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NHL-Verteidiger Jonas Siegenthaler

«Ich habe alles meinen Eltern zu verdanken»

Der Zürcher NHL-Verteidiger Jonas Siegenthaler hat für sein Glück bei den New Jersey Devils viel investiert. Der 26-Jährige redet im Interview über die Opfer seiner Eltern, die härtesten Tage als Teenager in Nordamerika und seine positive thailändische Energie.

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Eishockeyspieler Jonas Siegenthaler fotografiert auf de Zürichsee und im Training in Altstetten für die SI SPORT 02/23.

Sidesteps zur Kräftigung der Beinmuskulatur: Jonas Siegenthaler beim Sommertraining vor seinem Ebenbild im «Klub der Sportfreunde» an der Zürcher Hohlstrasse.

Florian Kalotay, 13 Photo

Freitagmorgen, 7.15 Uhr, an der Hohlstrasse in Zürich Altstetten. Jonas Siegenthaler fährt mit einer Vespa vor dem Klub der Sportfreunde vor, einem grosszügigen, luftigen Gym mit Industriecharme, Freihanteln und einem Boxbereich. Hier trainieren viele Banker und Geschäftsinhaber, die nach Anleitung leiden. Und Profisportler wie Jonas Siegenthaler. Er ist in einem Wandgemälde überlebensgross verewigt, mitten im wuchtigen Slapshot. In einer guten Stunde wird er hier mit Nico Hischier trainieren, dem Walliser Captain der New Jersey Devils. Sie beide haben finanziell ausgesorgt. Im Juli 2022 unterschrieb Siegenthaler einen Vertrag, der ihm ab diesem Sommer für fünf Jahre 17 Millionen Dollar garantiert. Das sind 3,4 Millionen pro Jahr. Nach der abgelaufenen sehr guten Saison wäre sein Marktwert wohl noch um eine gute Million höher. Dennoch ist er mehr als zufrieden. Der einstige Junior der ZSC Lions hat es weit gebracht.

Eishockeyspieler Jonas Siegenthaler fotografiert auf de Zürichsee und im Training in Altstetten für die SI SPORT 02/23.

Jonas Siegenthaler beim Wakesurfen auf dem Zürichsee: Einmal pro Woche ist für ihn und seine Trainingskollegen ein Spezialprogramm angesagt.

Florian Kalotay, 13 Photo

Jonas Siegenthaler, Sie sind fürs Sommertraining in Ihre Heimatstadt Zürich zurückgekehrt. Wo wohnen Sie aktuell?
Jonas Siegenthaler: Ich habe in einem Neubau am Hönggerberg gerade eine Attikawohnung gekauft. Mit schöner Aussicht auf den Uetliberg, den See und die Glarner Alpen.

Waren Sie früher nicht jeweils bei den Eltern auf Besuch?
Ja, aber die sind vor einem Jahr nach Thailand ausgewandert, wo meine Mutter herkommt. Die Wohnung haben sie auch aufgegeben. Darum musste ich etwas für mich suchen. Und kaufte dann gleich etwas.

Die Eltern sehen Sie nur noch in Thailand?
Mehr oder weniger. Ich bin nach der Saison für acht Tage zu ihnen geflogen. Sie wohnen im Osten, an der Grenze zu Kambodscha.

Ist Eishockey in Thailand ein Thema?
Höchstens in Bangkok. Aber für die Masse ist die Ausrüstung zu teuer. Ich hatte kurz die Idee, Eishockey örtlich etwas zu fördern. Aber es ist bislang bei dem Gedanken geblieben.

Das Geld dazu hätten Sie. Haben Sie jemals gedacht, mit Eishockey so viel zu verdienen?
Es ist definitiv viel Geld. Ich bin sehr einfach aufgewachsen. Wir wohnten in einem Arbeiterquartier in Zürich Affoltern. Meine Eltern hatten kein Geld zum «Furtschüsse». Und gerade wegen des Hockeys waren sie knapp dran, weil es so viel kostete.

Wie ging die Rechnung trotzdem auf?
Sie arbeiteten beide 100 Prozent. Die Mutter in der Migros-Filiale in Altstetten im Verpackungslager. Ein harter Job. Morgens um vier oder fünf ging sie aus dem Haus, zwölf Stunden später holte sie mich nach der Arbeit vom Hort ab und fuhr mich ins Training, wartete oft und nahm mich dann mit nach Hause. Mein Vater arbeitete als Baggerführer auf dem Bau, musste auch um sechs Uhr früh aus dem Haus. Er kam erst abends zurück. Nachdem er den ganzen Tag im Lärm arbeitete. Sie waren beide rechte Büezer.

Ihre Eltern haben einiges an Zeit und Geld geopfert.
Ja, es ist extrem, was sie alles geleistet haben. Zum Glück ist alles aufgegangen mit meiner Karriere. Ich habe ihnen alles zu verdanken.

Eishockeyspieler Jonas Siegenthaler fotografiert auf de Zürichsee und im Training in Altstetten für die SI SPORT 02/23.

«Die Ausgangslage ist perfekt. Wir haben vier, fünf Jahre Zeit, den Stanley Cup zu gewinnen»: Jonas Siegenthaler.

Florian Kalotay, 13 Photo

Sind Sie als Primarschüler selbstständig aufgestanden und zur Schule gegangen?
Ja. Meine zwei Jahre ältere Schwester Julia und ich wachten früh mit dem Wecker auf, wir zogen uns an und gingen in den Hort zum Frühstück. Dann in die Schule, über den Mittag wieder in den Hort. Als sie in die erste Sek kam, ging ich auch nicht mehr in den Hort. Ich bereitete jeden Morgen meine Sachen für die Schule vor und ging los.

Empfanden Sie keinen Stress?
Es war eine gute Lektion für uns, früh selbstständig zu werden. Ich empfand es als positiv.

Sie haben früh mit dem Eishockey begonnen.
Mit vier Jahren bin ich in die Hockeyschule. Wegen meines Halbbruders Pat. Er ist neun Jahre älter als ich und spielte damals bei Bülach und Kloten. Wegen ihm wollte ich Hockey spielen. Ich trug auch seine Trainingssachen nach. Auch wenn sie zu gross waren.

Mussten Sie als Kind auf etwas verzichten?
Ich würde es nicht Verzicht nennen. Wir sind halt nur einmal pro Jahr in die Ferien. Meistens in die Sommerferien nach Thailand. Sport- oder Frühlingsferien gab es hingegen nicht. Wir besassen aber einen Wohnwagen beim Atzmännig. Für uns war das die beste Unterhaltung. Die Eltern waren im Garten, wir auf dem Trampolin. Atzmännig oder Thailand, das waren unsere Ferien. Aber dass es nicht fünfmal pro Jahr in die Ferien ging, war in unserem Viertel normal. Ich bin im «Schauenberg» in die Schule. Meine Klasse bestand aus vielen Kindern mit ausländischen Wurzeln und einem Mädchen mit zwei Schweizer Elternteilen. Das war also nicht die Oberschicht.

Sie sind ein Modellathlet mit 1,91 Zentimetern Grösse. Aber als Kind gehörten sie eher zu den Gutgenährten, richtig?
Als ich im Alter von zwei bis drei Jahren bei der Grossmutter war, fütterte sie mich üppig mit Thai-Food, ja. Dadurch nahm ich ziemlich zu und war ein wenig übergewichtig. Das ging sicher bis zur vierten, fünften Klasse. Mit 12, 13 Jahren bin ich stark gewachsen. Es zog mich in die Länge. Damals spürte ich auch, dass es etwas mit dem Hockey werden kann.

Warum?
Durch meine Grösse konnte ich den Spielstil anpassen. Ich hatte die Athletik. Dann übersprang ich Stufen, spielte meist mit Junioren, die im Schnitt drei bis vier Jahre älter waren. Mit 15 spielte ich die erste NLB-Saison, mit 16 meinen ersten NLA-Match.

Und gab es keinen Plan B?
Ich begann das Sport-KV in Zürich Altstetten. Aber ich hatte viele Absenzen, weil wir morgens trainierten. Ich war Profi in diesem Alter. Für eine Stunde ging ich nachmittags noch in die Schule. Den Schulstoff konnte ich nicht nachholen. Ich hatte ein Puff, kam nicht mehr nach. Mit 16 setzte ich alles aufs Eishockey.

Das war eine mutige Wette.
Meine Eltern waren dafür. Sie waren immer recht optimistisch.

Eishockeyspieler Jonas Siegenthaler fotografiert auf de Zürichsee und im Training in Altstetten für die SI SPORT 02/23.

«No pain, no gain» heisst die Losung im Klub der Sportfreunde in Zürich Altstetten für Jonas Siegenthaler – auch in diesem Sommertraining.

Florian Kalotay, 13 Photo

Wer setzte vom Klub auf Sie?
Simon Schenk und Edgar Salis scouteten mich früh. Simon Schenk stammt ja aus dem Emmental, meine Grosseltern väterlicherseits auch. Darum hatte er noch mehr Freude, einen halben Emmentaler zu fördern.

Sie debütierten früh bei den ZSC Lions. Das kann einem jungen Spieler auch in den Kopf steigen. War es nötig und sinnvoll, Sie am Boden zu behalten?
Ich war mit Segi (Mathias Seger, Anm. d. Red.) im Team. Er war der Captain und Leader. Und er tat allen gut. Ich lernte viel von ihm. Er war bodenständig, kam jeden Tag mit dem Velo ins Training. Er fokussierte aufs Wesentliche. Das war cool. Die Hälfte des Teams kam mit der Vespa ins Training. Wir hatten kaum einen, der ein dickes Auto fuhr.

Mit achtzehn wurde Sie von den Washington Capitals in der zweiten Runde gedraftet. Sie nahmen die grosse Tür in die NHL.
Aber ich realisierte nicht, wie hart es wird. Die grosse Arbeit lag noch vor mir.

Zuerst spielten Sie noch zwei Jahre in Zürich. Dann ging es zu Hershey, dem Farmteam der Capitals. War die Anpassung schwierig?
Sehr! Hershey ist eine kleine Stadt. Als 19-Jähriger war ich dort alleine. Ich sass nach dem Training fast immer alleine zu Hause. Es gab kein Café, nichts. Unglaublich langweilig.

Und wie schwierig war es sportlich?
In der AHL fährst du zu Auswärtsspielen zwischendurch sieben Stunden im Bus – irgendwohin. Das gibts in der Schweiz nicht. Damit musst du klarkommen. Wir spielten Freitag, Samstag, Sonntag. Das war eine extreme Herausforderung. Am Sonntag war ich ein Häufchen Elend. Das Kunststück bestand darin, sich am dritten Tag noch mal zu pushen. Ich musste meinen Körper kennenlernen. Lernen, wie ich mich mental darauf vorbereite. Es war nicht immer einfach, aber meine Motivation war, nicht mehr in der AHL spielen zu müssen.

In der zweiten Saison spielten Sie bereits phasenweise für die Capitals, in der dritten blieben Sie im Team drin. War der Sprung nochmals schwieriger?
Es war eher einfacher. Die guten Mitspieler halfen mir. Das Team war top, viele waren zuvor Stanley-Cup-Champions geworden. Das beeindruckte mich. Wenn du reinkommst, und da hockt Owetschkin in der Kabine, den du als Bub für unerreichbar hieltst. Er war in jedem Spiel so im Tunnel. Keine Ahnung, wie er das schaffte. Nach 1000 Spielen dieses Feuer zu entwickeln – das ist beeindruckend. Er freute sich nach jedem Tor, als sei es das erste.

Sie wurden 2021 zu den Devils transferiert. Was war der grösste Unterschied?
Washington war ein erfahrenes Team mit einer Winner-Mentalität, da lernte ich viel. New Jersey war wahnsinnig schlecht. Sie hatten sich ans Verlieren gewöhnt. Die Übungen wurden teils auch ganz anders durchgeführt als bei den Capitals. Aber es war mir egal. Ich wollte spielen. Als ich ankam, waren viele noch extrem jung. 19, 20 Jahre. Jetzt sind alle etwas älter. Nico Hischier und Jack Hughes sind jetzt top. Es ist mehr Erfahrung da. Und alles dreht sich nur noch ums Gewinnen.

Diesen Sommer wurden nochmals wichtige Entscheidungen getroffen. Auch Timo Meier wurde langfristig verpflichtet. Für acht Jahre und 70 Millionen Dollar.
Ja, wir haben gute Leute geholt. Auch Timo für ein bisschen Geld (lacht). Die Ausgangslage ist jetzt perfekt. Wir verfügen über alles, was wir brauchen. Jetzt liegt es an uns, dass wir es umsetzen. Das Zeitfenster ist nicht riesig, aber vier, fünf Jahre lang sollten wir Chancen haben, den Stanley Cup zu gewinnen.

Eishockeyspieler Jonas Siegenthaler fotografiert auf de Zürichsee und im Training in Altstetten für die SI SPORT 02/23.

Jonas Siegenthaler geht voran, auch Devils-Captain Nico Hischier (2. in der Reihe) und weitere Schweizer Hockeyspieler schwitzen im Gym.

Florian Kalotay, 13 Photo

Sie sind kein Verteidiger-Superstar wie Cale Makar oder Roman Josi, aber einer der solidesten Defensivverteidiger der Liga. Spüren Sie, wie wichtig Sie für den Coach sind?
Ich bin jetzt mehr als zwei Jahre dort. Ich startete im dritten Verteidigerpaar, später kam ich bis zu 25 Minuten Einsatzzeit. Sie vertrauen mir und wissen: Jonas macht auch die Drecksarbeit. Als Trainer ist es das Schönste, wenn einer die harte Arbeit macht. So konnte ich mich etablieren. Es ist ein Privileg, mit Dougie Hamilton in der ersten Linie zu spielen.

Hamilton spielt offensiv spektakulär, vergisst hinten aber öfter mal einen, zwei Gegenspieler. Nervt das nie?
Wir komplettieren uns gut. Es ist eine Challenge für mich. Und ich kann von ihm offensiv ja auch dazulernen.

Mit Ihnen, Nico Hischier, Timo Meier und Akira Schmid spielen vier Schweizer bei den Devils. Was ist das Beste daran?
Wir fühlen uns einfach wohl miteinander. Ab und zu kannst du dich mal auf Schweizerdeutsch unterhalten. Nico kenne ich schon lange. Wir sind gute Kollegen. Er vertraut mir, fragt nach meiner Meinung.

Was fehlt den Devils noch zum Stanley Cup? Kräftige Spieler? Mentale Härte?
Wir hatten gute Spieler. Aber für viele waren es die ersten Playoffs. Für die bescheidene Erfahrung waren wir gut dran. Und natürlich gibt es Teams mit besserer Physis. Mit Timo und Tyler Toffoli bekommen wir das. Wir werden gut unterwegs sein.

Sind Ihre freundliche Art und Ihr Lächeln anerzogen, oder sind Sie einfach so fröhlich?
Ich will immer eine positive Energie haben. Es nützt nichts, mit einem Stein im Gesicht rumzulaufen. Das habe ich von meinen Eltern. Auch aus der thailändischen und buddhistischen Kultur. Ich habe es auch wieder in Thailand gesehen. Viele besitzen nichts Materielles, haben aber ein Lächeln im Gesicht. Du hast, was du hast. Und musst dich damit glücklich schätzen. Ich habe beide Seiten erlebt. Affoltern ist auch nicht gerade das Hollywood von Zürich. Aber ich habe die Zeit genossen. Solange du gesund bist, kannst du dich glücklich schätzen. Letztendlich ist es das grösste Geschenk, gesund zu sein. Ich habe dazu meinen Traumjob ver-wirklicht. Es gibt keinen Grund, einen Stein zu machen.

Von Christian Bürge am 13. Oktober 2023 - 15:08 Uhr