«Man muss Dinge ändern, um schlechte Gewohnheiten aufzugeben», sagt Endo Anaconda, 64. Besonders dann, wenn zu den schlechten Gewohnheiten der Konsum einer ganzen Flasche Gin pro Tag gehört. «Es ist nicht so, dass es ohne Alkohol nicht gegangen wäre. Sondern dass es mit Alkohol nicht mehr ging», sagt der Musiker, Autor und Kolumnist. «Ich kam an einen Punkt, wo ich im Alltag nicht mehr klarkam. Ich sagte Sachen, die ich im Nachhinein bereute, konnte mich an andere nicht mehr erinnern. Da wusste ich: jetzt. Oder nie mehr.»
Und Anaconda ändert Dinge. Er gibt seine Berner Stadtwohnung auf und zieht ins hinterste Emmental, wo er seit 18 Jahren einen Zweitwohnsitz hat. Seine Hasenhöhle. Seinen Chüngelbau. Seinen Ort der Kreativität. «Man schreibt nicht bessere Texte, nur weil man trinkt und Drogen konsumiert. Aber immerhin haben wir mit Stiller Has zwei Gold-Alben und ein Platin-Album eingespielt», meint Endo Anaconda lachend. Der neueste Wurf, «Pfadfinder», ist allerdings total nüchtern entstanden – und mit einem Einstieg auf Platz zwei der Hitparade erfolgreich gestartet. Auch wenn sich darauf immer noch schwermütige Zeilen finden («Alles, wo i gliebt han, hani vertriebe» im Song «Chräie»), sitzt hier ein ganz «neuer» Endo Anaconda an seinem Schreibtisch in der urgemütlichen Stube. Gut 15 Kilo leichter, fit (er geht dreimal pro Woche ins Fitnessstudio), glücklich. «Glück ist eine Momentaufnahme», relativiert Andreas Flückiger, wie Endo Anaconda mit richtigem Namen heisst. «Was zählt, ist Zufriedenheit.»
«Ich kam an einen Punkt, wo ich im Alltag nicht mehr klarkam»
Und dafür braucht Endo Anaconda nicht viel. Einen Kachelofen mit Holzheizung. Das Einheizen zwingt ihn morgens aus dem Bett. Einen Küchentisch, ein Kaffeekännchen. Bücher und Bilder. Hans Stalder, Schang Hutter, einen Toulouse-Lautrec-Druck. «Nichts Wahnsinniges», sagt Anaconda. «Ich habe keinen Statusstress.» Das Sport-Cabrio, mit dem er vor Jahren hier herumkurvte und dabei auf dieses Bijou stiess, ist verkauft. Er teilt sich jetzt einen kleinen Wagen mit seiner Lebenspartnerin. «Ein richtiges Meitschiauto», meint Endo. Sie wohnt in Aarau – und fährt Velo, wenn Endo mit dem Auto im Emmental ist. Das muss echte Liebe sein!
«Was soll man machen, wenn einem noch so viele Songs im Kopf herumschwirren?»
Endo sitzt am Küchentisch, zieht an seiner Zigarette. An der Wand hinter ihm hängen eine Nachricht seiner jüngsten Tochter und ein Andy-Warhol-Druck, der langsam von Fotos der Kinder überklebt werden soll. Die drei besuchen ihren Papa gern – auch wenn es hier kein WLAN gibt. «Wir schau- en Filme und diskutieren viel.» Jeweils an Weihnachten sind die drei, die alle verschiedene Mütter haben, gemeinsam hier. Ob eins seiner Kinder in die Fussstapfen des Vaters treten will? «Um Himmels willen», meint dieser. «Kinder, die das machen, was ihre Eltern machen, werden nichts. Es ist nicht die Aufgabe meiner Kinder, so zu sein wie ich. Sie müssen ihr eigenes Ding machen, ihre eigenen Werte entwickeln. Ich kann sie nur zum Denken anregen.» Trotzdem ist die Älteste Künstlerin geworden, hat schon einige Ausstellungen realisiert. «Blöderweise ist sie sehr begabt», meint der stolze Vater schmunzelnd. «Aber sie weiss auch, dass ein solcher Beruf finanziell extrem hart sein kann.»
Zumal höhere Mächte wie die Corona-Krise gerade Künstler hart treffen können. Auch Stiller Has musste die fürs Frühjahr geplanten Auftritte in den Herbst verschieben. Traurig, findet Endo – auch wenn er «Pfadfinder» ursprünglich gar nicht mehr machen wollte. «Ich hatte eigentlich eine Frühpension im Kopf. Aber was soll man machen, wenn einem da noch so viele Songs im Kopf herumschwirren.» Sagts, setzt sich an seinen Schreibtisch und greift zur Feder. Er sei ein Geschichtenerzähler, sagt Endo Anaconda. Und kann als solcher nicht einfach aufhören, Geschichten zu erzählen. Seine eigene ist gerade an einem guten Punkt angekommen. Hier, in seiner «Höhle» mit dem heimelig knarrenden Holzboden, zuhinterst im Emmental – da, wo sich Has und Has Gute Nacht sagen.