Ein beherzter Schuss – 1:0 für Emmy. «Bravo!», ruft Yannic, 9. Emmy hält einen Daumen hoch: «Ich bin noch immer zwäg!» Die 103-Jährige schmunzelt und schaut zu Hedy. Ihre Zwillingsschwester sitzt im Rollstuhl neben dem Töggelikasten, ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. «Schön, sehen wir uns mal wieder», sagt Emmy, «das letzte Treffen ist sicher zehn Jahre her.»
Es ist ein besonderer Tag. Emmy Ochsner und Hedy Schneider feiern gemeinsamen Geburtstag – ihren 103.! Damit sind die zweieiigen Zwillingsschwestern die ältesten Zwillinge der Schweiz.
Die Feier steigt im Pflegezentrum Erlenhof in Zürich. Hier lebt Hedy seit elf Jahren in der Demenzabteilung. Emmy wiederum ist im Betagtenheim Halden in St. Gallen zu Hause. Sohn Urs und dessen Frau Silvia haben sie für den heutigen Tag extra nach Zürich gebracht. Beide Schwestern sind herausgeputzt, ein Dutzend Angehörige sind da, Hedys Urenkel Yannic ist der Jüngste.
Hedwig und Emma, wie die beiden mit gebürtigen Namen heissen, sind in St. Gallen St. Fiden aufgewachsen, zusammen mit Schwester Lini. Vater Adolf arbeitet als Braumeister bei der Brauerei Schützengarten, er ist ein strenger Mann. «Wir hatten keine Erziehung, sondern eine Dressur», erzählt Emmy bei Kaffee und Kuchen. Kommt ein Kind nicht rechtzeitig nach Hause, müssen alle drei Geschwister früher ins Bett.
Emmy, die Draufgängerische, macht eine kaufmännische Ausbildung. Hedy, die Sensible, lernt Modistin – Hutmacherin. Ein paar Jahre arbeiten die beiden zusammen im Globus in St. Gallen, Emmy als Verkäuferin.
1942 heiraten die Schwestern. Hedy nimmt einen Reformierten zum Mann. Das führt zu Streit mit dem katholischen Vater – er kommt nicht zur Hochzeit. «Das belastet Hedy bis heute», sagt Emmy.
Hedy bringt zwei Töchter zur Welt und schaut in der Metzgerei ihres Mannes Ernst zum Rechten. Emmy zieht vier Söhne gross und arbeitet zu Hause. «Jede von uns führte ihr eigenes Leben. Wir sahen uns immer mal wieder an Familienfesten.»
Körperlich sind beide kerngesund. «Wir haben ein starkes Herz. Doch ab und zu zwickt der Rücken.» Emmy war lange in einer Frauenturngruppe und hielt sich bis ins hohe Alter mit Gartenarbeit fit. Sie ist stolz darauf, dass sie noch jeden Morgen ihr Bett selbst macht. Und vor jedem Essen im Speisesaal hübscht sie sich auf.
Hedy schaut auf ihr Stück Schoggikuchen. Emmy nimmt ihre Hand und sagt: «Wir haben immer hart gearbeitet. Doch wir schauen auf ein gutes und zufriedenes Leben zurück.» Hedy nickt. «Machs guet», sagt Emmy zum Abschied. «Wer weiss, wo wir uns das nächste Mal wiedersehen.»