«Lernen ist wie Rudern gegen den Strom. Hört man damit auf, treibt man zurück», steht in schwarzer Schrift an der Wand vom Büro der Druckerei Swissprinters in Zofingen AG. Es ist ruhig. Und gleichzeitig ist die Stille unglaublich laut. Die Büroräume sind verlassen, die Tische staubig, spärlich scheint noch ein Tischlicht. Für die 144 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kriegt der Spruch plötzlich Bedeutung. Es ist Zeit für sie, Neues zu lernen. Um nicht zurückzubleiben, so gern sie das auch wollen würden. Es ist ihr letzter Tag in der Druckerei.
Noch einmal nimmt Daniel Senn (60) sein Telefon ab und spricht mit der Redaktion der Schweizer Illustrierten. Um 20 Uhr ist Deadline, dann muss das komplette Heft fertig abgegeben sein. Heute liefert die Redaktion ungewöhnlich früh – um 18.55 Uhr. «Da wolltet ihr uns am letzten Tag noch eine Freude bereiten, gell», sagt Senn und lächelt. Ein bisschen zumindest. Die Daten laufen auf seinen Computer, er überprüft noch einmal, ob keine Seiten zweimal drin sind und ob alle Paginierungen stimmen. «Ich muss nicht mehr viel kontrollieren. Mit der Zeit kennt man das Produkt.» Der Ausdruck «Mit der Zeit» bedeutet für Senn 43 Jahre. Er machte bereits seine Lehre hier, als Tiefdruckfotograf, arbeitet sich zum Pre-Press Operator hoch. Dass es heute das letzte Mal ist, realisiert er noch gar nicht. «Es war halt mein zu Hause.»
Senn gibt die vorbereiteten Daten weiter. Diese werden auf acht Platten gelasert, die dann in die Druckmaschine gespannt werden. Diese Arbeit erledigt Sebastian Dieroff (39). Er ist Drucker in der dritten Generation. «Ich muss den Beruf wechseln, weil es keine Zukunft darin gibt. Obwohl ich es nicht will. Das ist beschissen.» Er wird in die Medizintechnologie wechseln. Dass er einen Job gefunden hat, ist für ihn nur ein kleiner Trost. Viele der Mitarbeitenden liessen sich frühpensionieren oder fanden ebenfalls neue Stellen – nur eben nicht im Druckbereich. Da gibt es so gut wie keine mehr.
Alles begann mit der Druckerei
Die Schliessung der Druckerei ist das Ende einer Ära. Das Verlagshaus Ringier wurde vor 190 Jahren mit einer Druckerei in Zofingen gegründet. Die Schweizer Illustrierte ist nur eines der Produkte, die hier entstanden sind. Auch Traditionstitel wie «Glückspost» und «Tele» wurden hier erfunden. In den letzten Jahren, war «Zofingen» die grösste Offset-Druckerei, die Magazine in hoher Auflage herstellte. Zum Portfolio gehörten also auch «Annabelle», «Beobachter», «Bilanz», «Bolero», «Touring»-Magazin. 2004 legten Ringier und die NZZ ihre Druckereien zusammen, gründeten die Swissprinters AG. Doch das Druckgewerbe war und ist in der Krise: immer weniger Aufträge, Kostendruck durchs Ausland. Grund für die Schliessung ist die sinkende Nachfrage und der Verlust grosser Kunden. Das sagt Alexander Theobald, CEO von Swissprinters. Es rentiere nicht mehr, in neue Maschinen zu investieren.
Grösste Maschine der Schweiz
Die erste «Schweizer Illustrierte Zeitung» mit 16 Seiten wurde am 19. Dezember 1911 in Zofingen gedruckt. Am 26. September 2024 die letzte – mit 92 Seiten. Der Beruf des Druckers ist mit grossem Stolz verbunden. Und stolz waren die Handwerker der schwarzen Kunst auch auf ihr «Flaggschiff» in Zofingen. So nennen sie ihre Druckmaschine, eine Lithoman – es ist die grösste, modernste und leistungsfähigste in der Schweiz. 72 Seiten aufs Mal bedruckt das Wunderkind. Jetzt rast das Papier mit 54 Kilometern pro Stunde durch die vier Druckwerke und wird beidseitig bedruckt. Für eine Ausgabe der Schweizer Illustrierten werden sieben bis acht Rollen Papier benötigt. Eine Rolle wiegt 2,5 Tonnen und ist 25 Kilometer lang.
Harte letzte Monate
In den goldenen Zeiten des Druckgewerbes liefen fünf Maschinen gleichzeitig und waren imstande, neun Millionen Seiten pro Stunde zu produzieren. Jetzt sind zwei Maschinen abgestellt, eine ist abgebrannt. Im haushohen Saal stehen sie trostlos und verstaubt. Druckchef Bruno Scheidegger (54) von allen «Benno» genannt, wirft einen Blick in die leere Halle und sagt: «Früher haben wir hier noch Federball gespielt. Und Dart. Natürlich nicht, wenn die SI am Drucken war.» Er zwinkert. Die Mitarbeitenden neben ihm ringen sich ein Lächeln ab. Sie umarmen sich. «Wir sind hier eine Familie. Es tut sehr weh, diese gehen zu lassen.»
Seit dem Entscheid zur Schliessung sei es schwer für seine Leute gewesen. Und doch, erzählt Benno: «Alle kommen gern nochmals hierher, um ihre geliebte Arbeit ein letztes Mal zu tun.» Einer davon ist Peter Bauer (55). Seit 37 Jahre arbeitet er hier. Jetzt steht er am Steuerpult der Druckmaschine und kontrolliert die Farben. Mit einer Lupe werden die Feinheiten der vier Farbzylinder Schwarz, Cyan, Magenta und Yellow austariert. Die ersten 2000 Exemplare sind Probedruck.
«Bei einer Illustrierten schauen wir natürlich ganz genau», sagt er. Man würde meinen, am letzten Tag sei es nicht mehr wichtig, wie das Heft herauskommt. Aber jeder einzelne Mitarbeitende verrichtet seine Aufgaben mit einer Sorgfalt und einem Fleiss, der wehmütig macht. Jetzt rattern die Maschinen auf Hochtouren. An der Decke entlang fliegen die Seiten wie von Tausendfüsslern getragen. Mitarbeitende hantieren an Knöpfen und arbeiten so beständig, wie die Maschine druckt. Es poltert, es knarzt, es hallt. Es ist irrsinnig laut.
Letzter Druck macht Probleme
Gioia Riina (23) hat sich längst an diese Geräusche gewöhnt. Sie war die Letzte, die hier ausgebildet und von ihren Mitarbeitern gegautscht wurde: ein jahrhundertealter Brauch, bei dem der Lehrling nach bestandener Prüfung untergetaucht wird. In Gioias Fall im Thut-Brunnen in der Zofinger Altstadt. Sie erzählt: «Als ich von der Schliessung erfahren habe, weinte ich eine lange Zeit. Dann wars okay. Und jetzt tuts wieder sehr weh.» Sie wird als Maschinenführerin weitermachen. Es ist das Ende ihres Lehrberufs, den sie erst mit viel Interesse begonnen hat.
Bei den letzten 10'000 Ausgaben spuckt die Druckmaschine plötzlich. Als wolle sie sich gegen das nicht mehr Aufhaltbare wehren. Rote Lichter blinken, Sirenen heulen, Mitarbeitende wuseln unter und über der Lithoman umher. Nach einer halben Stunde läuft das Wunderkind weiter. Auf dem Bildschirm zeigt sich eine immer kleiner werdende Zahl. Und plötzlich steht da null. Alle Exemplare sind gedruckt. Produktionsleiter Vulnet Veliju drückt den Knopf. Die Maschine verstummt. Und geht nicht wieder an. Zumindest nicht hier. Sie soll verkauft werden.
Die Schweizer Illustrierte wird künftig in Deutschland gedruckt. Auch für Dragan Aleksic, Leiter Weiterverarbeitung, ist heute der letzte Arbeitstag. «Es tut weh. Aber so ist das Leben.» Seine 41 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter heften die SI jetzt mithilfe von Maschinen zusammen, fügen von Hand die Beilagen bei, verpacken sie mit Plastikfolie und adressieren diese. Etwa 25 Paletten werden für die Lastwagen bereitgemacht, die das Heft dann zur Poststelle bringen. Um elf Uhr steht alles bereit. Alle warten auf die Lastwagen, herzen sich noch einmal, bedanken sich gegenseitig für die schöne Zeit. Der Vorhang einer prägenden Zeit schliesst sich, die Lichter gehen aus. Plötzlich ist es in der riesigen Druckerei wieder still. Und es wird still bleiben.