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Sie bringt neuen Schwung in den Turnverband

Béatrice Wertli: «Es gibt kein Wegschauen mehr»

Den Schweizerischen Turnverband STV aus der Krise führen: Das ist die Mission von Béatrice Wertli. Wo die oberste Turnerin genauer hinschaut und wann sie Zeit für Sport hat, sagt sie an der Kunstturn-EM in Basel.

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Beatrice Wertli, Direktorin Schweizerischen Turnverband, Kunstturn EM in Basel April 2021, SI 17/2021

Kurz durchatmen: Béatrice Wertli mietete für die Meisterschaftswoche eine Wohnung in der Basler Altstadt.

Joseph Khakshouri

Bluse und Blazer, dazu schwarze Lederhosen und weisse Turnschuhe. «Es hiess, ich solle einen Anzug tragen. Das ist meine Interpretation davon», sagt Béatrice Wertli, 45. In ihren Rucksack packt sie noch Stiefeletten. «Sicherheitshalber – für die Medaillenübergabe.» Sie zieht die silberne Pilotenbrille an und macht sich auf den Weg zur St. Jakobshalle.

Die Neue

Die gebürtige Aargauerin ist seit diesem März Direktorin des Schweizerischen Turnverbands STV mit rund 3000 Vereinen im ganzen Land. An der Europameisterschaft in Basel hat sie ihren ersten öffentlichen Auftritt. «Die Aufmerksamkeit gehört aber ganz klar unseren Stars wie Giulia Steingruber und Benjamin Gischard. Für mich ist es eine gute Gelegenheit, alle mal kennenzulernen.» 

Foto: Joseph Khakshouri 23.04.2021StarterEin Tag Im Leben von Beatrice Wertli, Direktorin des Schweizerischen Turnverbands am Tag der Kunstturn-EMAm Morgen vor der EM, wird trotz Später Nacht Ge JoggtBasel (BS)

Die oberste Turnerin Béatrice Wertli joggt frühmorgens durch die Basler Altstadt.

Joesph Khakshouri

Wertli lebt mit ihrem Ehemann, dem Preisüberwacher Stefan Meierhans, 52, und den zwei Töchtern Sophie, 10, und Lena, 11, in Bern. Vor der EM verbrachte die ganze Familie einige freie Tage in Basel. Sie besuchten das Cartoonmuseum und schöpf-ten Papier in der Papiermühle. Jeden Tag ging Béatrice Wertli mindestens eine Stunde joggen. «Wenigstens ein bisschen nach Sport muss ich in meinem neuen Job ja aussehen», sagt sie und lacht. «Nein, ernsthaft: Bewegung ist wichtig. Ich bin überzeugt, jeder hätte eine Stunde pro Tag Zeit dafür.» Bei ihr ist es manchmal frühmorgens, wie heute, manchmal spätabends, wenn die Kinder bereits schlafen.

Sie rattert über die Pflastersteine

Kaffee und Kaugummi. Das braucht Wertli, um zu funktionieren. Sie ist fast nonstop am Telefon oder am Laptop – ausser Atem kommt sie aber nicht. «Ich mags, wenn etwas läuft. Und ich mache meinen Job mit viel Leidenschaft.» Zum Joggeli flitzt sie mit einem gemieteten E-Scooter. Mit 20 Kilometern pro Stunde rattert Wertli über die Pflastersteine der Basler Altstadt, dem Rhein entlang, bis sie nach 20 Minuten am Ziel ankommt.

Beatrice Wertli, Direktorin Schweizerischen Turnverband, Kunstturn EM in Basel April 2021, SI 17/2021

Die Chefin hat keine freie Minute: «Ich habe mich in der Nähe der Kaffeemaschine eingerichtet.» 

Joseph Khakshouri

Béatrice Wertli wuchs mit zwei jüngeren Brüdern in Aarau auf. «Ich hatte schon als kleines Mädchen viel Energie», sagt sie. Die Eltern schicken sie deshalb in den Klavierunterricht, ins Schwimmen und in die Pfadi. Als 15-Jährige macht sie bei einem Plausch-Triathlon mit und qualifiziert sich im gleichen Jahr für die Junioren-Europameisterschaft in Holland. Leistungssportlerin will sie aber nicht werden, lieber studiert sie Internationale Beziehungen in Genf. Mit 25 Jahren wird sie Kommunikationschefin der CVP Schweiz. «Ich hatte wichtige Vorbilder in der Partei», sagt sie. «Ruth Metzler, Judith Stamm, Doris Leuthard – sie alle haben mir den Weg geebnet.» Doris Leuthard sass mit ihrem Vater Otto Wertli im Aargauer Grossen Rat. Mit 30 Jahren wechselt sie zum Bundesamt für Sport und wird sechs Jahre später Generalsekretärin der CVP Schweiz.

Die Frau an der Spitze

Vor dem Joggeli empfängt sie Kathrin Amacker, 59, ehemalige CVP-Nationalrätin und Präsidentin des OK der Kunstturn-EM. Die Frauen kennen sich von ihren Zeiten bei der CVP. «Béatrice hat extrem viel Power», sagt Amacker. «Es ist wichtig, dass eine Frau an der Spitze des STV ist. Frauen sind in solchen Positionen leider rar.» 

Beatrice Wertli, Direktorin Schweizerischen Turnverband, mit Kathrin Amacker Basel (BS), Kunstturn EM in Basel April 2021, SI 17/2021

Béatrice Wertli trifft Kathrin Amacker vor dem Joggeli. Sie ist OK-Präsidentin der Kunstturn-EM in Basel.

Joseph Khakshouri

An dieser EM ist alles anders. Die Halle wirkt leer, in den Zuschauerrängen sitzen keine Fans, auf Pappaufsteller wie bei anderen Grossveranstaltungen hat Amacker gern verzichtet. Stattdessen werden Zuschauer von zu Hause auf riesigen Leinwänden eingeblendet. Während des Mehrkampffinals der Frauen hört und sieht man eine Fangruppe mit Schweizer Trikots aus Liestal BL jubeln. Für viele Athletinnen und Athleten ist es der erste grosse Wettkampf nach fast anderthalb Jahren Pause.

Gestärkt aus der Krise

Béatrice Wertli hat sich währenddessen in einer ruhigen Ecke eingerichtet und ihren Laptop ausgepackt. «Natürlich direkt neben der Kaffeemaschine», sagt sie fröhlich. Hier trifft sie den neuen Leiter Spitzensport beim STV, David Huser, 34. «Dass Béatrice Direktorin wurde, ist mit ein Grund, warum ich mich entschieden habe, diesen Job anzunehmen», sagt er. «Wir beide wollen, dass der Turnverband gestärkt aus der Krise findet. Und dass die Athleten im Zentrum stehen.»

Er spricht die Missbrauchsfälle an, die beim grössten Sportverband des Landes ans Licht kamen. Turnerinnen und Gymnastinnen berichteten von Angstmacherei und Übergriffen, die sie während ihrer Zeit im Leistungszentrum des STV in Magglingen erlebten. «Ich habe davon aus den Medien erfahren und war sehr betroffen und schockiert», sagt Wertli, «ich habe selber zwei Mädchen in diesem Alter.» Sie zeigt sich entschlossen: «Es gibt kein Wegschauen mehr, sondern braucht Anpassungen auf allen Ebenen: beim Training und bei den Zielsetzungen.» 

Beatrice Wertli, Direktorin Schweizerischen Turnverband, Mitarbeiter David Huser, Kunstturn EM in Basel April 2021, SI 17/2021

Die Neuen beim Turnverband: Direktorin Béatrice Wertli und Chef Spitzensport David Huser an der Kunstturn-EM in Basel.

Joseph Khakshouri

Was in den Hallen geschah, in denen die Spitze trainierte, färbt ab auf die Verbandsbasis und die 370 000 Mitglieder. «Obwohl es da keine Krise gibt.» In den vergangenen Wochen startete die Direktorin eine Tour de Suisse und besuchte Verbände und Leistungszentren, etwa im Baselbiet und im Aargau. «Es ist wichtig, dass ich die Menschen vor Ort treffe und den Puls an der Basis spüre», sagt sie. 

Der Sprung zu Gold

An diesem Nachmittag findet der Mehrkampffinal der Frauen statt. Giulia Steingruber, 27, sagt wegen einer Verletzung kurzfristig ab. «Schade, ich hatte mich auf sie gefreut», sagt Wertli. «Aber genau das ist eben auch wichtig: nein zu sagen, wenn es nicht geht. Gesundheit first.» Da wusste sie noch nicht, dass Steingruber am nächsten Tag zu Gold springen wird. 

SD
Silvana DegondaMehr erfahren
Von Silvana Degonda am 2. Mai 2021 - 07:09 Uhr