Rosmarie Quadranti, 62, überrascht Roger Köppel, 54, schon beim Small Talk. «Willkommen in der ‹Sonne›», sagt der SVP-Nationalrat, als er die BDP-Politikerin im Seehotel in seinem Wohnort Küsnacht ZH begrüsst. «Ich war gerade erst hier», sagt sie. «Ach ja?» – «Ich habe vor der Unteroffiziersgesellschaft gesprochen!» Köppel nickt anerkennend. Apropos Reden: Sie sei gespannt, ob er heute in der Rolle des SVP-Politikers oder des «Weltwoche»-Chefs auftrete. «Als Mensch, der an Ihnen als Mensch interessiert ist», sagt Köppel.
Roger Köppel: Frau Quadranti, Sie sind Mutter von drei Kindern. Ich habe bald deren vier. Was ist Ihr wichtigster Erziehungstipp?
Das «Mein Sohn nimmt Platz»- oder «Mein Mädchen nimmt Platz»-Gespräch. Wenn ich als Mami mit meinen Kindern nicht gleicher Meinung war, mussten sie aufs Bett sitzen. Und dann haben wir ein Problem ausdiskutiert. Das war für sie zwar blöd, aber die Gespräche sind uns in Erinnerung geblieben, weil sie eine tiefe Qualität hatten.
Also Ruhe bewahren, statt einen Streit eskalieren lassen.
Genau. Ein Beispiel: Mein Mann war als Strassenmeister dafür verantwortlich, dass die Feuerstellen schön geräumt werden. Einmal traf er auf eine riesige Schweinerei – und den Schulthek meines ältesten Sohnes. Also setzten wir uns aufs Bett und diskutierten, was er davon hält, dass der Papi sein Puff aufräumen muss.
Die schwierigste Zeit ist die Pubertät, oder? Was kann man machen, wenn die Kinder voll auf Konfrontationskurs gehen?
Ich glaube, diese Trotzphasen sind hochindividuell. Manche haben sie, andere nicht. Ich dachte nie: Aha, das ist jetzt ein Pubertätsproblem. Ich habe meine
Kinder immer so genommen, wie sie gerade waren – ohne alles zu akzeptieren.
Welche Lebensphilosophie haben Sie ihnen mitgegeben?
Andere Menschen zu respektieren.
Und was war der wichtigste Ratschlag Ihrer Eltern?
Mein Vater sagte immer: Dein Leben ist ein Kreis von 360 Grad. Wenn du etwas Neues anfängst, musst du immer schauen, wo du etwas abzwacken kannst.
Was haben Ihre Eltern beruflich gemacht?
Meine Mutter war Verkäuferin, leitete einen Volg-Laden. Mein Vater ist Elektriker und führte ein kleines Radio- und TV-Geschäft.
Was war Ihr ausschlaggebendes Erlebnis, in die Politik zu gehen?
Meine Mutter riet mir: Du hast ein dreijähriges Kind und dir fällt die Decke auf den Kopf. Mach etwas!
Roger Köppel ist seit 2015 Nationalrat. Der Chefredaktor und Verleger der «Weltwoche» kandidiert für den Zürcher Ständerat.
Aber wieso ausgerechnet Politik?
Ich habe früh Vereine geführt und eine Jugendgruppe gegründet. So bin ich politisiert worden. Die Kindergartenkommission war dann mein erstes politisches Amt. Das machte absolut Sinn.
Was hat Sie im Leben geprägt?
Das älteste von sechs Kindern zu sein.
Sie waren also der Chef zu Hause?
Ein bisschen, ja. Ich wurde aber nicht dazu gedrängt, ich machte das gerne. Dabei lernte ich, dass ich mit Druck nichts erreiche, sondern meine Geschwister zu Mitbeteiligten machen muss.
Sie waren Präsidentin der Schulpflege und sind heute Stiftungsrätin der Schweizer Privatschulen. Wenn Geld keine Rolle spielt: Sollen Kinder in die öffentliche oder die Privatschule?
Immer in die öffentliche Schule! Ich bin in der Volksschule gross geworden mit der tiefen Überzeugung, dass wir ein starkes Bildungswesen haben.
Warum sind Sie dann Mitglied in dieser Stiftung?
Bei diesem Job geht es lediglich darum, Stipendien zu vergeben. Und zwar an jene Kinder, bei deren Eltern es finanziell nicht mehr reicht. Dank kleinen Beiträgen zwischen 2000 und 4000 Franken pro Jahr müssen diese Kinder nicht mitten in der Ausbildung die Schule wechseln.
Ich bin auch ein grosser Verfechter der Volksschule. Allerdings spüre ich eine wachsende Unzufriedenheit. Sie nicht?
Nein, höchstens in den Medien. In meinen 18 Jahren als Schulpräsidentin in Volketswil habe ich gelernt: Wir müssen den Eltern die Schule immer wieder erklären. Solange sich die Schulen weigern, ihren Output zu messen, sind sie Behauptungen in den Medien ausgeliefert.
Viele meiner ehemaligen Lehrer finden, es rumort gewaltig.
Bevor sie urteilen, sollen pensionierte Lehrer wieder mal ins Schulzimmer stehen. Viele sehen ihre Vergangenheit mit einer rosaroten Brille. Der Lehrerjob war und ist anspruchsvoll.
Und was ist mit der massiven Zuwanderung? Es gibt Klassen mit 80 Prozent Fremdsprachigen.
Diese Klassen gibts nur in einzelnen Quartieren. Und meist in jenen Schulen, die längst mit dieser Vielfältigkeit umgehen können. Als wir in die Schule gingen, konnte man sagen: Das ist der Gescheite, das die Dumme. Das ist heute nicht mehr so. Die Vielfältigkeit ist eine Herausforderung, aber die Schulen meistern sie.
«Sie waren also der Chef bei Ihnen zu Hause?»
Roger Köppel
Die BDP musste bei den letzten Kantonsratswahlen in Zürich Federn lassen. Wie motivieren Sie Ihre Kollegen nach Niederlagen?
Ich ermutige sie: «Zämehebe!»
Was schwierig ist. Meist kämpft dann jeder um sein Pöstli.
Genau dieser Egokrieg ist verheerend. Politiker sollten ihre Person nur nutzen, um sich für eine Sache zu engagieren.
Das ist doch eine Schönwetterformulierung.
Nein, das lebe ich! Wer nach einer Niederlage enttäuscht ist, weil er seine persönlichen Ambitionen nicht erfüllen konnte, soll die Partei verlassen.
Und wie verarbeiten Sie persönlich politische Niederlagen?
Ich gebe meiner Eiche einen Tritt. Oder gehe stundenlang mit dem Hund spazieren. Klar ist: Nach jeder Niederlage steh ich wieder auf.
Auf die Frage, ob es in Verwaltungsräten eine Frauenquote braucht, haben Sie mit Jein geantwortet. Getreu dem BDP-Motto «Langweilig, aber gut»?
Langweilig übersetze ich mit «nicht so plakativ».
Der Schriftsteller Urs Widmer sagte: Die Langweile ist die grosse Qualität der Schweizer Politik.
Sehen Sie! Aber Ihre SVP stört diese gute Langweile zuweilen!
Rosmarie Quadranti wechselt 2009 von der SVP zur BDP. Die Zürcherin ist Präsidentin von Kinderbetreuung Schweiz.
Jaja, schon gut. Zurück zum Jein: Was heisst das? Es gibt in Bern kein Abstimmungsknöpfchen Jein!
Ich entscheide mich je nach politischer Stimmung. Mit Jahrgang 1957 habe ich als bürgerliche Frau oft erlebt, dass es in Gleichstellungsfragen zu langsam vorwärtsgeht. Wenn ich finde, es braucht wieder mal einen Ruck, stimme ich Ja. Läufts, sage ich Nein.
Getreu nach dem Motto «la donna è mobile» – die Frau ist beweglich!
(Lacht) Genau. Flexibel zu sein, ist eine wichtige Eigenschaft für das Existieren unseres Landes.
Apropos flexibel: Die BDP hat sich rasch nach Fukushima für einen Ausstieg aus der Kernenergie ausgesprochen. Damit uns der Strom nicht ausgeht, will der Bund die Laufzeit der Kernkraftwerke nun aber um zehn Jahre verlängern.
Wenn die Behörden sagen, die Kraftwerke seien sicher, können wir darüber reden. Ich bin aber grundsätzlich immer noch dafür, dass wir bis 2034 aussteigen.
Sie sind Mitglied der beratenden Kommission für internationale Zusammenarbeit. Jede Partei ist dort vertreten – ausser der SVP.
Das stimmt nicht. Die Frage ist mehr, ob Ihr anwesend seid. Thomas Aeschi war von drei Sitzungen bei einer halben dabei.
Ich dachte, das sei SVP-freie Zone.
Nein, das wäre auch nicht gut. Denn dort könnt Ihr was lernen!
Die BDP erwartet vom Rahmenabkommen mit der EU Rechtssicherheit. Wie kann diese gewährleistet sein, wenn die EU – Artikel 5 – etwa im Kanton Zürich Recht setzen
und abändern kann. Während wir dies umgekehrt nicht können.
In den Artikel 5 reinzuinterpretieren, die EU ändere in einem Kanton das Recht ab, finde ich fahrlässig. Sicherheit gibt uns der Vertrag, weil uns die EU nicht mehr abstrafen kann, etwa an der Börse! Und Sie dürfen nicht vergessen: Es ist ein «Rahmenvertrag». Er wird sich also noch bewegen.
«Populistische Strömungen machen mir Sorgen»
Rosmarie Quadranti
Noch ein paar kurze Fragen…
…die ich mit Ja oder Nein beantworten soll?
Oder Jein! Lieblingsschriftsteller?
Krimis, von allen möglichen Schriftstellern. Ich mag Bücher mit einem Spannungsbogen.
Was hat sie kürzlich gefreut?
Sie sollten mich besser fragen, was mir Sorgen macht: die populistischen Strömungen.
Ich möchte aber über das Positive sprechen!
Also gut. Die kleinen Dinge im Alltag. Mein Hund, der mich zum Lachen bringt. Ein nettes Mail.
Was passiert nach dem Tod?
Mein Mann ist vor drei Jahren gestorben. Leider schaffe ich es nicht, mit Toten zu sprechen. Weil ich glaube, es ist dann einfach fertig.