Der Zürich- und der Walensee liegen unter einer dicken Nebeldecke. Über der Linthebene aber wärmt die Sonne den zweiten Tag des neuen Jahrzehnts. Tanja Hüberli holt tief Luft. Die 27-Jährige kann wieder atmen. Vor wenigen Wochen war ihr das nur noch mit Mühe möglich. Diagnose: eine ausgedehnte Lungenembolie. Akute Lebensgefahr! «Wahnsinn, wie schnell es gehen kann», sagt die Schwyzerin, der das Lachen sonst viel mehr liegt als Ernsthaftigkeit. «Anfang Dezember hatte ich bei den Leistungstests noch Bestwerte. Und plötzlich ist fünf vor zwölf.» Dass sie nicht früher auf dem Operationstisch landet, ist ihrer Fitness geschuldet – normale Menschen wären in diesem Stadium nicht mehr herumspaziert.
Ihre Lunge meldete sich im Trainingslager auf Teneriffa
Hüberli und ihre Partnerin Nina Betschart – die beiden sind EM-Medaillen-Gewinnerinnen und WM-Vierte im Beachvolleyball – befinden sich damals im Trainingslager auf Teneriffa. Hüberli hat Schmerzen in der Wade, denkt an ein muskuläres Problem.
In den folgenden Tagen kriegt sie schlecht Luft, hat einen aussergewöhnlich hohen Puls und Herzrasen, sie denkt an ein Übertraining. Tanja spürt, dass etwas nicht stimmt – «aber ich bin keine, die gleich zum Arzt rennt, wenn etwas wehtut» –, und vereinbart einen Termin für den Montag nach dem Trainingslager. Am Sonntagabend davor besucht sie mit ihrem Freund, Skifahrer Ramon Zenhäusern, 27, noch unbeschwert die Sports Awards.
In der Schulthess Klinik und danach im Unispital Zürich folgen an diesem Montag lange Stunden mit Untersuchungen an Herz, Wade und Lunge. Die Lungen-Computertomografie schliesslich zeigt, dass beide Lungenflügel voller Blutgerinnsel sind. «Ich war geschockt», sagt Hüberli, «möchte in solchen Momenten aber eher stark sein und niemandem zeigen, wie es mir wirklich geht.»
Der Arzt fragt sie dann, ob ihr bewusst sei, wie schlimm es um sie stehe. Mit so etwas gerechnet hätte sie nie; Menschen mit erhöhtem Risiko für eine Lungenembolie sind Übergewichtige, Raucher oder ältere Menschen. Nicht aber kerngesunde Spitzensportlerinnen. Noch immer ist die Ursache unklar. Die Ärzte sind sich uneinig, ob ein Quallenstich am Knie der Auslöser gewesen sein könnte – durch eine Schwellung.
Im Hinblick auf die Olympischen Sommerspiele war eine OP unausweichlich
Hüberli entscheidet sich für eine Operation. Alternativ hätte sie sechs Monate lang starke Blutverdünnungsmittel einnehmen müssen. In dieser Zeit hätte sie keine Schläge auf den Körper bekommen dürfen – wegen der Gefahr von Blutungen. Für die Olympischen Spiele im Juli 2020 wäre das praktisch das Aus gewesen.
In der Nacht vor der Operation fährt es der so positiv eingestellten Athletin dann doch nochmals ein, sie fürchtet sich vor dem Risiko einer Blutung während des Eingriffs: Über die Leiste werden Katheter in die beiden Lungenflügel eingeführt. Danach sollen Medikamente die Blutgerinnsel während 20 Stunden zerstören. In dieser Zeit liegt Hüberli auf der Überwachungsstation, darf sich nicht bewegen.
Ihr Schatz Ramon Zenhäusern besucht sie im Spital
Während dieser Zeit hat sie Besuch: von ihrem Freund Ramon, ihrer Cousine, ihrer Mutter. Hüberli ist froh, die Therapie überstanden zu haben, und reisst schon wieder Witze, macht Faxen für Handy-Bilder. «Ich weiss nicht, wie man nach einer Lungenembolie so humorvoll und positiv sein kann!», schreibt Slalom-Ass Zenhäusern auf Instagram. Hüberlis Mutter aber mahnt zur Vorsicht. «Sie sagte: ‹Nimm das alles nicht auf die leichte Schulter!›», erzählt Tanja. Aber das ist eben ihre Art. Nicht daliegen und hadern oder in Selbstmitleid versinken, dass es sie getroffen hat. «Sondern denken, dass es schon gut kommt!»
Die Tage danach verbringt Hüberli bei ihren Eltern in Reichenburg SZ, sie schläft viel, erholt sich. Zum Glück ist auch Ramon Zenhäusern in der Schweiz. «Es war schön, dass wir so viel Zeit miteinander hatten.» Nach Weihnachten verbringt sie noch ein paar Tage bei ihm im Wallis, mittlerweile ist sie wieder zurück in ihrer WG in Bern.
Der Weg zurück zur alten Form ist noch lang
Wie es weitergeht, ist noch etwas unklar. Die Dosierung des Blutverdünners darf sie nun herabsetzen, was einmal pro Tag ein leichtes Volleyballtraining – natürlich ohne Blocken – erlaubt. Bis anhin durfte sie bloss lockeres Ausdauer- und Krafttraining machen. Das erste Schwimmtraining brach sie nach 35 statt 60 Minuten ab. Dass sie das Seitenstechen ernst nahm, macht sie ein bisschen stolz.
Hüberli möchte in Zukunft mehr auf ihren Körper und seine Signale hören, anstatt ohne Rücksicht auf Schmerzen weiterzumachen. Diesmal ging alles noch gut, «aber natürlich hätte ich – von heute aus gesehen – früher reagieren müssen». Es soll ihr eine Lehre sein. Und schon sieht sie wieder das Positive an der Sache: «Vielleicht tut es mir ja gut, dass ich nun nochmals eine Pause habe und meinen Körper nicht acht Monate lang bis Olympia ans Limit pushe.»
Jetzt aber gehts ins Berner Oberland: An den Ski-Weltcuprennen in Adelboden und Wengen wird sie ihren Freund Ramon anfeuern. Und ihm damit ein bisschen Unterstützung fürs Händchenhalten am Krankenbett zurückgeben.