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Stan Wawrinka

«Ich genoss die Zeit mit Alexia»

Er war auf bestem Weg von einer langen Verletzungsphase zurück an die Weltspitze. Doch dann stoppte Corona den Lauf von Stan Wawrinka. Der Lausanner Tennisstar hadert nicht. «Ich machte Hausaufgaben mit meiner Tochter.»

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Stan Wawrinka, Juli 2020

Im Reinen mit sich: Stan Wawrinka geht mit 35 auf das Ende einer bewegten Tenniskarriere zu. «Ich darf zufrieden sein. Ich habe mir sehr viel erarbeitet.»

Anoush Abrar für L'illustré

2014 gewinnt Stan Wawrinka, 35, in Australien erstmals ein Grand-Slam-Turnier und wird die Nummer 3 der Welt. In jüngerer Zeit hat der Romand aus Lausanne aber auch die Schattenseiten seines Berufs intensiv kennengelernt. Der dreifache Major-Gewinner, Davis-Cup-Champion und Olympiasieger im Doppel hat eine lange Verletzungsgeschichte hinter sich, ist aber spätestens mit dem Viertelfinal in Melbourne vergangenen Januar auf die Erfolgsspur zurückgekehrt. Doch dann machte Corona der Saison ein Ende, und der Vater der zehnjährigen Alexia musste erneut pausieren.

Stan Wawrinka, Juli 2020

Neues Umfeld: Mit 20 versuchte Stan, Jugendfreundschaften zu erneuern. «Aber es ging nicht. Unsere Leben waren zu weit auseinandergedriftet.»

Anoush Abrar für L'illustré

Stan Wawrinka, Sie haben jetzt erstmals seit über 20 Jahren mehrere Monate am Stück zu Hause verbracht. Wie fühlt sich das an?
Super, die Pause tat gut! Ich hab die Monate ohne Reiserei sehr genossen. So konnte ich sehr viel Zeit mit meiner Tochter Alexia verbringen. Ich habe ihr bei den Hausaufgaben geholfen. Es war auch schön, in Ruhe mal Zeit für mich zu haben. Das Adrenalin des Wettkampfs fehlt mir überhaupt nicht. Zumal ja alle zum Pausieren gezwungen sind.

Am 14. August soll die Turniersaison nun aber in Washington wieder aufgenommen werden.
Genau, ich habe meine Trainingsplanung jetzt mal auf dieses Datum ausgerichtet. Man muss irgendwann wieder einen geregelten Betrieb aufnehmen, auch wenn alles noch sehr ungewiss ist. Die USA stecken ja noch sehr tief in der Corona-Krise, niemand weiss, wie sich alles entwickelt. Es gibt Pläne für Spiele hinter verschlossenen Türen oder Cincinnati und das US Open am gleichen Ort zu spielen, die Spieler alle in ein und demselben Hotel einzuquartieren. Warten wirs mal ab.

Das könnte für die Spieler auch ein sehr einsames Leben bedeuten.
Klar, auch wenn ich das Glück habe, dass die Mitglieder meines Teams, die mich auf der Tour stets begleiten, längst zu Freunden geworden sind. Eine gewisse professionelle Distanz muss aber trotzdem gewahrt bleiben.

«Ohne die Reiserei hatte ich endlich Zeit für mich. Das Adrenalin des Wettkampfs fehlt mir nicht»

Stan Wawrinka
Stan Wawrinka, Juli 2020

Aufwärts: Derzeit ist Wawrinka die Nummer 17 der Welt – Tendenz steigend. 2018 fiel die einstige Nummer 3 wegen Verletzungen aus den ersten 250 der Welt.

Anoush Abrar für L'illustré

Wenn Sie nun in dieser Pause ein wenig zurückblicken auf Ihre Karriere, was bedauern Sie am meisten?
Die Niederlage im Masters-Halbfinal von 2014 gegen Roger Federer, bei Weitem! Ich verlor, nachdem ich vier Matchbälle vergeben hatte. Der Final gegen Djokovic im wichtigsten Turnier nach den Majors, mit den acht besten Spielern des Jahres, lag quasi auf dem Silbertablett vor mir. Ich hätte ganz klar gewinnen müssen. Aber ich habe nicht alles Notwendige getan, um dies auch zu verdienen. In der Nacht darauf habe ich kaum geschlafen. Es brauchte viele Gespräche mit nahestehenden Menschen, um aus dem Tief wieder rauszukommen. Geholfen hat mir, dass gleich der Davis- Cup-Final gegen Frankreich folgte. Ich reiste mit Steve Lüthi im Zug nach Lille, das tat gut.

Und Sie trafen dort gleich wieder mit Federer zusammen …
Er kam erst ein paar Tage später, wegen einer Verletzung. Wir sahen uns an, lächelten, und alles war erledigt.

Weshalb Sie ja dann mit Roger auch überzeugend gewannen. Wird man Sie nach jenem Triumph von 2014 je wieder im Davis Cup spielen sehen?
Schwierig, in meinem Alter muss ich die Einsätze dosieren. Und der Davis Cup in diesem neuen Format gefällt mir gar nicht. Zudem ist es nicht das Gleiche ohne Roger. Aber denken Sie jetzt nicht, dass ich nicht mit den Jungen spielen wollte.

Erinnern Sie sich eigentlich noch an Ihre erste Begegnung mit Federer?
Sehr gut sogar! Es war auf Sand im nationalen Leistungszentrum in Biel. Ich war 16 und sollte ihm als Sparringspartner dienen. Er war schon ein Star. Ich war extrem nervös, hatte Angst, schlecht auszusehen. Ich gab alles und stand schon nach fünf Minuten mit hochrotem Kopf auf dem Platz.

Man sagt, Sie hatten bezüglich Popularität Pech, in der gleichen Generation wie er spielen zu müssen.
Im Gegenteil! Ich habe so viel von ihm profitiert. Als ich auf die Tour kam, war Roger bereits die Nummer 1. Nicht viele Junge haben die Chance, mit einem solchen Champion trainieren zu können. Ein grosses Verdienst an meinen drei Grand-Slam-Titeln geht darauf zurück, aber auch auf Nadal und Djokovic. Ich bin sicher der Spieler, der am meisten mit diesen drei Grossen trainieren konnte. Und auf Rogers Rat konnte ich immer zählen vor den Spielen gegen die beiden anderen. Er war wie ein grosser Bruder für mich.

Man verbindet Federer oft mit Kunst und Talent, Sie aber eher mit Fleiss und Willen. Stört Sie das?
Gar nicht, warum auch? Ich stimme dem vollständig zu und bin auch stolz auf meine Art des Spiels. Ich glaube übrigens, dass es gerade meine kampfbetonte Art ist, die mich beim Publikum beliebt macht. Roger, Rafa und Novak, das sind für die Leute Ausserirdische. Bei mir aber denken sie eher, der hat Erfolg und ist doch ein Typ wie wir.

Lesen Sie eigentlich, was die Zeitungen über Sie schreiben?
Ja, sehr gerne sogar. Besonders die Online-Medien verfolge ich generell intensiv. Mit ihnen bleibe ich auch am anderen Ende der Welt auf dem Laufenden über alles.

Verletzt Sie nie, was Sie da über sich lesen?
Heute überhaupt nicht mehr. Früher war ich schon empfindlicher in dieser Hinsicht, hab mir vieles sehr zu Herzen genommen.

«Roger, Rafa und Novak sind für die Leute Ausserirdische. Bei mir denken sie eher, das ist doch ein Typ wie wir»

Stan Wawrinka
Stan Wawrinka, Juli 2020

34 Millionen Dollar Preisgeld: So viel hat Stan mit seinen 523 Siegen in 824 Spielen auf der ATP-Tour bisher verdient.

Anoush Abrar für L'illustré

Sie waren in den vergangenen Monaten sehr aktiv auf den sozialen Medien, haben viel aus Ihrem Lockdown-Leben gepostet. Lesen Sie auch, was Ihre Fans an Sie schreiben?
Ja, sooft ich dazu komme. Ich bin mir bewusst, wie wichtig die Fans für mich sind. Es ist zu einem grossen Teil ihr Verdienst, dass ich dahin gelangt bin, wo ich heute stehe.

Sie sollen als Kind sehr emotional gewesen sein. Wie hat sich das geändert?
Eigentlich bin ich es noch immer. Aber ich wurde von Coaches gelehrt, meine Emotionen gegen aussen nicht mehr so zu zeigen. Es könnte den Gegnern helfen. Obwohl ich finde, dass man aus seinen Emotionen durchaus auch eine Stärke machen kann. Zu sich stehen ist wichtig.

Hat das mit Ihrer Herkunft von einem Bauernhof mit anthroposophischen Eltern zu tun?
Gut möglich. Meine Eltern standen stets hinter dem, was ich machte. Sie liessen meinem Bruder, meinen zwei Schwestern und mir unsere Art und unsere Träume. Zu mir sagten sie: Probiers mit dem Tennis, wenns nicht klappt, kannst du immer noch ein Studium absolvieren.

Welcher Wert, den Ihnen Ihre Eltern mitgegeben haben, ist der wertvollste?
Ich denke da nicht an einen bestimmten Wert, sondern an ihre Erziehung als Ganzes. Ich wuchs auf einem Bauernhof inmitten von Tieren auf, und ich liebte es, meinem Vater bei den Arbeiten auf dem Hof zu helfen. Dieses Leben prägte mich und hilft mir heute, die Füsse auf dem Boden zu behalten. Meine Eltern betreuten ja bei uns auch eine Wohngruppe von Menschen mit einer Behinderung. Wir assen zusammen, lebten eng miteinander. Als ich die ersten Erfolge hatte, sagten einige von ihnen zu mir: «Stan, ich habe dich am Fernsehen gesehen.» Das berührt mich jedes Mal aufs Neue, weil ich mit diesen Leuten aufgewachsen bin. Einige kannten mich schon als Bébé.

Und welche von all diesen Erfahrungen möchten Sie an Ihre Tochter Alexia weitergeben?
Am wichtigsten ist mir, dass sie alle Menschen in ihrem Leben respektiert, egal, wie und was sie sind. Ich erlebe oft, dass mir die Leute auf besondere Art begegnen, nur weil ich öffentlich bekannt bin. Und dann versuche ich, Alexia zu erklären, dass das nicht das normale Leben ist.

Von Aurélie Jaquet/L'Illustré am 19. Juli 2020 - 15:44 Uhr