Eine Frau unter freundlicher Beobachtung. «Dreh das Kinn ein wenig zur Seite», «jetzt hab ichs gleich», «oui, parfait». Lisa Mazzone schlug das Atelier ihrer Freunde in der Genfer Künstlergemeinde Carouge für unser Treffen vor. Dass sie denen dort Modell stehen muss, hat sie wohl nicht gedacht. Nun wird ihr Markenzeichen – das grosse Lächeln – von den Genfer Zeichnern Aloys Lolo, Pierre Wazem und Fabian Menor eingefangen.
Hier in diesem Dachgeschoss hat Lisa Mazzone eine Zeit lang Unterschlupf erhalten, um Reden und Motionen vorzubereiten. Sie ist eine politische Überfliegerin, die mit 33 erreicht hat, wovon andere ein ganzes Kantons- und Nationalratsleben lang träumen. Mazzone vertritt ihre Partei im Ständerat – dort, wo jede Stimme besonders viel Gewicht hat. Und ihre Stimme ist «grün, modern, feministisch».
Das eckt an im «konservativen Bern», wie sie es selbst nennt. «Der Wechsel war ein kleiner Kulturschock. In Genf ist das Parlament sehr temperamentvoll, mit Zwischenrufen und spontanem Applaus. Bern ist anders.» Dass es überhaupt zu diesem Kulturschock kam, liegt an 657 Stimmen. Mit diesen überholte Mazzone vor sieben Jahren eine grüne Kollegin und übernahm deren Sitz im Nationalrat. Dort war sie mit 27 Jahren die Jüngste, «la Benjamine», was ihr viel Aufmerksamkeit bescherte.
Aufgewachsen ist Lisa Mazzone in Versoix GE, «dessen Bewohner es stets nach Genf zieht». Mazzone ziehts in den Zirkus, «Einrad und Akrobatik – Trapez habe ich auch viel geübt, aber das war nichts für mich». Wieder das grosse Lächeln. Dann zieht es sie in die Politik. Da es die in Versoix für Teenager noch nicht gibt, gründet Mazzone ein Jugendparlament. Die Rebellion ihrer Teenagerzeit richtet sich gegen «die Regeln und das System». «Politik war meine Art, etwas an der Welt zu ändern.» Als Erstes ist der Busfahrplan dran. Et voilà: Dank den Jungpolitikern fahren die Busse in Versoix fortan bis in die Nacht hinein. Als Nächstes sollen die Velos gratis im Zug mitfahren dürfen. Mazzone scheitert. Doch die Themen ihrer Politik sind gesetzt.
Sie kommt aus einer «grünen Fundi-Familie». «Wasser sparen, Ferien mit dem Zug» – das ist für sie ganz normal. «Dieser Lebensstil ist ein Genuss. Simplizität macht mich glücklich.» Geflogen ist Lisa Mazzone fünfmal.
Dieselben Werte wird sie den beiden Söhnen mitgeben, die sie mit ihrem Partner, «Magazin»-Reporter Christoph Lenz, hat. Der erste ist zwei Jahre alt, der zweite kommt bald zur Welt. «Mutter zu sein, hat meinen Anliegen mehr ‹urgence›, mehr Dringlichkeit, verliehen. Ich weiss, wem wir diese Welt vermachen werden. Andererseits erlaubt die Familie mir, die Politik mit Distanz zu sehen. Und Kinder sind ein gutes Gesprächsthema in Bern – auch mit Kollegen, mit denen man sonst nicht so viel gemeinsam hat.»
Ortswechsel. Lisa Mazzones Schwester Marie, 30, kommt auf einen Schwatz vorbei. Der SI-Fotograf weist die beiden an, mit ihren Velos auf der Strasse zu posieren, doch das ist gar nicht so einfach. Alle paar Sekunden muss ein Auto durch. «Tja, so ist das in Genf!» Mazzone war jahrelang Geschäftsführerin von Pro Velo Genf und ärgert sich immer noch über den Verkehr in der Innenstadt. «Das haben Basel und Bern besser gelöst.» Was die Schwestern neben der Liebe zum Rad gemeinsam haben, ist die geisteswissenschaftliche Ausbildung. Lisa studierte Latein und Französisch. Marie macht den Doktor in Kunstgeschichte.
Und das, obwohl sie aus einer Familie von Naturwissenschaftlern kommen. Die Grosseltern mütterlicherseits sind Physiker am Cern. «Als Kind verstand ich nicht, was sie erforschen, aber ihre Leidenschaft und Hartnäckigkeit hat mich beeindruckt», sagt Lisa Mazzone.
Sie zieht Kraft aus ihrer Familie. Ihr Vater gab seine Karriere als Biochemiker auf, um Solarzellen zu montieren. «Aus Überzeugung, aber auch, damit er Teilzeit arbeiten konnte.» Ihre Mutter, ebenfalls Biochemikerin, begann ein Medizinstudium, als Mazzone in der Primarschule war, und wurde Psychiaterin. «Das zeigte mir, dass man seinem Leben eine neue Richtung geben kann.»
Lisa Mazzone wurde übrigens gewählt, obwohl sie in den sozialen Medien nicht präsent ist. Statt auf Facebook und Twitter für sich zu werben, ging sie «an jedes Tomaten- und Gurkenfest». Noch einmal ihr grosses Lächeln. «So gehts auch.»