Blicken sie über den Genfersee, können sie gegenseitig ihre Wirkungsstätten betrachten. Persönlich begegnen sie sich heute zum ersten Mal für ein längeres Gespräch: Nestlé-Chef Mark Schneider (57) und Starkoch Anton Mosimann (76). Das Treffen findet im Museum des Lieblingskochs der britischen Royals statt.
Er hat seinen Londoner Club «Mosimann’s» vor zwei Jahren den Söhnen übergeben und hält seitdem in Le Bouveret Hof. Sein Gast, der CEO des weltgrössten Nahrungsmittelkonzerns, fährt pünktlich vor. Behenden Schrittes eilt Mosimann auf den Parkplatz, breitet die Arme aus und ruft ein herzliches «Welcome, Mark» – ganz der perfekte Gastgeber. Mosimann in vollem Ornat des Kochs, Schneider in grauem Anzug und offenem Hemd.
Mosimann führt durchs Museum. An die 400 Fotos zeigen Rock-Urgestein Alice Cooper neben Schauspielerin Elizabeth Taylor, die Präsidenten Frankreichs neben US-Präsidenten von Richard Nixon bis Joe Biden. In Glaskästen liegen Briefe und Geschenke der Queen und ihrer weitverzweigten Familie.
Mark Schneider: Das ist ja unglaublich, wen du alles getroffen hast!
Anton Mosimann: Die meisten kamen wieder, weil sie das Essen, aber auch die Atmosphäre schätzten. Wichtig ist, von Anfang an und bei allem immer das Beste zu geben. «You never get a second chance», das ist das Grundprinzip der Service-Industrie.
Schneider: Ja, das stimmt. Das gilt nicht nur für Gäste, sondern auch für Kundinnen und Kunden. Hier sehe ich, dass du bereits mit 25 Jahren Küchenchef wurdest. Das ist sehr jung!
Mosimann: Ja, ich glaube, ich bin noch heute der jüngste Küchenchef, der in der Schweiz diplomiert wurde. Ich wollte einfach immer vorwärts, etwas bewegen, etwas erleben.
«Wichtig ist: von Anfang an immer das Beste geben!»
Anton Mosimann
Auch Sie, Herr Schneider, waren schnell unterwegs: Die neunte Klasse haben sie übersprungen, Studium und Doktorat in Windeseile absolviert. Sie waren in Deutschland einer der jüngsten CEOs und bei Nestlé erst der zweite Konzernchef, der nicht aus dem Hause kam. Immer auf der Überholspur?
Schneider: Tempo ist gut, wenn es schnell gehen muss. Aber es liegt auch viel Weisheit im Sprichwort «Eile mit Weile». Je älter man wird, desto besser lernt man es, Dingen etwas Zeit zu geben und auch eine gewisse Gelassenheit zu entwickeln.
Wieso wollten sie einander treffen?
Schneider: Weil ich von den Besten lernen will. Nahrungsmittel und Essen sind unser Geschäft. Das ist einem immensen Wandel unterworfen. Nehmen wir den Fleischkonsum: Wir essen alle zu viel Fleisch! Fleischersatz ist deshalb wichtiger Forschungsschwerpunkt für Nestlé.
Mosimann: Die Studenten der César Ritz Colleges haben für unseren Apéro auch vegetarische Häppchen hergestellt, da du gerne mal auf Fleisch verzichtest. Artischocken-Tartar, Burger aus Ricotta – es gibt so viele Möglichkeiten und Köstlichkeiten ohne Fleisch.
Schneider: Man muss eben kreativ sein. Das ist das Entscheidende. Und man muss sorgfältig und mit Liebe arbeiten, sonst hat man keinen Erfolg. Wir haben am Hauptsitz in Vevey eine Testküche. Da gehe ich gerne hin, um unsere neuen Kreationen persönlich zu testen.
Mosimann: Es geht darum, Menschen an neue Gerichte, neue Geschmäcker und Konsistenzen zu gewöhnen. Als
ich in London anfing, hat man im Königreich noch völlig anders gekocht. Die Leute mussten sich nach und nach daran gewöhnen, dass gesundes und frisches Essen schmeckt.
Schneider: Es gibt das Prinzip Nudging, dass man Menschen anstösst, etwas zu tun. So gibt es Kühlschränke, die Klarglas und Milchglas verbaut haben. Hinter dem Klarglas werden die gesünderen Lebensmittel platziert.
In der Küche eines Spitzenrestaurants gibt es nur die besten Zutaten, da ist es nicht schwer, was Feines zu kochen…
Mosimann: Stopp! Klar ist alles frisch und von hoher Qualität, aber das gibt es alles auf dem Markt. Wichtig ist, die Lebensmittel mit Respekt zu verarbeiten. Auch verwenden wir immer alles, denn wer in einer Restaurantküche Lebensmittel verschwendet, kommt nie auf einen grünen Zweig. Ich habe nur eine Allergie: die gegen Food-Waste.
Schneider: Die Verschwendung von Lebensmitteln beschäftigt mich sehr. Wir wollen in unseren Fabriken in den kommenden Jahren 50 Prozent des Food-Waste eliminieren. Ziel ist, möglichst alles zu verarbeiten.
Wie und was essen Sie im Alltag?
Schneider: Ich beginne meinen Tag seit 15 Jahren immer mit einem selbst gemachten Smoothie. Da stecke ich viel Zeit rein, verwende nur beste Zutaten und brauche gleich zwei Maschinen. Zuerst nehme ich Früchte und Gemüse, die sich zum Entsaften eignen. Diese schneide ich klein und mische sie im Mixer mit Früchten und Gemüse, die viel Nahrungsfasern haben, beispielsweise Äpfeln. Pro Portion noch etwa zwölf Gramm Proteinpulver, und fertig ist das gesunde Frühstück für meine ganze Familie. Es ist die perfekte Grundlage für den Tag.
Das tönt nach viel Arbeit.
Schneider: Ja, so 20 bis 30 Minuten verwende ich schon darauf. Ich stehe um 5.30 Uhr auf und radle danach eine halbe Stunde auf dem Hometrainer. Dabei lese ich Zeitung und checke die Mails. Funktioniert perfekt.
Mosimann: Ich und meine Frau essen morgens ein selbst gemachtes Müesli mit Getreideflocken, Nüssen, Früchten, dazu Grüntee. Mittags gibts meist etwas Einfaches und abends am liebsten Gemüse und ein bisschen Fisch.
Schneider: Ich koche eher am Wochenende. Wenn es schnell gehen muss, Fusilli mit frischen Tomaten, Oliven, Mozzarella, geriebenem Parmesan, etwas Olivenöl und Pfeffer. Manchmal gibts auch Seafood. Beim Kochen improvisiere ich, Rezepte sind nicht mein Ding. Hast du eigentlich noch alle Rezepte von den Tausenden Gerichten, die du kreiert hast?
Mosimann: Ja, im obersten Stock lagern über 360 Ordner mit Rezepten und allem, was mir im Berufsalltag wichtig war. Ich habe von Anfang an Ordnung gehalten. Ich liebe Perfektion. Hier würde ich übrigens auch ein Rezept für eine Crème brulée Capuccino finden, für die ich Nescafé verwende.
Schneider: Das freut mich natürlich. Wir haben aber auch noch etwas anderes gemeinsam: Dein Museum ist der Hotelierschule César Ritz angegliedert. Der Walliser zog in die Welt, baute eine Hotelkette auf und gründete 1892 in Konolfingen im Emmental eine Fabrik zur Milchverarbeitung. Heute stellt Nestlé dort Milchprodukte her und betreibt Forschung. César Ritz wollte für seine Hotels sterilisierte Milch aus der Schweiz und glaubte an die damals revolutionäre Idee.
Schüler der Hotelierschule haben mit grossem Einsatz wunderbare Häppchen bereitet, aber im Alltag muss es schnell gehen. Nestlé lebt von diesen Schnell- und Fertiggerichten. Gesund ist das ja nicht.
Schneider: Wir arbeiten hart daran, nahrhafte und gesündere Produkte auf den Markt zu bringen. Weniger Zucker, Salz und gesättigte Fettsäuren, weniger Fleisch. Ich komme nochmals aufs Fleisch zurück: In der Schweiz beträgt der durchschnittliche Fleischkonsum 50 Kilogramm pro Person, das ist viel mehr als der weltweite Durchschnittswert von 30 Kilogramm und liegt deutlich über den gängigen Gesundheitsempfehlungen. Wenn wir es ernst meinen mit dem Schutz der Gesund-heit und des Klimas, müssen wir den Konsum runterbringen. Wir lancierten zu den Festtagen ein veganes Foie gras. Damit wollten wir zeigen, was alles mit pflanzlichen Produkten machbar ist. Es schmeckt wirklich gut! Unsere Verantwortung gilt aber auch den Menschen in Ländern, wo wenig Geld vorhanden ist. Dort reichern wir beispielsweise Maggiwürfel und andere Produkte des täglichen Bedarfs mit Vitaminen und Mikronährstoffen an, da diese in der täglichen Nahrung fehlen. Das haben schon meine Vorgänger gemacht, und ich führe das stolz weiter.
Mosimann: Ich habe in Grossbritannien vor Jahrzehnten im TV eine Challenge gestartet, bei der wir gesundes Essen für wenig Geld gekocht haben. Mit zehn Pfund musste ein Menü für
sieben Personen auf den Tisch. Das war damals revolutionär. Aber wir haben bewiesen, dass es funktioniert und dass man tolle Menüs mit wenig Geld kochen kann.