière und früheren Missen-Designerin Lisbeth Egli für Lu Couture an der grossen Modeschau im KKL oder Kollektionen von PKZ.
«Mich stört der Missen-Stempel überhaupt nicht»
Das Engagement für PKZ hat sie Ex-Missen-Mami Karina Berger, 51, zu verdanken. Auch sonst habe ihr das Netzwerk, welches sie sich in ihrer Zeit als Miss Schweiz aufgebaut habe, sehr viele Türen geöffnet für ihr späteres Leben. Dass sie für viele Menschen immer auch eine Miss bleiben wird, findet die Luzernerin in Ordnung. «Mich stört der Missen-Stempel überhaupt nicht. Es ist Teil meiner Vergangenheit. Es hat mich unter anderem zu der Person gemacht, die ich heute bin.»
An dieser Überzeugung können auch die jüngsten Negativ-Schlagzeilen um die Miss-Schweiz-Organisation und die abgesetzte Miss Jastina Doreen Riederer, 21, nicht rütteln. Sissing hat eine gesunde Distanz zu den Geschehnissen: Der Sinkflug der Schönheitswahl löst selbst in ihr als Ex-Miss kein Bedauern aus.
«Dass wir seit zwei Jahren keine Miss-Schweiz-Wahl mehr haben, finde ich nicht so tragisch», sagt sie. Manche mögen das «herzlos» von ihr finden, glaubt sie, aber: «Es ist nicht mehr dieselbe Zeit wie vor zehn, zwanzig Jahren. Die Medieninteressen und die Zuschauerinteressen verlagern sich, Wirtschaft und Gesellschaft verändern sich. Wir hatten super schöne Jahre, aber heute braucht es ganz andere Fernsehformate.»
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