Irina Kastrinidis, Sie haben nun den Film «The Palace» von Roman Polanski fertig gedreht. Wie geht es Ihnen?
Mir geht es sehr gut. An den Filmfestspielen von Venedig wurde der Film erstmals vorgestellt, und ich bin auch froh, dass der Film nun gezeigt wurde, denn es war eine besondere Erfahrung für mich, den ganzen Film zu sehen. Es war auch eine Art Befreiung, denn von Drehschluss bis jetzt, dem Resultat, war ich ungeduldig, ich wollte natürlich wissen, wie denn der Film nun geworden ist und was bei der ganzen Arbeit rausgekommen ist. Es war besonders schön, den fertigen Film mit fast allen Beteiligten vom Set gemeinsam zu zelebrieren, alle noch einmal zu sehen und sich in die Augen zu schauen, auch die ganze Stimmung in Venedig war toll und es war gut, die Arbeit dieser intensiven Zeit sozusagen zu rekapitulieren. Dadurch konnte ich dann für mich die Arbeit gut abschliessen und loslassen, um bereit für etwas Neues zu sein.
Erzählen Sie einmal ein bisschen vom Film. Worum geht es?
In dem Film geht es um viele verschiedene Menschen, die sich am Silvesterabend wenige Stunden vor dem Jahreswechsel ins Millenniumsjahr im Hotel Gstaad Palace befinden und das neue Jahr erwarten. Da ist sehr viel Nervosität im Raum, viele Ängste darüber, was es bringen wird. Man merkt, wie jede einzelne Person mit ihrem eigenen Charakter auf ihre Art in eine Situation hineingeworfen ist. So erhält die Szenerie eine spezielle Künstlichkeit. Auf gewisse Weise befinden sich alle zwischen Vergangenheit und Zukunft. Dabei geschieht sehr viel und zugleich auch gar nichts. Das fand ich faszinierend.
Was hat Sie besonders am Film überrascht?
Es hat mich überrascht, dass Roman Polanski, der Regisseur, mit diesem Film etwas komplett Neues gewagt hat. Ich hatte das Gefühl, dass er mit allen Filmregeln bricht, mit allem, was man von ihm kennt, das Ästhetische, das Psychologische, die Dramaturgie. Aus all dem bricht er mit diesem Film aus. Dadurch sieht man nicht nur die Menschen, die Charaktere, die in ihre individuelle Situation geworfen sind und kämpfen müssen, sondern man sieht auch die Schauspieler selbst. Wie ein Auflösen sämtlicher filmischer Gesetzmässigkeiten. Das fand ich grossartig. Roman Polanski ist ein genialer Filmregisseur. Er beherrscht alle Genres und hat hier wieder etwas Neues gewagt. Alles andere wäre meiner Meinung nach auch langweilig gewesen, und ich glaube, das hätte ihn selbst auch gelangweilt.
Die Menschen sind, wie sie sind – das ist manchmal auch schmerzhaft zu sehen, wie Menschen einfach nur sind. Denn es gibt nicht diese eine bestimmte Ästhetik, verpackt in eine Psychologie, in einer Geschichte, die vieles verschönern würde. Die Dramaturgie stellt ein abgründiges und gleichzeitig oberflächliches Chaos dar. Ein Freund von mir, der den Film gesehen hat und das Gstaad Palace Hotel sehr gut kennt, war völlig beeindruckt von der Echtheit der Atmosphäre dieses Ortes. Alles wirkt in seiner Überzeichnung wahrhaftig. Die Figuren scheinen überrealistisch, was durch die Spielweisen der Schauspielerinnen und Schauspieler deutlich wird. Ich finde, der Film hat eine eigenartige Anarchie. Er bedient keine Sehgewohnheiten. Für diesen Mut bewundere ich Polanski sehr.
Wie war die Zusammenarbeit mit Roman Polanski?
Die Arbeit mit Polanski war unglaublich spannend. Man kann ja gar nicht glauben, dass der Mann bereits 90 Jahre alt ist (lacht), weil er noch so unwahrscheinlich fit ist. So jemanden wie Roman Polanski habe ich noch nicht erlebt. Er springt herum, wie ein junger Mensch und hat eine enorm Energie. Während der Dreharbeiten hat er viele Szenen selbst vorgespielt. In einer Szene soll der Charakter von Mickey Rourke einen Herzinfarkt haben, und als Polanski vorzeigte, wie er es sich vorstellt, dachten wir, er hätte tatsächlich einen Herzinfarkt, und plötzlich hatten alle Panik. Roman Polanski hat auch einen grossartigen Humor und etwas Kindliches an sich.
Ihm beim Arbeiten zuzusehen ist fast, als würde man einem Kind zuschauen, welches Freude am Spiel und an der Übertreibung hat. Er kombiniert Spass mit Perfektionismus. Alles musste stimmen, von jeder Zeile über den Ton bis zu den Bewegungen. Und er macht vieles selbst, wie zum Beispiel mit seinem Range Rover Spuren in den Schnee zu fahren, indem er immer wieder und wieder vor dem Palace in seinem Wagen eine Vollbremsung vollzog. Zuvor hatte der Requisiteur die Autospuren mit einem Besen angedeutet. Für den Perfektionisten Polanski sah das zu unecht aus. Mit ihm zu arbeiten war auch für mich als Bühnen-Schauspielerin sehr interessant, weil er wie im Theater jede Szene solange probiert, bis sie sitzt. Das ist toll und fordert viel Einsatz.
Wie sind Sie an die Rolle gekommen, wie verlief der Casting-Prozess für einen Film mit Roman Polanski?
Ich wurde über eine Casting-Agentur zu diesem Casting eingeladen. Die meisten Castings wurden über ein E-Casting veranstaltet. Ich habe also im Vorfeld den Text zum Lesen zugeschickt bekommen und hatte dann die Möglichkeit, daraus verschiedene Szenen zu spielen. Diese habe ich zu Hause aufgenommen und abgeschickt. Dann kam das lange Warten, und die Zusage bekam ich, als ich in den Skiferien war. Ich erhielt eine Mail von der Italienischen Produktionsfirma. und als es hiess, dass ich die Rolle der Dubravka bekommen hätte, stand ich in den Bergen und habe dann erst einmal vor Freude so einen Alpenruf rausgelassen. Weil ich die Rolle so gerne haben wollte, dachte mir aber auch: ehrlich, diesen Job musst du einfach bekommen.
Wer genau ist denn Ihr Charakter im Film?
Ich spiele eine Tschechin aus Budejovice, die mit ihrem Ehemann und ihren Kindern in die Schweiz reist, um ihren Schwiegervater, gespielt von Mickey Rourke, kennenzulernen. Dubravka, meine Rolle, und ihre Familie sind im Film eigentlich die einzigen, die aus einem ärmeren Milieu kommen und vom Schwiegervater in diesem Hotel völlig abgelehnt werden, da dieser angeblich auch gar nichts von einem Sohn in Tschechien weiss. Die Geschichte dieser tschechischen Familie ist dann eigentlich sehr traurig, denn im Hotel bekommen sie kein Zimmer und werden stattdessen in verschiedenen Unterhaltungsräumen untergebracht. Sie bekommen aber zum Beispiel auch Austern zu essen. Dubravka hat in ihrem ganzen Leben jedoch noch nie Austern gegessen.
Wir zeigen also in dem Film auch den Klassenunterschied. Ausserdem spricht Dubravka kein Wort Englisch und versteht deshalb überhaupt nichts von dem, was um sie herum gesprochen wird. Das war auch das Interessante daran, diese Figur zu spielen. Denn als Schauspielerin habe ich natürlich alles verstanden, doch ich musste die Rolle so spielen, als würde ich nichts verstehen. Wenn hingegen Tschechisch gesprochen wurde, musste ich so tun, als ob ich alles verstehe, auch wenn ich als Irina kein Wort Tschechisch spreche. Wie die Geschichte von Dubravka nach dem Film weitergeht, bleibt offen. Man wünscht sich fast, dass der Film weiterlaufen würde, um zu erfahren, was mit der Familie passiert. Gibt es eine Versöhnung mit dem Schwiegervater? Müssen sie diese glitzernde Welt, die sie im Palace kennengelernt haben, für immer wieder verlassen?
«The Palace» von Roman Polanski läuft ab 18. Januar in der Schweiz im Kino.