Zwölf Jahre sind seit Hermann Maiers Rücktritt vergangen. Mit 54 Weltcupsiegen ist er die Nummer 3 der erfolgreichsten Skifahrer der Geschichte. Doch es sind nicht nur seine Erfolge, die den Österreicher für Skifans aus der ganzen Welt zur Legende machen, sondern auch sein Kämpferherz. Als Jugendlicher fliegt er aus der Skihandelsschule, weil er zu leicht ist. Beginnt eine Maurerlehre, verliert seinen Traum aber nicht aus den Augen und trainiert nach der Arbeit auf eigene Faust wie besessen. Irgendwann können die österreichischen Verantwortlichen den Blondschopf aus Flachau im Salzburgerland nicht mehr ignorieren. Und so startet seine Karriere praktisch von 0 auf 100, er wird 1998 zum ersten von vier Mal Gesamtweltcupsieger. Und im selben Jahr Olympiasieger im Super-G und Riesenslalom – nachdem er wenige Tage zuvor in der Abfahrt spektakulär gestürzt ist, was ihm den Spitznamen «Herminator» einbringt. Die schwierigste Zeit erlebt er 2001, als er nach einem Töffunfall in Lebensgefahr schwebt. Und es trotz schwersten Beinverletzungen nochmals zurück zum Siegen schafft. Heute lebt der 48-Jährige mit seiner Frau und drei Töchtern in Flachau, engagiert sich für eine Reihe langjähriger Partner und geniesst ein unabhängiges Leben in Ruhe.
Hermann Maier, kürzlich wurde an der Sporthilfe-Gala Ihr Sturz an den Olympischen Spielen in Nagano und die darauffolgenden zwei Goldmedaillen als Sportmoment der letzten 50 Jahre gewählt. Die Ehrung schien sehr emotional zu sein für Sie. Was für eine Rolle spielt der Sturz in Ihrem Leben noch?
Er ist einfach ein Teil meiner Karriere. Spätestens alle vier Jahre zu den Olympischen Spielen kommen deswegen amerikanische Fernsehstationen. Weil dieser Sturz nicht nur für mich selbst sehr prägend war, sondern auch aus der Historie der Winterspiele heraussticht – logischerweise in Verbindung mit den beiden Goldmedaillen. Der Sturz allein ist nicht unbedingt erwähnenswert. Man fährt ja Ski, damit man eben nicht stürzt. Aber neben den zwei Siegen habe ich auch sehr viel gelernt. Ich war noch ein Jungspund, es war mein erstes richtiges Jahr in der Abfahrt. Das hat man gemerkt: Die Motivation war hoch, die Erfahrung nicht die grösste (lacht).
Sie waren einerseits wegen Ihrer Erfolge äusserst beliebt bei den Fans, anderseits wegen des Kampfgeists, den Sie immer an den Tag legten. Hat Sie das berührt?
Schon. Weil mein Werdegang halt ein anderer war. Ich habe mit 25 meinen ersten Gesamtweltcup gewonnen, das war gleich in meinem zweiten Jahr. Da kam ich mehr oder weniger direkt von der Baustelle in den Skiweltcup und hab vielleicht auch den Stellenwert in Österreich ein bisschen unterschätzt. Was das anbelangt, war ich halt unverdorben. Es war für mich ja nicht so einfach, in dieses Team reinzukommen. Entsprechend habe ich weitergekämpft und probiert, meinen eigenen Weg zu gehen. Und auf einmal erhält man Unterstützung, wo vorher eigentlich immer Gegenwehr war. Das ist ein eigenartiges Gefühl, wenn auf einmal Menschen anfangen zu jubeln. Das war eine enorme Umstellung.
Wie war es damals, ein Sportheld in Österreich zu sein?
Ich war einfach wahnsinnig überrascht, weil dies mehr oder weniger von heute auf morgen passiert ist. Ich war überhaupt nicht vorbereitet. Andere hatten Medienschulung, bei mir hat man gemerkt, dass das nicht der Fall war. Da ist bei mir nichts kontrolliert oder geprüft worden. Darum hatte ich am liebsten Live-Interviews. Bei anderen wurden meine Worte so verdreht, dass man meinen konnte, die Österreicher rivalisieren sich jetzt. Wir waren in dieser Zeit enorm dominierend. Und so hat man probiert, innerhalb des Teams etwas anzustiften. Für mich war das überraschend, nachdem ich immer auf den Sport fokussiert war. Damit umgehen zu lernen, war eine grosse Herausforderung. Mein Ziel war eigentlich nicht, der Skiheld zu sein, sondern Skirennen zu gewinnen.
Marcel Hirscher hatte sehr zu beissen am ganzen Rummel um ihn. Denken Sie, in Österreich ein Sportheld zu sein, ist heute noch heftiger als früher?
Ich bin überzeugt, dass das Ganze nicht schlimmer geworden ist. Die Aufmerksamkeit früher, sagen wir zu Zeiten von Russi und Klammer, war sicherlich wesentlich höher. Da waren die Strassen leer gefegt. Mittlerweile interessiert das auf irgendeiner Berghütte an der Skipiste keinen, wenn ein Skirennen läuft. Aber die Zeit heute hat Vor- und Nachteile. Heute kann sich jeder über seinen Social-Media-Account so geben, wie er will. Im Endeffekt, und das passiert ja nicht nur im Sport, stellt jeder irgendwie dar, wie toll er ist. Das war früher nicht so der Fall. Heute muss man sich die Frage stellen: Was will ich? Ziehe ich mich mehr zurück? Oder probiere ich, meine Follower immer zu informieren?
Was bedeutet Ihnen das Skifahren heute?
Mir hats früher schon Lust bereitet, aber jetzt noch viel mehr. Es gibt im Wintersport selten etwas Schöneres, als Ski zu fahren. Skifliegen wäre wohl auch schön, aber das machen ganz wenige, und wenn man schwer ist, fällt man gleich so runter (lacht). Beim Skifahren hat man alle Möglichkeiten: Skilanglauf, Skitouren. Die Ruhe zu suchen, hat einen absoluten Mehrwert bekommen. Das ist wohl auch eine Alterserscheinung (lacht). Als Junger braucht man ein bisschen mehr Action, man wird vielleicht etwas langweiliger. Ich bin sehr viel mit Tourenski unterwegs, und unsere Region eignet sich hervorragend für alle möglichen Dinge.
Sie sprechen von der Ruhe. Nach Ihrem Karriere-Ende haben Sie aber schon noch das Extreme gesucht, waren 2010 für eine Doku in der Antarktis. Was unterscheidet eine solche Herausforderung vom Leistungssport?
Was mich am Wettlauf zum Südpol irrsinnig fasziniert hat: Es war absolutes Neuland. Mir ist dieser siebte Kontinent vorher immer abgegangen: Mit dem Südpol kann keiner etwas anfangen, er ist so weit entfernt. Die grösste Herausforderung war die Verbindung mit den Teamkollegen, zwei Männern und einer Frau. Dass also vier erwachsene Menschen zusammen unterwegs sind, mit einem kleinen Zelt, und sich damit auseinandersetzen, wochenlang im Nirgendwo zu sein. Am Ende war es wunderbar. Grad mit der Historie vom Südpol, ihn hundert Jahre nach dem Wettlauf von Amundsen und Scott nochmals zu erreichen, das war schon eines der emotionalsten Erlebnisse.
«Auf einmal erhält man Unterstützung, wo vorher immer Gegenwehr war. Das ist ein eigenartiges Gefühl, wenn auf einmal Menschen anfangen zu jubeln»
Hermann Maier
Sie haben die schweizerisch-österreichische Rivalität nicht wahrgenommen?
Überhaupt nicht! Da war nichts! Ich fand das sogar eher noch angenehmer. Innerhalb von Österreich haben sich irgendwie mehr Fangruppen herauskristallisiert. Und die Medien haben das zum Anlass genommen, hier was Gutes und dort was Schlechtes zu finden. Mit der Schweiz war das überhaupt nicht der Fall, im Gegenteil. Es war einfach eine wunderschöne Zeit.
Was gefällt Ihnen am Skisport, seit Sie zurückgetreten sind?
Dass sich das Patriarchat, das teilweise bei uns geherrscht hat, meiner Meinung nach geändert hat. Damals war der FIS-Direktor der Allwissende, alles musste nach seiner Uhr ticken und es konnte gar nichts anderes stattfinden als das, was er gesagt hat. Mir kommts vor, als sei das Ganze toleranter geworden. Es gibt mehr Mitspracherecht, es wird eingegangen auf die Sportler. Das finde ich gut. Und generell: In dieser Saison gibt es von der Anzahl der Rennen in den einzelnen Disziplinen her mehr Ausgeglichenheit. Weil Österreich seinerzeit den Gesamtweltcup so dominiert hat, glaubte man früher, es gehe alles über den Speedbereich. Dann hat man den massiv gekürzt und einfach geändert, weil man sich dachte: Die andern Nationen sollen auch Chancen haben, machen wir einfach mehr Technikrennen. Nun ist es ausgeglichen.
Wo, finden Sie, sollte der Skisport hingehen?
Ich bin ein Fan der Klassikrennen und dafür, dass man sie eher noch aufwertet. Speziell Wengen und Kitzbühel. Genau diese Veranstaltungen sind wahnsinnig wetterabhängig. Wie viel länger man bei den Abfahrtsläufen braucht, wie viel Material, die Fangnetze! Es ist einfacher in den technischen Disziplinen. Aber es wäre schlimm, wenn das verloren ginge. Es ist wichtig zu merken, dass man sein Sonntagsschnitzel vor dem Fernseher essen kann und da ein Wengen-Rennen mit prächtiger Kulisse läuft. Das sticht einfach heraus.
Sie haben sich auch für die Rallye Dakar interessiert. Weshalb hat es nicht geklappt?
Das war mitunter eine jugendliche Motivation. Ich dachte, ich könne das mal nach der Karriere machen… Aber dann ist so viel passiert mit dem Motorradunfall, dem Comeback und so weiter, dass es wichtiger war, Ruhe zu finden. Mein Plan war, im Jahr 2001 eine Pause zu machen oder eventuell sogar die Karriere zu beenden. Aber das hat sich zerschlagen, weil die Pause mehr oder weniger darin bestand, wieder zurückzufinden.
Wenn Sie zuvor das Extreme gesucht haben und danach die Ruhe, hat der Unfall schon Ihre Einstellung zum Leben verändert.
Es war logischerweise ein massiver Einschnitt. Wo man vorher an Kleinigkeiten herumgeschraubt hat, gab es danach Dinge, die wegen der Verletzung nicht mehr so waren wie davor. Dafür war es einfach zu massiv. Es sind auch Einschränkungen vorhanden gewesen. Dadurch musste ich mich immer wieder mit dem Thema auseinandersetzen. Die Leichtigkeit, wie sie vor dem Unfall da war, ist nicht mehr gekommen.
Sie haben immer die Grenzen gesucht. Was fängt man mit einem Ehrgeiz wie dem Ihren im Leben nach der Karriere an?
Die Grenzen werden einem eh fast jeden Tag aufgezeigt, durch verschiedenste Sachen. Das Schöne war damals, sich wirklich nur auf das Skifahren fokussieren zu können. Da kann man seine Grenzen komplett ausloten. Aber wenn man das einmal alles erreicht hat oder Gott sei Dank sogar noch mehr, kann man sagen: So, das wars. Ich muss nicht mehr unbedingt absolut dahin gehen. Grenzen zu verschieben, ist ja jetzt wesentlich einfacher, weil sie nicht mehr so unverrückbar gesetzt sind.
Sie sind also kein Getriebener.
Nein, das wär ja schlimm! Bei meinem Karriereende hab ich gesagt: Es gibt keine Wettkämpfe mehr. Sonst ist man gleich wieder in diesem ganzen Rad drin. Es ist ganz wichtig, sich von diesem Getriebensein zu lösen. Perfektionismus ist enorm fordernd. Das wirkt sich aufs gesamte Leben aus. Wenn man diesen Perfektionismus immer so beibehält, dann kostet das relativ viel Lebenszeit.
Und Sie haben es geschafft, sich davon zu lösen? Das klingt so einfach.
Ja. Es ist eher leichter, ihn zu verlieren, als umgekehrt. Perfektionismus zu lernen ist für jemanden, der das nicht gewohnt ist, eigentlich aussichtslos. Umgekehrt gehts leicht – vor allem, wenn man weiss, dass der Wettkampf nicht alles ist. Man braucht sicherlich ein gewisses Alter dafür, zu sagen: So, man ist mit den Erlebnissen und allem, was passiert ist, genau so zufrieden. Und analysiert sie auch. Dann fällt es leichter. Sonst kann es passieren, dass nach dem Rücktritt das schwarze Loch kommt, von dem jeder spricht. Mich hats aber Gott sei Dank nicht erwischt.
«Es ist ganz wichtig, sich von diesem Getriebensein, diesem Perfektionismus zu lösen. Wenn man den immer beibehält, kostet das viel Lebenszeit»
Hermann Maier
Mit wem fiebern Sie heute mit?
Mich begeistert immer, wenn von den hinteren Reihen einer vorn reinfährt. Dann, wenn von den Verhältnissen her alles ein wenig schwieriger wird. Mir gefallen einfach die Underdogs. Das ist schon die spezielle Würze, wenn jemand so unverdorben daherkommt. Aber natürlich: Wenn man seine Leistungen bestätigen und das Können immer wieder zeigen muss, ist das auch beeindruckend. Ich weiss ja selber, was das bedeutet. Aber auf eine spezielle Person ziele ich nicht ab.
Österreich war zu Ihrer Zeit sehr dominant. Es gab aber auch ein grosses Duell mit einem Schweizer.
Das war definitiv so. Von Grünigen/Maier im Riesentorlauf war eine recht intensive Zeit, so Ende der Neunziger Jahre bis 2001. Er ist dort sicher am meisten rausgestochen. Das Duell war toll. Ich weiss noch: Ich fuhr 1998 zum ersten Mal in Adelboden und bin gleich als Letzter zum zweiten Lauf an den Start gegangen. Das war immer ein super Gefühl: Es wurde schon ein bisschen finster, und es war keiner mehr da oben. Ich habs geliebt, in Adelboden zu fahren. MvG hat geführt, das hab ich zwar nicht so mitbekommen. Weil auch Paul Accola und die anderen Schweizer speziell gut gefahren sind. Im Endeffekt hab ich das Rennen gewonnen, aber gemerkt, dass sich die Schweizer wirklich mitgefreut haben. Das war ein super Rennen.
Sie haben 2003 in Adelboden auch Ihr Comeback nach dem Motorradunfall gegeben.
Genau, ja. Das ist nicht so leicht von der Hand gegangen wie mein erster Auftritt, ein Riesenunterschied. Das war ein sehr einschneidendes Erlebnis in meiner Karriere. Da war ein enormer Ansturm, irrsinnig viele Menschen, und ich musste mich mit mir selbst auseinandersetzen und schauen, dass ich irgendwie meine Emotionen da hinkrieg und dieses Rennen halbwegs fahre. Ja, Adelboden war sicher ein spezieller Platz, aber auch Wengen. Da konnte ich beim ersten Start gewinnen.
Was haben Sie sonst noch für Erinnerungen an die Schweiz?
Wie wahnsinnig teuer es war (lacht). Wir haben mal an einer Autobahnraststätte angehalten und eine Rösti gegessen, die fast unerschwinglich war. Und sonst einfach die Gegend. So viele Viertausender, das sind wir in Österreich nicht gewohnt. Wir haben ja keinen Einzigen. Und das Publikum war einfach genial. Ich hab keinen Unterschied gemerkt zwischen der Schweiz und Österreich.