«Ich frage mich, ob der Himmel blauer ist als sonst.» Sagt Timea Bacsinszky. Das war im Frühling 2020 in einem Gespräch mit der Schweizer Illustrierte. Die Tennistour stand wie der Grossteil der Welt still, Corona zwang die Menschen, zuhause zu bleiben. Auch Bacsinszky hielt inne. War erstmals länger in ihrem umgebauten Bauernhaus ausserhalb von Lausanne. Sie beobachtete den Himmel ohne Flugzeuge, die vielen Vögel, die plötzlich in Lausanne anzutreffen waren. Und stellte sich Sinnfragen. «Ich merke gerade, dass ich in meinem Leben nicht so viel mache. Ich schlage einen Tennisball und reise um die Welt.»
Grösste Erfolge am French Open – und beim Schlichten des Familienstreits
Die Waadtländerin hat viel kämpfen müssen in ihrer Karriere. Der Drill, den sie in ihrer Kindheit auf dem Tennisplatz erfuhr, führte zum Bruch mit ihrem Vater. Auch die restliche Familie war zerstritten, erst mithilfe ihrer Erfolge an den French Open schaffte sie es, die Familie wieder zusammenzubringen. Und dass etwa ihre Stiefschwester wieder mit ihrer Mutter sprach. «Das ist mein grösster Erfolg. Grösser als jedes Turnier», sagte sie rückblickend. Am Grand Slam in Paris feierte sie die grössten Erfolge ihrer Einzel-Karriere: 2015 und 2017 stand sie im Halbfinal, 2016 erreichte sie den Viertelfinal. Im Jahr 2016 drang sie bis in die Top Ten der Weltrangliste vor.
Ebenfalls ein riesiger Erfolg war der Gewinn der Silbermedaille an den Olympischen Spielen in Rio vor fünf Jahren. Gemeinsam mit Martina Hingis rockte sie Brasilien Runde für Runde, und die Bilder der kichernden, strahlenden Frauen bei der Siegerehrung und die geteilte Freude bleibt in Erinnerung.
Operation, Comeback, Cortison
Doch auf die grössten Erfolge folgten die schwierigsten Jahre. Sie erlitt einen Muskelriss im Handgelenk, Bänder lösten sich vom Knochen, Sehnen waren beschädigt. Bacsinszky musste sich operieren lassen, es kamen weitere Verletzungen hinzu. Im Juli 2018 lag sie noch auf Rang 761 der Weltrangliste. Doch sie kämpft sich zurück, Schritt für Schritt. Bis sie wieder zurückgeworfen wird, diesmal durch ein Ödem. Die Rückenschmerzen sind im Herbst 2019 so stark, dass sie die Saison abbrechen muss. Erst eine Cortison-Behandlung bringt Besserung, doch just dann kommt die Coronakrise. Seit Herbst 2019 hat sie keinen Match mehr gespielt.
Doch ihre wechselhafte Karriere brachte auch persönliche Veränderungen. Von einem Tag auf den andern habe sie den inneren Frieden gefunden, wie sie im Juli 2019 bei einem Interview mit der SI sagt. Das geschah an ihrem 30. Geburtstag. «Ich bin netter mit den Menschen in meinem Leben. Auch netter mit mir selber. Und ich habe den Zorn losgelassen, den ich gegenüber gewissen Leuten empfand», sagt sie. Sie entschuldigt sich etwa bei einem ehemaligen Trainer, findet, die negative Seite ihres Egos sei nun sehr weit weg. Sie spürt, dass sie zuerst mit ihren eigenen Entscheidungen zufrieden sein muss, damit auch andere zufrieden sind.
«Liebes Tennis, du warst die schönste Lebensschule»
Nun hat sie eine solche Entscheidung getroffen. Nach 18 Jahren Tennis-Karriere, 6,6 Millionen Dollar Preisgeld, vier Titeln, 422 Matchsiegen. «Liebes Tennis», beginnt sie ihren Eintrag auf Social Media, mit dem sie am Freitag morgen ihren Rücktritt verkündet. «Als kleines Mädchen hätte ich mir nie denken können, dass ich durch dich so viele schöne Dinge erreichen würde. Dass ich so viele Emotionen durchlebe, so viel lerne, vor allem über mich selbst, aber auch über die Welt. Du warst die schönste Lebensschule und dafür kann ich dir nicht genügend danken.» Was die Zukunft bringen wird, wie sie ihr Leben füllen wird, verrät sie dabei nicht. Nur, dass sie hoffe, diese neuen Seiten in ihrem Lebensbuch würden ebenso intensiv werden wie ihre Tenniskarriere. Timea Bacsinszky wird ihren Weg finden.