Frau Berg, wie sie sich selber nennt, hat einen Hang zum Divenhaften. Von ihrer Fangemeinde wird sie geradezu kultisch verehrt. Das Debüt der Wahlzürcherin, die 1962 in der DDR geboren wurde, wollte 2008 kein Verlag haben. Dann wurde «Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot» zum Bestseller. Nun erschien ihr 14. Buch «GRM. Brainfuck». Es handelt von Zeiten, in denen zu der realen Grausamkeit noch die virtuelle dazukommt. «Wir ordnen den Scheiss jetzt neu», sagt die Autorin und taucht ein in eine kalte, zynische Zukunftsvision.
Die Digitalisierung ist in vollem Gang, die Menschen schaffen sich gerade selber ab. Schauplatz ist England nach dem Brexit. Die Monarchie ist tot, und alles, was sich an Perversem erdenken lässt, kommt in Bergs Roman vor: Attentäter, die mit Macheten Passanten zerlegen. Ein junger Erbe, der die Stiefmutter erwürgt, ihr den Embryo aus dem Leib reisst und im Säurebad entsorgt. Eine Bande Pakistani, die Mädchen als Sexsklavinnen hält...
Gratulation zum Schweizer Buchpreis, Frau Berg. Wobei stören wir Sie gerade?
Es ist Tag zwei nach der Preisverleihung, und ich bin immer noch ein wenig erschlagen. Von der Aufregung, der Freude, dem vielen Reisen. Aber auch von der Anstrengung, positiv wie negativ, welche das ganze Jahr mit sich brachte. Und natürlich vom neuen Buch, 640 Seiten stark und dreimal korrigiert. Auch erschlagen bin ich von der Fassungslosigkeit, als es in den Bestsellerlisten landete und sich über Wochen dort hielt, entgegen allen Vorhersagen (zu dick, zu viel Informationen).
Sie beschreiben das Leben in einem totalitären Überwachungsstaat: menschliche Beziehungen sind geprägt von Hass, Gewalt, Sex. Ist Ihr Roman eine Warnung?
Ich wüsste gar nicht, was man grossartig gegen diese Entwicklung tun kann. Ich begreife das Buch nicht als dystopisch- düster, sondern als Beschreibung einer Zeit, in der wir uns befinden. Ich masse mir nicht an zu sagen, dass es noch schrecklicher wird, weil vielleicht wird es ja gut.
Und die Digitalisierung unserer Gesellschaft?
Ja, das ist ein bisschen schiefgelaufen.
«Schreiben ist ein Handwerk, das man üben muss»
Wie wurde Ihr jüngstes Buch von der Kritik aufgenommen?
Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Ich lese Kritiken nie. Aber vielen Lesenden hat es immens gut gefallen. Das Tolle ist, dass es mir mit diesem Werk gelungen ist, eine Zielgruppe zu erreichen, die eher weniger liest – technikaffine Männer zum Beispiel, die seit «Herr der Ringe» kein Buch mehr gelesen haben.
Ihre Schreibe ist bitterbös, messerscharf, existenzialistisch. Woher diese Begabung?
Ich schreibe jetzt regelmässig seit 30 Jahren. Nach den Anfängen war es mir klar, dass ich hart an einem Ausdruck arbeiten muss, der möglichst viel Inhalt mit wenigen Worten transportiert. Ich mochte konventionelle, in sich verliebte Stile nie. Das ist eine Frage der Vorliebe. Sprache um der Sprache willen langweilt mich. Darum galt für mich immer: streichen, alles streichen, was nicht Träger der Gedanken ist. Das ist Technik. Und sehr viel Disziplin. Neben einem gewissen Talent ist Schreiben ein Handwerk, das man üben muss. Der Rest ist die Auswahl der Themen. Und auch da interessierten mich einige Gebiete nie, wie Persönliches, Biografisches, Romantisches.
«Preise sind eine schöne Überraschung, wie ein Lottogewinn»
Woher diese Lust am scharfsinnigen Vordenken?
Ich wollte immer die Zeit, in der wir leben, auf die Gefahren hin untersuchen, die sie für den Humanismus bringen. Herausfinden, warum es uns Menschen so schwerfällt, mitfühlend und ab und zu zufrieden zu sein. Weiterhin habe ich eine grosse Vorliebe – fast einen nerdhaften Tick – für alles, was Technik, Wissenschaft und Spezialistentum betrifft.
Sie gingen jahrelang leer aus. Haben Sie überlegt, den Schweizer Buchpreis gar nicht anzunehmen?
Preise sind eine schöne Überraschung, wie ein Lottogewinn. Aber es nimmt ja auch niemand einen Lottogewinn nicht an, weil er vorher über Jahre nichts gewonnen hat. Auch ich habe ja eher viele Preise nicht erhalten und auch nie damit gerechnet. Ich habe immer daran geglaubt, dass ich von meiner Arbeit leben und mich von ihr erhalten muss. Im Moment habe ich noch drei Theateraufträge, die ich abarbeite.
Wie haben Sie den Erfolg gefeiert?
Wir hatten uns schon am Tag zuvor ein paar gute Take-away-Thai-Nudeln gekauft, um uns zu trösten. Die habe ich also aufgegessen, dazu einen guten Grüntee und früh ins Bett. Ich weiss nicht genau, wie man feiert, muss ich gestehen. Mein Leben ist so angenehm, dass ich jeden Tag das Gefühl habe, ich hätte einen Feiergrund. Da schliesst sich der Kreis: Keine Ahnung, wie man das macht, ausser eben meist gute Laune zu haben.
Was leisten Sie sich vom Preisgeld?
Eine Wohnung an der Schipfe in Zürich: ein Loftraum mit Fussbodenheizung, Flusssicht, Terrasse, Badewanne – und alle Bewohnerinnen des Hauses, in dem ich jetzt lebe, zügeln mit. Okay, realistischer ist, noch ein paarmal Thai-Nudeln. Und keine Angst vor dem nächsten Steuerbescheid zu haben.