Sie hat die Fähigkeit, ihre geballte Lebenslust auf andere zu übertragen. Regula Mühlemanns Lachen ist erfrischend, ihre Natürlichkeit umwerfend. Heute Mailand, morgen Salzburg, danach Berlin: Die 37-jährige Luzernerin ist von den Bühnen der renommierten Opernhäuser nicht mehr wegzudenken. «Irgendwann gewöhnt man sich daran, Ziele zu erreichen, von denen man nie gedacht hätte, dass man sie erreicht», sagt sie mit entwaffnender Offenheit. Die fiebrige Fleissarbeit während der letzten zehn Jahre hat sich ausgezahlt. Mühlemann brillierte mit ihrem lyrischen Koloratursopran in den Mozart-Opern «Die Zauberflöte» (Pamina) und «Le nozze di Figaro» (Susanna), gab die Gilda in Verdis «Rigoletto» und versetzte das Publikum vor wenigen Wochen am Liederabend zum Thema Heimat im Opernhaus Zürich in Ekstase. Kehrt sie von einem Engagement zurück, erfüllt sie das mit Glücksgefühlen. «Es gab Zeiten, da war ich eine Fremde in meiner eigenen Wohnung, fand in der Küche die Utensilien nicht mehr.» Der Erfolg hat sie wählerisch gemacht: «Wird es mir zu viel, lehne ich auch mal eine Traumrolle ab.»
Sie wirken sehr geerdet. Wie kritisch sind Sie mit sich selber?
Regula Mühlemann: Geht es um meine Leistung als Sängerin, bin ich sehr kritisch. Ich weiss: Erfolg ist immer mit harter, solider Arbeit verbunden. Ich scheue mich nicht, acht Stunden am Tag zu üben. Verbissenheit hingegen mag ich nicht. Während Corona habe ich wochenlang keinen Ton gesungen – und das ging auch. Wenn man etwas mit Leidenschaft und innerer Überzeugung macht, fühlt es sich viel weniger nach «müssen» an.
Wie würden Sie Ihre Stimme, Ihr Timbre beschreiben?
Ich wollte immer eine geheimnisvolle Rotweinstimme haben, tief und samten. Irgendwann sagte mal wer: Sie haben so eine spritzige Champagnerstimme, das ist doch auch schön! Die Stimme ist mein Arbeitsinstrument, meine Visitenkarte – man ersetzt sie nicht wie eine kaputte Saite. Ich verkörpere viele Rollen, von zarter Naivität, grenzenlosem Stolz bis hin zu tief in der Seele sitzender, dunkler Tragik.
War es immer schon Ihr Traum, vor Publikum zu singen?
Ich war Mitglied der Luzerner Kantorei, Singen war ein Hobby. Kurz vor der Matura wollte ich mich für ein Biologiestudium einschreiben. Mein Gesangslehrer meinte: «Mach doch das, was du am besten kannst.» Also studierte ich klassischen Gesang. Unser Metier kommt ohne technische Hilfsmittel aus, ich singe ohne Verstärker. Es ist schon etwas Besonderes, wenn diese Schwingungen direkt oder unmittel-bar im Ohr und in den Herzen der Zuschauer ankommen.
Sind Sie stolz auf das Erreichte?
Das Studium ging ich gemächlich an, war manchmal sogar recht faul. Irgendwann durfte ich mir eingestehen: Ich bin viel besser als gedacht. Ich hatte das Glück, mit Barbara Locher eine fantastische Professorin zu haben. Auch Wolfgang Amadeus Mozart war ein super Lehrer! Am Opernhaus Zürich trat ich früh in kleineren Rollen auf. Nun hatte ich kürzlich mit einer Pianistin als Duopartnerin die grosse Bühne beim Liederabend ganz für mich. Diese Erlebnisse sind berührend. Darum liebe ich meinen Beruf so!
Wie gross ist die Konkurrenz?
Für Frauen ist der Markt hart: Sopranistinnen gibt es wie Sand am Meer. Eine aussergewöhnliche Tenorstimme hingegen ist selten. Zu Beginn meiner Karriere war die Konkurrenz beim Vorsingen gross. Nun werde ich direkt für Rollen angefragt. Auch Intrigen, die mich Energie kosten, habe ich bisher nicht oft erlebt. Diese finden dafür um so heftiger auf der Bühne statt (lacht). An einen Flop bei meinem ersten Engagement an der Scala in Mailand erinnere ich mich allerdings noch gut.
Jetzt Sind wir aber neugierig!
Meine Maskenbildnerin liess mich während einer Vorstellung einfach im Stich und verliess das Haus. Ich musste das extrem aufwendige Make-up komplett selber machen. Auch das gibts!
#MeToo erschüttert auch die Klassikszene. Haben Sie negative Erfahrungen gemacht?
Ich kenne einige Kolleginnen und Kollegen, denen Schlimmes widerfahren ist. Auch bei mir schrillten mehrmals die Alarmglocken. Ich habe gemerkt, dass ich zu den Mutigen gehöre, wenn etwas unfair läuft, bin oft ein grosses Risiko eingegangen. Doch Mut zahlt sich immer aus. Die Machtmenschen, bei denen einem das Herz gefriert, wenn sie den Saal betreten, sterben langsam aus. Die junge Generation braucht diese Spielchen nicht. Gut so.
Wie wichtig sind Äusserlichkeiten in Ihrem Beruf?
Schönheit ist sekundär. Was zählt, sind Charakter, Ausstrahlung, Persönlichkeit, Authentizität. Ich bin nicht hier, um perfekt zu sein, sondern um Emotionen auszulösen.
Ist Singen eine Art Hochleistungssport?
Ich würde sagen ja. Fitness ist das A und O. Man sagt, dass wir an einem Konzertabend etwa gleich viele Kalorien verbrennen wie beim Holzhacken.
Gibt es Momente, wo Sie Ihre Rollen nicht mehr loswerden?
In den Anfängen musste ich lernen, dass ich tragische Figuren nicht mit mir rumtrage. Ziehe ich heute das Kostüm aus, lege ich auch die Bühnenrolle ab. In den meisten Partien gelingt mir das ganz gut. Charaktere, die mir nicht behagen, lehne ich ab.
Wie sind Sie privat?
Gute Frage: Diesen Sommer nehme ich erstmals eine Auszeit, um zu mir selbst zu finden. Ich bin seit 16 Jahren mit meinem Mann Claudio liiert, er ist im Kaffeehandel tätig und gelernter Koch. Ich liebe es, am grossen Tisch Gäste zu bewirten. Dann schone ich auch meine Stimme nicht: Wenig reden ist nicht gerade eine Stärke von mir.
Ihre Schwester hat das Downsyndrom. Wie prägt Sie das?
Sie ist der Sonnenschein in unserer Familie und in meinem Leben. Auch wenn sie lieber Beatrice Egli als meine klassischen Arien hört. Ihre Art ist absolut ehrlich und direkt. Es ist beeindruckend, mit welcher Herzlichkeit sie auf die Menschen zugeht.
Erkennt man Sie auf der Strasse?
In Salzburg und Wien kommt es während Festivals vor, dass ich von Fans um Autogramme gebeten werde. In der Schweiz ist man diskreter. In Luzern bin ich einfach «d Mühlimaa».
2.4.Lucerne Festival, 14. 4. Mozart-Konzert, Bern, 18. 4. Tonhalle Zürich, 21. 4. KKL Luzern, www.regulamuehlemann.com