Bauer sein heisst: Hebamme sein. Auf diese Aufgabe freut sich Schwingerkönig Matthias Sempach. Veieli, eine der 16 Kühe in seinem Stall, bekommt Zwillinge oder gar Drillinge. Ganz genau offenbart sich das erst in ein paar Tagen bei der Geburt.
«Es ist faszinierend, das zu beobachten, ein schönes Erlebnis», sagt Sempach, 33, der Anfang Jahr zusammen mit seiner Partnerin Heidi Jenni den Bauernhof übernommen hat, auf dem Heidi aufgewachsen ist. Zusammen mit ihren Kindern Paula, 2, und Henry, 4, sind sie aus Alchenstorf BE im Emmental nach Entlebuch LU gezogen.
Sohn Henry fiebert gleichermassen mit der trächtigen Kuh mit. «Mättu, ich spüre das Baby», ruft er aufgeregt, als er auf dem Kuhrücken sitzt. «Nein, Henry, doch nicht an der Schulter», sagt Mättu und schmunzelt.
Der König von Burgdorf 2013 geht in seiner neuen Rolle als Bauer auf. Er ist zufrieden, auch wenn ihn vor einem Jahr Rückenprobleme abrupt zum Karrierenende zwangen – und zur Suche nach einer neuen Lebensaufgabe.
Bauer sein heisst: früh aufstehen. Um 5.45 Uhr ist Tagwacht bei Sempachs. Zumindest für die Männer. Dann gehts vom Wohnhaus in den direkt angrenzenden Stall. Mättu, der Metzger gelernt hat und sich anschliessend zum Landwirt ausbilden liess, melkt die Kühe. Henry hilft mit an den Tagen, an denen er nicht in die Spielgruppe geht. Mit dabei hat er stets seinen Schoppen, den er mit frischer Milch füllt.
Der Kleine eifert seinem Vater nach. Sei es beim Hosenlupf mit dem Cousin, in seiner Kleiderwahl oder beim Arbeiten im Stall. «Er hat immer lustige Ideen», sagt Sempach und verdreht die Augen. Etwa wie man das neue Ziegengehege besser gestalten könnte. Oder welcher Muni-Samen aus dem Katalog zu den Kühen Piroschka oder Kiara passen würde.
Um 7.30 Uhr gibts Zmorge für die ganze Familie, danach gehen die Jungs zurück in den Stall. Sie führen Kontrollen durch und füttern die Tiere. Neben den Milchkühen leben 100 Mastschweine, einige Kälber, ein paar Rinder, drei Ziegen sowie eine Katze, ein Hund, 17 Kaninchen und acht Hühner auf Sempachs Hof. Nach dem gemeinsamen Zmittag gehts aufs Feld.
Bauer sein heisst: Die ganze Familie hilft mit. Auch die Jüngste im Hause Sempach-Jenni packt mit an. Die zweijährige Paula ist schon ein Profi im Eiereinsammeln. Sie legt die weissen und die braunen sorgfältig in ihr Körbchen und amüsiert ihre Eltern mit dem Zählen – «drei, sieben, zwei, elf, dreizehn» – und ihrer Farbeinschätzung: «Eis isch blau!» – «Es ist toll, zu sehen, wie sich die Kinder austoben können. Früher habe ich jeweils versucht, sie in der Badi oder auf dem Spielplatz müde zu kriegen, heute fallen sie von alleine müde und glückselig ins Bett», sagt Jenni, die für die Administration des Betriebs zuständig ist. Zusammen haben die beiden noch eine weitere Firma, die Mättus Engagements als Schwingerkönig organisiert.
Ansonsten trennt das Paar Haus- und Hofarbeit. Der Hof ist Sempachs Revier, Jenni kümmert sich neben den Kindern und der Buchhaltung um Blumen, Kleintiere und Haushalt. «Wickeln muss Mättu nicht mehr so oft», sagt sie. Hilfe bekommen die beiden von Jennis Eltern, die im angrenzenden Hausteil wohnen. Wenn Sempach unterwegs ist, kann er die Verantwortung an seinen Schwiegervater Franz Jenni abgeben. Dafür ist er dankbar. Speziell jetzt im ersten Jahr, wo alles noch neu ist. «Es gibt viele Hürden und Herausforderungen. Mal ist eine Maschine kaputt, mal spielt das Wetter nicht mit.»
In diesen Situationen profitiert er von der Denkweise, die er sich in seinen 25 Jahren als Schwinger angeeignet hat. «Man muss positiv bleiben und das Beste aus den gegebenen Umständen machen», sagt der 33-Jährige, der bei diversen Schwingfesten neu als SRF-Experte im Einsatz ist.
Bauer sein heisst: Verantwortung übernehmen. Nach dem Rücktritt wollte Sempach eine längere Auszeit nehmen. Doch der Drang, etwas Neues anzufangen und weiterzuarbeiten, war grösser als das Bedürfnis nach Ferien.
Dazu kommt: Sein Rücken hat sich dank diversen Therapien erholt, Schmerzen hat er fast keine mehr. «Ich mag es, mein eigener Herr und Meister zu sein. Und die Tiere brauchen mich; dem will ich gerecht werden.» Sempach ist gewissenhaft und konsequent – wie einst im Sägemehl. Nur körperlich geht er es etwas ruhiger an als früher.
Die physische Arbeit auf dem Hof genügt ihm, auf ein zusätzliches Sportprogramm verzichtet er. Nur einmal pro Woche macht er eine Ausnahme und trainiert die Schwinger von Kirchberg BE. Weder die Einheiten im Gym noch die zehn Kilogramm Muskelmasse, die er abgenommen hat, fehlen ihm. Dennoch hat er manchmal Wehmut und vermisst gewisse Momente. «Die wahnsinnigen Emotionen, etwa beim Einmarsch am Schwingfest. Oder die intensive Zeit mit den Kameraden.»
Als Botschafter seiner Sponsoren und als SRF-Experte wird er diese Dinge am Eidgenössischen in Zug zumindest am Rande noch einmal miterleben.
Bauer sein heisst: Unternehmer sein. Sempach hat neue Ziele. Statt täglich den Körper zu schinden und im Schwingkeller den Wyberhaken zu perfektionieren, sind seine Gedanken nun bei der Wertschöpfung seiner Milch- und Fleisch-Erzeugnisse oder der Zucht seiner Tiere.
Manchmal findet das Schwingen noch den Weg in sein Unterbewusstsein. «Letzthin habe ich geträumt, ich sei im Sägemehl-Ring, doch überhaupt nicht bereit! Schwinghemd, Schuhe, ich hatte alles vergessen … Ich gehörte irgendwie nicht mehr dorthin.»
Bauer zu sein, bedeutet für den König einen Aufbruch. Ein neues Reich mit vielseitiger Arbeit. Es macht ihn glücklich, zu sehen, wie sich seine Familie wohlfühlt. Es ist die Erfüllung seines Bubentraums. Ein Trumpf, der alle Unsicherheiten auf dem Weg ins neue Leben ausgestochen hat.