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Sarina Arnold mit Tochter Felice in Kirgistan

«Jedes Kind hat das Recht auf ein Lachen»

Seit Jahren setzt sich Model Sarina Arnold für Spaltenkinder in Kirgistan ein. Aus Überzeugung. Ihre Tochter Felice verbindet dasselbe Schicksal. Die erste ­gemeinsame Reise ins zentralasiatische Land an der ­Seidenstrasse führt auch in die eigene ­Vergangenheit.

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Reise mit Sarina und Felice Arnold nach Kirgistan, wo die Stiftung Zuversicht für Kinder in der Stadt Osh das Spital unterstützt. ©Corinne Glanzmann

Das berühmte «Buttermeitli» Sarina Arnold und Tochter Felice schenken Hoffnung. So auch dem kleinen Ashlydyn und seiner Mama.

Corinne Glanzmann
Toni Rajic von Schweizer Illustrierte
Toni Rajic

Ungeduldige Passagiere drängen sich an der Passkontrolle des Flughafens in der kirgisischen Grossstadt Osch vor. Von den Zollbeamten ist um sechs Uhr in der Früh niemand am Schalter. Mitten im Geschehen: Sarina Arnold (44) und Tochter Felice. «Müsli, bist du aufgeregt?», fragt das Urner Model nach der 14-stündigen Anreise. «Ja, scho es Bitzli», entgegnet die 16-Jährige und schmiegt sich an ihr Mami. Endlich beginnt die Abfertigung – in gemächlichem Tempo. «In all den Jahren hat sich kaum etwas verändert», kommentiert Arnold amüsiert.

Seit bald 15 Jahren reist sie als Botschafterin des Schweizer Hilfswerks Zuversicht für Kinder immer wieder in das Land an der Seidenstrasse. Die Stiftung ermöglicht Kindern mit Gesichtsfehlbildungen ein menschenwürdiges Leben. Für die Urnerin eine Herzensangelegenheit, denn Felice ist ebenfalls mit einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte zur Welt gekommen. «Ich weiss, was Eltern und Kinder durchmachen müssen. Den Kleinen mit meinem Engagement ein Stück Leid nehmen zu können, treibt mich seit Jahren an.» Während in der Schweiz im Schnitt 120 Spaltenkinder pro Jahr geboren werden, sind es in Kirgistan mehr als 500. Tendenz steigend. Erklärungen gibt es keine, nur Vermutungen. Experten führen es zurück auf Folsäure- und Sauerstoffmangel während der Schwangerschaft. Dazu kommen radioaktive Abfälle, die seit Sowjetzeiten unter der Erde liegen, Heiraten innerhalb der Familie und den rezeptfreien Zugang zu Antibiotika.

«Kinder in der Schweiz sind oftmals zu verwöhnt»

Im Hotel angekommen, bleibt Sarina und Felice nur wenig Zeit, bevor es ins örtliche Spital geht. «Von Erzählungen weiss ich, was mich etwa erwartet, und doch bin ich nervös», sagt Felice, die ihr Mami erstmals begleitet. «Ich bin sehr emotional, da ich selbst davon betroffen bin. Ich weiss, wie man leidet.» Der Fahrer, ein ortsansässiger Arzt, drängt sich durch den dichten Morgenverkehr. Nachdenklich blickt Sarina Arnold durch das staubige Fenster. Ihre Gedanken schweifen zwischen dem Hier und dem Luxus daheim hin und her. «Kinder in der Schweiz sind oftmals zu verwöhnt – auch meine beiden, das muss ich nicht schönreden. Umso glücklicher bin ich, dass Felice diese Reise mit mir macht, obwohl es sie Überwindung gekostet hat.» Viele Kinder wüssten nicht, dass Glück unabhängig von materiellem Wohlstand sei. «Es würde ihnen guttun, aus dem Alltag auszubrechen und das hier zu sehen. Es relativiert sehr vieles.»

Reise mit Sarina und Felice Arnold nach Kirgistan, wo die Stiftung Zuversicht für Kinder in der Stadt Osh das Spital unterstützt. ©Corinne Glanzmann

Suchen die Nähe: «Das Schicksal von Felice hat unsere Beziehung gestärkt. Sie ist ein Schmusetiger.»

Corinne Glanzmann

Erinnerung ans eigene Schicksal

Im Spital geht es direkt auf die Station. Jeweils sechs einfache Metallbetten stehen im Raum. Allesamt belegt von Müttern mit ihren Kindern. Die Luft ist stickig. Latifa (28) läuft mit ihrem sechs Monate alten Ashlydyn hin und her. Er ist in eine bunte Decke eingepackt und wirkt im Gegensatz zu seiner Mutter tiefenentspannt. Und wirft Felice gar ein Lächeln zu. Es ist das erste Mal, dass die Gymnasiastin ein Spaltenkind vor der Operation sieht. «Es geht unter die Haut. Wenn ich das sehe, bin ich dankbar für mein Leben. Ich wünsche mir, dass auch bei ihm alles gut kommt.»

Der Kleine ahnt nicht, dass für ihn in wenigen Augenblicken eine lebensverändernde Operation ansteht, in der im ersten Schritt seine doppelte Lippenspalte geschlossen wird. Für die OP ist die Mutter mit ihrem Jüngsten rund sieben Stunden mit dem Auto von Ala-Buka angereist. «Ich weiss, dass die Ärzte hier ihr Bestes geben, um meinem Buben zu helfen. Aber es schmerzt, ihn in fremde Hände zu geben, denn Angst schwingt immer mit», sagt Latifa, den Tränen nahe.

Weiss gekleidet und mit Mundschutz stehen Felice und Sarina jetzt in einem Vorraum, bereit für den Eingriff. Leise ist das Weinen eines Kindes zu hören. Ist es Ashlydyn? Seine Mutter muss draussen bleiben. Die Emotionen kochen hoch. Latifa schreit, weint, schluchzt. Voller Mitleid blickt Sarina Arnold zurück. «Alles kommt gut», verspricht sie. «Diese Ungewissheit treibt eine Mutter um. Auch ich habe mich bei der ersten Operation von Felice komplett hilflos gefühlt.»

Reise mit Sarina und Felice Arnold nach Kirgistan, wo die Stiftung Zuversicht für Kinder in der Stadt Osh das Spital unterstützt. ©Corinne Glanzmann

«Alles kommt gut»: Sarina Arnold spricht Latifa vor der Operation ihres Sohnes Ashlydyn Mut zu.

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Narkotisiert wird der kleine Bub nun auf den Schragen gelegt. Die Ärmchen werden mit bunten Stofffetzen festgebunden, ehe ein Tuch, an dem noch Blut von einem der vorherigen vier Kinder zu sehen ist, über den kleinen Körper gelegt wird. Routiniert setzt Prof. Eshiev Abdyrakhman zum Schnitt an. Er ist in Kirgistan der renommierteste Mediziner, der sich auf Gesichtsspaltchirurgie spezialisiert hat. Seit 2013 kooperiert er mit dem Hilfswerk. «Es ist eindrücklich, unter welchen Umständen das Ärzteteam hier solche Ergebnisse erzielt», sagt die junge Schweizerin.

Reise mit Sarina und Felice Arnold nach Kirgistan, wo die Stiftung Zuversicht für Kinder in der Stadt Osh das Spital unterstützt. ©Corinne Glanzmann

Prof. Eshiev Abdyrakhman (r.) trägt den Übernamen «Osh 1». Er ist in Kirgistan der einzige spezialisierte Gesichtsspaltchirurg.

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Für Felice ist es nicht nur das erste Mal, dass sie in einem Operationssaal auf «der anderen Seite» dabei ist, sondern auch eine Art Generalprobe, da sie mit einem Medizinstudium liebäugelt: «Ich sehe, wie viel man in diesem Beruf zurückgeben kann. Mir wurde durch die bisherigen Operationen so viel Lebensqualität geschenkt.» Sarina Arnold ergänzt: «Solche Eingriffe sind essenziell für die Akzeptanz in der Gesellschaft. Den Kindern wird ein neues Gesicht und damit auch eine neue Identität geschenkt. Es ermöglicht ihnen, selbstbewusster durchs Leben zu gehen.» Felice hat bisher sechs OPs hinter sich. Mindestens zwei folgen: eine kieferchirurgische im Herbst und im Anschluss noch eine Nasenkorrektur. «Wir machen so lange weiter, bis Felice glücklich ist, das haben wir ihr versprochen», sagt Sarina.

Reise mit Sarina und Felice Arnold nach Kirgistan, wo die Stiftung Zuversicht für Kinder in der Stadt Osh das Spital unterstützt. ©Corinne Glanzmann

Nach den vielen emotionalen Begegnungen im Spital Osch braucht Felice die starke Schulter ihrer Mama.

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Ein neues Leben beginnt

Nach rund drei Stunden ist es geschafft. Latifa hält ihren Jungen im Arm. Die Erleichterung ist gross: «Ich bin überglücklich, dass alles gut verlaufen ist. Und zuversichtlich, dass es irgendwann so perfekt aussieht wie bei Felice.» – «Sicher!», entgegnet Sarina. «Sie müssen die Narbe massieren und die Logopädie besuchen. Das ist ganz wichtig. Felice hat es gehasst, doch nur deswegen kann sie jetzt problemlos sprechen.»

Am folgenden Morgen ist Sarinas Vorfreude trotz einer kurzen Nacht spürbar. Jeden Augenblick soll Kairat mit seiner Familie eintreffen. Den heute 14-jährigen Buben hat sie bei ihrem ersten Besuch in Kirgistan kennengelernt und bei seiner Operation begleitet. Bis heute ist sie mit der Familie im Austausch und unterstützt sie mit einem monatlichen Zustupf. «Du bist schon so gross geworden», staunt Sarina, als sie Kairat in der Hotellobby in die Arme nimmt. Doch schon kurze Zeit später fliessen Tränen. Kairats Mutter Atyrgul (38) erzählt, dass sie von ihrem Mann verlassen wurde. «Das Geld reicht nun kaum zum Überleben, geschweige denn kann Kairat mit notwendigen Operationen weitermachen.» Sarina, ganz die Macherin, fädelt in Windeseile einen Termin im Spital Osch ein, versichert der Mutter in Absprache mit der Schweizer Stiftung die Kostenübernahme der Eingriffe. Atyrgul ist überwältigt.

Reise mit Sarina und Felice Arnold nach Kirgistan, wo die Stiftung Zuversicht für Kinder in der Stadt Osh das Spital unterstützt. ©Corinne Glanzmann

Beim Wiedersehen fliessen Tränen: Kairat (2. v. r.) war vor 13 Jahren das erste Kind, das Sarina Arnold bei einer OP begleitet hat.

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Spaltenkinder landen immer noch im Heim

Für Sarina und Felice geht es weiter in ein Waisenhaus am Stadtrand von Osch. Während in der Schweiz eine Gesichtsfehlbildung in der Regel bereits während der Schwangerschaft beim Ultraschall entdeckt wird, ist die Geburt eines beeinträchtigten Babys hier oft ein Schock. Viele Eltern geben ihre Kinder aus Scham und Zukunftsängsten ab. Die Zahl sei aber am Sinken, sagt die Heimleitung. «Das zeigt mir, dass das Team, mit dem ich zusammenarbeite, einen hervorragenden Job macht», meint Sarina. Nach dem Kinderheim folgt ein Besuch bei Malika. Die 14-Jährige hat das Mutter-Tochter-Duo bei einem Kontrolltermin am Vortag zu sich nach Hause eingeladen.

Das Mädchen bittet schüchtern ins Haus. In einem kleinen Raum stehen ein Sofa und ein Kajütenbett. «Hier schläft die ganze Familie», erklärt sie und zeigt Felice einen Stapel bunter Decken. Eine komplett andere Welt als die ihre, denn Felice hat daheim nicht nur ein eigenes Zimmer, sondern auch ein eigenes Bad. Im Gespräch merken die Mädchen aber rasch, dass sie nebst dem gleichen Schicksal auch ähnliche Erfahrungen verbinden. «Ich habe wegen meiner Fehlbildung unschöne Sachen erlebt – vor allem in der Primarschule. Ich wurde für etwas gemobbt, wofür ich nichts kann. Das hat mich verletzt und mir extrem zugesetzt. Die Situation war alles andere als einfach», sagt Felice. Den Tränen nahe, ergänzt Sarina: «Zu sehen, wie das eigene Kind leidet, hat mich damals innerlich aufgefressen. Felice hat sich eine harte Schale aufgebaut, dabei war ihr Innerstes verletzt.» Solche Erlebnisse kennt auch die Kirgisin, die bei den Erzählungen zu weinen beginnt. Doch die Mädchen sind sich einig. «Wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen», sagt Felice und umarmt Malika.

Reise mit Sarina und Felice Arnold nach Kirgistan, wo die Stiftung Zuversicht für Kinder in der Stadt Osh das Spital unterstützt. ©Corinne Glanzmann

Zwei Operationen stehen bei Felice noch an. Zurzeit ist nur eine feine Narbe an der Oberlippe zu sehen.

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Erfüllt von den vielen Begegnungen und Eindrücken, ist die Vorfreude auf die Rückreise gross: «Das war alles unglaublich. Ich bin froh, dass ich miterleben durfte, wofür sich mein Mami seit Jahren einsetzt – nicht zuletzt, weil sie es meinetwegen tut. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich das Projekt eines Tages mit ihr zusammen unterstütze und wieder hierher reise.»

Für mehr Würde im Leben

Seit 1997 setzt sich die Stiftung Zuversicht für Kinder für den Aufbau von medizinischen Zentren für Kinder mit Gesichtsfehlbildungen in Kirgistan ein. Zum Engagement gehören auch Einsätze von Ärzteteams, Aufbau der Infrastruktur und die Weiterbildung der ortsansässigen Ärzte. Sarina Arnold ist seit 2010 Botschafterin. Mehr Informationen: www.stiftung-zuversicht.ch

Spenden:
Credit Suisse Zug
Konto-Nr. 164 381 – 71
BLZ 4835
IBAN CH97 0483 5016 4381 7100 0

Toni Rajic von Schweizer Illustrierte
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Von Toni Rajic am 7. Juni 2024 - 18:00 Uhr