Mit knapp 1,65 Metern gehört er zu den ganz Grossen: Ugo Rondinone ist einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart und sprengt alle Rekorde. Der 58-jährige Schwyzer empfängt uns in der Galerie Eva Presenhuber in Zürich-West. Schwarze Masken aus Kunststoff, die er von Hand gefertigt hat, hängen an der Wand. Man kann darauf noch seine Fingerabdrücke erkennen. Daneben erhellen seine kultigen kreisrunden Sonnenbilder den Raum. Allüren? Fehlanzeige. Er wirkt extrem cool, entspannt, spricht reflektiert, lacht viel. Interviews mit ihm sind selten. Lieber lässt er seine Werke sprechen.
Rondinone ist bekannt dafür, herkömmliche Sichtweisen durch radikale Perspektivenwechsel durcheinanderzubringen. Nun stellt er bis 18. Juni das Genfer Musée d’Art et d'Histoire auf den Kopf. Die Ausstellung «When the sun goes down and the moon comes up» im zweitgröss- ten Museum der Schweiz ist ein furioses Kunsterlebnis. 18 Monate lang brauchte er für die Vorbereitung. «Man liess mir völlig freie Hand», schwärmt der bescheidene Superstar mit Wohnsitz in New York. Aus 8000 Sammlungsgegenständen wählte er fast 600 Werke aus, bringt sie mit 68 eigenen Arbeiten in einen Dialog. Was macht den Romantiker unter den Gegenwartskünstlern so besonders, so erfolgreich? Er vertraue da ganz seinem Bauchgefühl: «Künstler müssen authentisch sein. Die Inspiration schöpfe ich aus mir selber.»
Ugo Rondinone, in Brunnen aufgewachsen, gehören Sie heute zur A-Liga in der Gegenwartskunst. Reiben Sie sich manchmal die Augen?
Ich denke gern an meine Kindheit zurück. Wir fuhren mit dem Schlitten zur Schule, waren der Natur in diesem kraftvollen Talkessel ganz nah. Die Ferien verbrachte ich bei meiner Grossmutter in Matera in Süditalien. Meine Welten konnten unterschiedlicher nicht sein: Hier der blaue See mit den Schneebergen – dort die ockerfarbene Stadt der Höhlen. Meine Arbeit hat ihren Ursprung in diesen Eindrücken.
Sind Sie Weltbürger oder Schwyzer?
Auch wenn ich seit 30 Jahren in New York lebe und arbeite, habe ich meine Wohnung in Zürich immer behalten. Als Secondo hat das Wort Heimat eine andere Bedeutung. Meine betagten Eltern besuche ich so oft wie möglich. Im Herzen bin ich noch immer Schweizer.
Welches war Ihr erstes Kunstwerk?
Ich glaube, ein realistisch gemalter Apfel. Sport hat mich nie interessiert, ich zeichnete lieber. Ich wuchs in einer Fasnachtsregion auf. Wir dekorierten und bemalten Umzugswagen und Masken für die Guggenmusik. Es waren die ersten kreativen Prozesse, die ein Kind mit Stolz erfüllen.
Ihre Ausstellung in Genf sei eine Glückserfahrung, schwärmen Kritiker. Macht Sie das Lob stolz?
Auf jeden Fall ist es ein Luxus, dass ich meine eigenen Arbeiten mit Ferdinand Holder und Félix Vallotton, diesen beiden Schweizer Säulenheiligen, in einen Kontext stellen darf. Bei mir schwingt immer Hochachtung vor den Werken anderer Künstler mit. So habe ich 22 Pferde aus blauem Vollglas in China brennen lassen – nach zwei misslungenen Versuchen in Murano! So funktioniert Alchemie: Jedes Tier braucht gut sechs Monate, um abzukühlen, wenn es aus dem Ofen kommt. In Ferdinand Hodlers grandiosen Landschaftsbildern, die er rund um den Genfersee gemalt hat, spielt der Horizont eine wichtige Rolle. So habe ich die Körper der Pferde horizontal geschnitten, damit durch den Lichteinfall die Illusion eines Horizonts entsteht.
Eindrücklich sind auch Ihre Tänzer aus Wachs. Sie lösen mit den düsteren Gemälden von Félix Vallotton im Waffensaal eine eigenartige Traurigkeit aus.
2009 liess ich die nackten Körper von 14 Tänzerinnen und Tänzern des Basler Balletts originalgetreu in Wachs giessen. Die Brauntöne ent- standen durch die Erde aus sieben Kontinenten. Die Extremitäten der Figuren sind nicht mit dem Rumpf verbunden, was ihre Fragilität betont.
In Genf haben Sie 6000 Quadratmeter zur Verfügung. Wie gingen Sie vor?
Ich war dreimal vor Ort. Aus einer Schatztruhe von 8000 Sammlungsobjekten wählte ich rund 600 Exponate aus, von der Urzeit bis zur Jahrhundertwende. Ich selber steuere 68 eigene Arbeiten bei. Ich hatte 18 Monate Zeit, um den Rundgang durchs Haus zu planen, und bin sehr poetisch und intuitiv vorgegangen. Ich verlasse mich da ganz auf mein Bauchgefühl.
Haben Sie noch Lampenfieber?
Man muss loslassen können. Ich bin nicht mehr derselbe Kontrollfreak wie früher und bin froh, wenn 80 Prozent klappen. Was mich nervös macht, ist die Tatsache, dass meine Ausstellung erstmals wieder in der Schweiz stattfindet.
Sie sind extrem vielseitig, ein Multitalent. Ist das ein Vor- oder ein Nachteil?
Am Anfang meiner Karriere war man bei meinen Solo-Shows nie sicher, ob es sich nicht doch um eine Gruppenausstellung handelt. Man hat mein Werk nicht verstanden. Dabei wollte ich mich nie nur auf einen Stil festlegen lassen. Dieser Mut zum Spagat schenkte mir Freiheit. In den letzten zwei Jahren habe ich Retrospektiven vorbereitet mit alten, spannenden Arbeiten, die ich selber nicht mehr auf dem Radar hatte.
Sonne, Mond, Erde, Wasser: Die Natur spielt eine wichtige Rolle in Ihrem Werk.
Als ich 1990 an der Universität für angewandte Kunst in Wien studierte, starb mein damaliger Freund an Aids. Mir wurde bewusst, wie rasch das Leben zu Ende sein kann, und dachte, ich sei der Nächste. Weil ich den kurzen Rest meines Lebens nicht im Studio verbringen wollte, begann ich, in der Natur herumzuwandern, wurde zum Flaneur, zum Beobachter. Es entstanden monumentale Landschaftsbilder. Danach wurden meine kreisrunden Sonnenbilder ein grosser Erfolg.
Welchen Zyklus erschaffen Sie als Nächstes?
Es kommen immer neue Symbole dazu, die sich im Nachhinein zu so etwas wie einem Alphabet verdichten. Gerade ist eine neue Serie mit Blitzen am Entstehen.
Warum ist Ihre Kunst nicht politisch? Sie könnten ein Zeichen setzen, Ihre Stimme würde international gehört!
Ich finde es scheinheilig, wenn ein Künstler ein politisches Thema aufgreift und am Werk hängt ein Preisschild. Ich arbeite mit archaischen Symbolen, die universell verständlich sind. Auch in meiner Arbeit kann man die Wehrlosigkeit von Menschen als politische Ansage verstehen.
Wofür geben Sie viel Geld aus?
Ich besitze eine wundervolle Sammlung zeitgenössischer Kunst. Ich muss aber auch an mich denken: Ich bin dabei, meine eigenen Werke an Institutionen zu verschenken. Und ich suche in der Innerschweiz ein Stück Land, um ein kleines Museum zu errichten.
Sie sind in die USA ausgewandert. Hat sich Ihr American Dream erfüllt?
Ich lebe und arbeite seit 30 Jahren in New York, habe ein Studio in Harlem und ein Haus auf Long Island. 2019 starb mein langjähriger Lebenspartner, der amerikanische Performancekünstler John Giorno, an einem Herzinfarkt. Er war Buddhist, dank ihm fing ich an zu meditieren. Da wusste ich: Es ist genug. Manhattan ist jung, schnell, dynamisch, alle rennen ständig durch die Gegend. Mit bald 60 Jahren zieht es mich wieder zurück nach Europa: Ich habe mich neu in Paris verliebt und wohne bereits da.
Haben Sie auch privat die Liebe gefunden?
Seit einem Jahr bin ich mit dem Pianisten Luciano Chessa liiert. Die Kunst ist eine gute Basis, sie verbindet, vereint. Ich empfinde es als wahres Geschenk, dass mir im hohen Alter noch jemand begegnet ist, der sich für mich interessiert.
«When the sun goes down and the moon comes up», Musée d’Art et d’Histoire in Genf, bis 18. Juni