Geht es darum, einen Zimmerkameraden zu suchen, bin ich nicht der, der ganz oben auf der Liste steht», ist sich Reto Berra (37) bewusst. Der Grund ist simpel: Der Torhüter des HC Fribourg-Gottéron schnarcht. «Deshalb hatte ich mehrere Male ein Einzelzimmer», sagt er und lacht verschmitzt. «Das hatte auch seine Vorteile.» Aus seinem Leben als Schnarcher hat der 1,94-Meter-Hüne gleich ein paar Anekdoten parat. «Einmal bin ich nachts aufgewacht – und nicht nur mein Zimmerkollege war weg, sondern auch seine Matratze. Ich fand Mann und Matratze dann in der Badewanne. Dorthin war der Kollege vor meinem Sägen geflüchtet.» Und einmal sei ein Zimmergenosse mit einem Kissen auf ihn «losgegangen». «Er hat mich damit wach gerüttelt und gerufen, ich solle endlich mal ruhig sein.»
In dieser Woche teilt sich Berra das Hotelzimmer mit seinem Klubkollegen, dem Flügelspieler Christoph Bertschy (30). Zum ersten Mal überhaupt. «Christoph hat auch etwas komisch geschaut, als er hörte, dass er mit mir im Zimmer ist», erzählt Berra. «Aber seit einem Jahr trage ich nachts eine Schnarchspange.» Seither sei der Schlaf nicht nur ruhiger geworden, sondern auch tiefer, erholsamer. Und Bertschy? Kann er schlafen? «Ja, Reto ist sehr ruhig. Aber wir haben erst ein Mal im selben Zimmer übernachtet.»
Nicht nur in der Vorbereitungszeit, auch an der WM selbst teilen sich jeweils zwei Spieler ein Zimmer. Wer von Anfang an dabei ist, bildet bis zu sechs Wochen lang eine Schicksalsgemeinschaft. Die Vorbereitung der Nati läuft bereits während der Playoffs und dauert rund vier Wochen. In dieser Zeit stossen laufend neue Spieler zum Team, die in der Liga mit ihren Mannschaften ausgeschieden sind, andere verlassen es. Auch die Legionäre aus der NHL rücken ein. Dadurch entstehen stets neue Konstellationen. Total 40 bis 50 Spieler leben so auf engstem Raum zusammen. An der WM stehen noch 25 Sportler im Aufgebot.
Ein Zimmer belegen zurzeit der Torhüter des EV Zug, Leonardo Genoni (36) und sein Teamkollege, Flügel Fabrice Herzog (29). Beides Familienväter. «Ruhe ist mir wichtig», erklärt Goalie Genoni. «Wir sind hier, um Leistung zu bringen. Da muss man sich auch mal erholen können.» – «Zudem haben wir den gleichen Rhythmus», ergänzt Herzog. «Und wir sind beide eher ordentlich.» An Schnarcher in ihrem Zimmer erinnern sich beide – ob damit Kollege Berra gemeint ist, verraten sie aber nicht. «Ich musste deswegen auch schon das Zimmer wechseln», so Herzog. «Mühsamer als Schnarcher finde ich aber Zimmerkollegen, die später ins Bett gehen oder später aufstehen. Da will man ja Rücksicht nehmen. Ich brauche aber meinen Schlaf», so Genoni, der vor seiner neunten WM steht.
Natürlich werde auch mal geplaudert, etwa über das Training, die Spiele oder im Fall von Genoni und Herzog über Familie, Kinder, Erziehung. Ebenso spannende Themen finden die Freiburger Berra und Bertschy. Letzterer hatte sich auch schon mit Fabrice Herzog das Zimmer geteilt. «Ihn kannte ich vorher gar nicht. Da fängt man beim Reden bei null an, spricht über Alter, Geschwister, Werdegang. Aber das war total easy.» Mit Klubkollege Berra sind die Themen vielfältiger, da gehts um interessante Wohnungsangebote in Fribourg oder um Autothemen. Stört denn der andere auch mal? «Reto ist viel zu gross», frotzelt Bertschy. «Er ist immer im Weg.» «Die Zimmer sind zu klein», antwortet dieser lakonisch und streckt sich auf dem schmalen Bett aus.
Das Zimmer ist Rückzugsort. Hier ist auch jeder gern mal für sich. Dann ziehen die Sportler ihre Kopfhörer an, schauen einen Film oder hören Musik.
Die Schweiz eröffnet die WM
Fabrice Herzog nutzt die Zeit, um zu lernen. Er holt derzeit im Fernstudium die Matura nach. «Damit ich später mal mehr Möglichkeiten habe.» Während er in Englisch keine Probleme hat, bereitet ihm Mathematik mehr Mühe. «Da muss ich erst wieder reinkommen.» Die Zimmer sind aufgeräumt, viel dabei haben die Eishockeyaner in der Regel nicht. Ihre Ausrüstung geben sie ab, sie wird im Stadion deponiert. Und nach einer Woche fahren sie für zwei Tage nach Hause. Auch ihre Freizeit verbringen die Eisgenossen gemeinsam. Vor allem beim «Brändi Dog». Genoni ist der Spielmaster und organisiert die Runde. «Wenn es um Spieleabende geht, bin ich gern dabei.»
Am 10. Mai gilt es ernst, dann darf die Schweiz in Prag gegen Norwegen die WM eröffnen. Darauf freuen sich die vier. Für alle ist es eine besondere Ehre, das rote Trikot der Nationalmannschaft zu tragen. «Wir wollen unsere beste Leistung abrufen und ohne Umwege die Viertelfinals erreichen – unser erstes Etappenziel», sagen sie unisono. «Als kleiner Junge träumt man von einer WM», erzählt Herzog.
Ob ihre Familien und Freunde dabei sein werden, entscheiden diese spontan. Genoni: «Meine Kinder sind in einem Alter, in dem sie realisieren, warum Papi auf einmal ein rotes Leibchen trägt und nicht das blaue des EVZ. Das macht sie natürlich stolz.» Die Spieler freuen sich darauf, Prag zu entdecken, die Stimmung der Fans aufzusaugen, die besondere Atmosphäre. Alle haben das Ziel: an der WM möglichst weit zu kommen. Das macht die Enge eines geteilten kleinen Hotelzimmers mehr als wett.