Entspannt kommt Thomas Dürr (56) zum Kongresshaus nahe des Zürcher Seebeckens geschlendert. Der Gründer und Betreiber der Act Entertainment AG, des grössten Schweizer Konzertveranstalters, ist überpünktlich, was in der Unterhaltungsbranche nicht grad selbstverständlich ist. Dürr zählt zur Sorte «stille Macher». Er ist mit der Jetset-Lady Irina Beller liiert, die er nach unserem Interview an einem «Weltwoche»-Anlass trifft; an einem solchen seien sie sich vor drei Jahren begegnet, damals wurde ihre Liebe zueinander entfacht, wie er sich erinnert.
Thomas Dürr, erinnern Sie sich auch noch an Ihr erstes Konzerterlebnis?
Klar, das waren 1982 die Rolling Stones im Basler Joggeli. Ich war 15, radelte mit einem Kumpel zum Stadion, wo kurz vor Konzertbeginn auf dem Schwarzmarkt die Preise einbrachen. So ergatterten wir damals zwei Tickets für je fünf Franken.
Von solchen Summen können Konzertbesucher nur träumen. Teilweise zahlen sie heute schwindelerregende Preise.
In der Schweiz bewegen wir uns nach wie vor in einem günstigen Rahmen. Anders als in den USA, wo sich die Preise für ein Konzertticket zwischen 500 und 1000 Dollar bewegen. Bei AC/DC gab es kein einziges unter 500 Dollar. Da sind wir hier bei uns noch weit weg vom Gipfel.
Trotzdem: Es kann doch nicht sein, dass sich künftig nur noch Reiche Festival- oder Konzertbesuche leisten können.
Meine Aufgabe ist es, anzubieten, was nachgefragt wird. Ich stehe zwischen Künstlern und Publikum, die Künstler wollen möglichst viel Geld einnehmen, das Publikum will so wenig wie möglich bezahlen. Beide Interessen muss ich, so gut es geht, unter einen Hut bringen. Hinzu kommt, dass wir Veranstalter uns mit immer höheren Infrastrukturkosten konfrontiert sehen, mit stets wachsenden behördliche Auflagen. Festivals sind eigentlich supergünstig, vergleicht man sie mit Stadionshows. Zudem sind sie nachhaltiger, da man an Festivals mehrere Bands auf einmal erleben kann.
Apropos Stadionshow: Taylor Swift sorgte in Zürich für einen Hype. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?
Ich habe eines ihrer beiden Konzerte in Zürich angeschaut, um das zu verstehen. Es war genial choreografiert, eine amerikanische Revue-Show in Perfektion. Aber mich persönlich hat sie damit nicht abgeholt.
Wieso nicht?
Ich liebe es, wenn Emotionen und Musik im Vordergrund stehen. Bei Taylor Swift stehen dagegen die Show, ständige Kostümwechsel und die Performance mit den Tänzern stark im Vordergrund. Ich bin allerdings auch eine andere Generation als die Swifties. Mir sagen musikalisch hochwertigere Veranstaltungen mehr zu – die Gipsy Kings am Waterfront Festival haben mich persönlich mehr abgeholt.
Mit dem Waterfront in Zürich hoben Sie ein neues Festival aus der Taufe, dabei haben selbst etablierte Open Airs wie Frauenfeld inzwischen Mühe, Besucher zu finden. Warum tun Sie das?
Zunächst einmal: Waterfront kann man nicht mit Frauenfeld vergleichen, allein schon der Kapazitäten wegen. Mit dem neu gegründeten Festival in Zürich möchten wir bewusst ein etwas kleineres, feineres und qualitativ hochwertigeres Musikevent machen. Quasi als Gegentrend zu den Massenveranstaltungen. Allein die Besucherzahl von 8000 dürfen Sie nicht mit grossen Festivals vergleichen.
«Ein Festivalbesuch ist wie früher ein Ausflug ins Tessin. Die Leute wollen unterhalten werden – von früh bis spät»
Sie scheinen trotzdem zufrieden zu sein.
Ja, unser jüngstes Baby bereitet mir grosse Freude. Ich vergleiche es am ehesten mit dem Montreux Jazz Festival, weil es wie das Musikevent am Genfersee auch im Sommer stattfindet. Wenn ich jetzt ein bisschen träumen darf, dann stelle ich mir vor, wie man hier vor dem Kongresshaus Zürich künftig ebenso nach Konzerten entlangflaniert, wie es in Montreux gang und gäbe ist. Montreux ist ja nicht nur Musik, sondern auch eine Gastro-Veranstaltung, es hat unheimlich tolle Verpflegungsstände und ist wie ein Stadtfest über 14 Tage. Das wäre auch in Zürich machbar, dafür braucht es Zeit und Willen. Nicht zuletzt muss sich da auch die Stadt entsprechend engagieren.
In Deutschland wurde jüngst die bayerische Metropole München zur Festhütte: Sowohl Adele als auch Coldplay lockten Zigtausende zu ihren Konzerten an die Isar. Was halten Sie von dem Wahnsinn?
Nicht wenige kombinierten den Konzertbesuch mit einem Städtetrip. Adele spielte zehn Shows für über 730 000 Zuschauerinnen und Zuschauer in München. Sie hatte eine der grössten Bühnen und die grösste Videoleinwand, die es je gab. Dass das Publikum zu ihr an einen Ort kommt, statt durch zig Städte zu touren, ist eine geniale Idee, die funktionierte, soweit ich das beurteilen kann. Das Publikum macht heutzutage sowieso Städtereisen. Einer plant vielleicht, nach Barcelona zu reisen, entdeckt dann aber, dass Adele in München spielt, kombiniert den Ausflug mit einem Konzertbesuch und zwei, drei anderen Sachen. In München konnte man beispielsweise sogar noch Coldplay sehen und hören. Ich glaube, das ist der Zeitgeist, von dem beide Seiten profitieren: eine Künstlerin wie Adele, die keinem Tour-Stress ausgesetzt ist und nicht mit Dutzenden LKWs durch die Gegend fahren muss und dabei für Emissionen sorgt – und das Publikum, das so oder so um die Welt reisen möchte.
Und dabei riskiert – wie jüngst bei den abgesagten Taylor-Swift-Konzerten in Wien –, wegen drohenden Terrors vor verschlossenen Konzerttoren zu stehen?
Wenn solche Grossveranstaltungen wegen einer konkreten Bedrohung abgesagt werden müssen, ist das schlimm. Ich bin heilfroh, dass nichts passiert ist und die Arbeit der Geheimdienste offenbar Schlimmes verhindert hat. Das zu wissen, ist beruhigend. Aber solche Gefahren sind in unserer Zeit real. Wir leben in einer Krisenzeit, es gibt Krieg nicht allzu weit weg von hier, die Entwicklung in Israel bereitet ebenso Sorge. Und wenn ich an den ESC denke, der nächstes Jahr bei uns in Basel ausgetragen wird, muss ich sagen, dass das nicht nur ein Kultur- und Spassevent ist, sondern eine hochpolitische Veranstaltung, für die es immense Sicherheitsvorkehrungen braucht.
Apropos Sicherheit: Stimmt es, dass Sie vor Jahren mit einem Rammstein-Konzert fast die Stadthalle Bülach abgefackelt hätten?
Oje, daran will ich lieber gar nicht mehr erinnert werden. Die Jungs von Rammstein waren damals schon mit der gleichen Pyroshow unterwegs, mit der sie heute auf riesigen Stadionbühnen zündeln.
An wie vielen Konzerten waren Sie heuer?
Puh, ich schätze rund hundert. Manchmal besuche ich an einem Tag drei Konzerte – zuletzt habe ich mir Emanuel Reiter am Floss Festival in Basel angeschaut.
Gibts zum Abschluss noch einen musikalischen Geheimtipp von Ihnen?
The Hu – eine mongolische Rockband, quasi das Pendant zu Rammstein. Sie spielt am 22. September im Zürcher Komplex 457.